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23.03.2015 - 25.03.2015 | Hagen

„Das soziale Band. Geschichte und Gegenwart eines sozialtheoretischen Grundbegriffs“

Eine Fachtagung unter dem Titel „Das soziale Band. Geschichte und Gegenwart eines sozialtheoretischen Grundbegriffs“ führt das Lehrgebiet Philosophie III, Praktische Philosophie: Technik, Geschichte, Gesellschaft von Prof. Dr. Thomas Bedorf vom 23. bis 25.03.2015 an der FernUniversität in Hagen durch.

Der Begriff des ›sozialen Bandes‹ dient in vielen sozialwissenschaftlichen Disziplinen dazu, eine grundlegende Form der Verbundenheit zwischen Subjekten deutlich zu machen. Dabei ist die Existenz einer solchen sozialen Verbundenheit keine Selbstverständlichkeit, sondern als Resultat komplexer historischer Vergemeinschaftungsprozesse grundsätzlich erklärungsbedürftig. Nun hat der Begriff zwar sowohl in der Sozialphilosophie als auch in der politischen Philosophie und der Soziologie immer wieder Verwendung gefunden, dabei ist er jedoch kaum zum expliziten Gegenstand der Reflexion geworden. An eben dieser Stelle will die geplante Tagung einsetzen und sich der Geschichte und Gegenwart dieses sozialtheoretischen Grundbegriffs zuwenden. Vier Zugangsweisen lassen sich dabei unterscheiden:

1 – Webarten

Die Frage, was Subjekte aneinander bindet, wird zumeist auf zwei verschiedene Arten beantwortet: Während die einen davon ausgehen, dass sich Subjekte aufgrund einer anthropologischen Neigung mit anderen zu einer substantiell verfassten Gemeinschaft zusammenfinden, gehen die anderen davon aus, dass sich die Individuen aus einem wohlüberlegten Interesse zu einer kontraktualistisch verfassten Gesellschaft zusammenschließen. Beide Konzeptionen sind seit längerem in die Kritik geraten. Während erstere nämlich Gefahr läuft, den Spannungen und dem Antagonismus keinen adäquaten Stellenwert einräumen zu können, vermag letzterer nicht ausreichend zu erklären, woher eine kontraktualistisch verfasste Gesellschaft ihre Integrationskraft nehmen soll. Der Begriff des sozialen Bandes ist so auf der einen Seite entweder zu stark oder auf der anderen Seite zu schwach gefasst. Ausgehend von diesem Dilemma hat sich im 20. Jahrhundert ein Ansatz etabliert, welcher die Stiftung des sozialen Bandes als einen performativen Vollzug begreift: soziale Verbundenheit wird hier als Resultat von sozialen Praktiken und nicht als Resultat einer naturwüchsigen Disposition oder als Ergebnis eines einmaligen Stiftungsaktes verstanden. Folgt man dieser Idee, dann geht das soziale Band der Gemeinschaft nicht voraus, sondern wird vielmehr durch fortwährende Prozesse der Vergemeinschaftung gestiftet.

2 – Zerreißproben

Wird das soziale Band allererst durch soziale Praktiken geknüpft, dann kann es durch soziale Praktiken auch wieder gelöst werden. Und in der Tat sind Krisendiagnosen immer schon Teil der Untersuchung des sozialen Bandes gewesen. Im Mittelpunkt steht dabei die aufkommende kapitalistische Marktwirtschaft, welche die Solidarität zwischen den Einzelnen untergräbt, indem sie sie als Arbeitende in Konkurrenz zueinander setzt. Im Zuge der fast vollständigen Durchökonomisierung der Gesellschaft im 20. Jahrhundert hat diese Krisendiagnose an Dringlichkeit gewonnen: Durch die Forderung nach einer gouvernementalen Durchgestaltung des eigenen Lebens, werden soziale Beziehungen zunehmend Marktimperativen unterworfen und damit in ihrer Tragfähigkeit bedroht: wer im Wettlauf um soziales Kapital nicht mithalten kann, kommt zwangsläufig unter die Räder. Der umfassende Einzug ökonomischer Logiken in soziale Prozesse ist eng mit der Auflösung solidarischer Verbundenheit zugunsten der Entstehung von antagonistischen und kompetitiven Haltungen verbunden (ohne dass man schlicht zu einer vorgeblich ›ursprünglichen‹ Bindungskraft zurückkehren könnte). Nicht selten erzeugen diese Auflösungserscheinungen als Reaktion einen Rückfall in substanzialistische Gesellschaftmodelle: Im Rückgriff auf Kategorien wie Klasse, Rasse oder Geschlecht wird versucht, eben jene Verbundenheit mit anderen wiederzufinden, welche die gesellschaftliche Öffentlichkeit nicht mehr zu bieten vermag.

3 – Unauflöslichkeit

Den Positionen, welche eine Krise des sozialen Bandes diagnostizieren, stehen jene Positionen gegenüber, die von einer Unauflöslichkeit des sozialen Bandes ausgehen. Dies ist nicht so zu verstehen, dass konkrete Phänomene der sozialen Desintegration bestritten würden, sondern vielmehr in dem Sinn, dass das soziale Band eine solche Elastizität besitzt, dass es auch in Extremsituationen nicht zu reißen vermag. Postfundamentalistische Ansätze gehen daher von einer radikalen Abgründigkeit des Sozialen aus, womit gemeint ist, dass es keinen letzten Grund gibt, auf den unser soziales Zusammenleben rekurrieren kann, um sich selbst zu rechtfertigen. Diese Ungegründetheit von Gesellschaft wird dabei zum Ausgangspunkt für ein neues Verständnis des sozialen Bandes: was uns aneinander bindet, ist in dieser Perspektive nämlich gerade nicht dasjenige, was uns gemeinsam ist, sondern dasjenige, was uns trennt. Nicht die Selbigkeit, sondern die Andersheit des Anderen wird hier als Quelle sozialer Bindungsprozesse verstanden. So wird etwa in Bezug auf den Bereich der Intersubjektivität argumentiert, dass die Verantwortung für den Anderen uns gerade aufgrund von dessen Andersheit unwiederbringlich heimsucht und in Bezug auf den Bereich des Politischen, dass es gerade die radikale Getrenntheit der Singularität ist, welche Pluralität überhaupt erst ermöglicht. Was uns miteinander verbindet, kann aus dieser Perspektive durch soziale Auflösungsprozesse niemals ganz außer Kraft gesetzt werden kann – stets ist die Möglichkeit einer Anknüpfung an das soziale Band vorhanden. Der konflikttheoretische Endpunkt dieser graduell verschiedenen Auffassungen behauptet schließlich, es sei die Konflikthaftigkeit des Bandes selbst, die seine Stabilität garantiere.

4 – Vollzugswirklichkeiten

Mit der Idee der Unauflöslichkeit des sozialen Bandes verbunden ist die Idee, dass Praktiken der Vergemeinschaftung sehr tief in unseren sozialen Alltag eingelassen sind. Zur Ausarbeitung einer Theorie des sozialen Bandes gehört es daher, diese Vergemeinschaftungspraktiken phänomenal zu beschreiben. Einen zentralen Stellenwert nimmt dabei die Figur des Dritten ein. Im Anschluss an sie lassen sich nämlich zwei Vollzugsweisen der Vergemeinschaftung unterscheiden: Positive Vollzüge basieren auf der gemeinsamen Hervorbringung eines Dritten – etwa in kooperativen Herstellungsprozessen oder in Praktiken des Gabentausches. Negative Vollzüge der Vergemeinschaftung gehen dagegen von der Konsumtion eines Dritten aus – etwa im gemeinsamen Verzehr eines Festmahls, der kollektiven Verschwendung von Gütern in geselliger Runde oder dem sozialen Ausschluss eines Sündenbocks. Neben diesen traditionellen Motiven ist in jüngster Zeit der Beitrag der Vergemeinschaftung durch gemeinsame Güternutzung (»commons«) in der digitalen wie der analogen Welt hervorgehoben worden. Ausgehend von solchen positiven und negativen Vollzugsweisen wäre es die Aufgabe einer Theorie des sozialen Bandes, einerseits jene Praktiken ausfindig zu machen, denen in unserer Gegenwart ein besonderes Vergemeinschaftungspotential zukommt und diese andererseits aus einer praxistheoretischen Perspektive in ihren materiellen und leiblichen Vollzugswirklichkeiten phänomenal zu beschreiben.

Vor dem Hintergrund der skizzierten Zugangsweisen zum Begriff des sozialen Bandes verfolgt die Tagung eine vierfache Zielsetzung:

(i) Theoriegeschichtliche Bestandsaufnahme: Wie ist das soziale Band von unterschiedlichen Autorinnen und Autoren gedacht worden? Inwiefern konkurriert der Begriff des sozialen Bandes dabei mit anderen Begriffen wie etwa demjenigen des Netzes, der Zelle oder des Rhizoms?

(ii) Kritische Gegenwartsdiagnose: Von welchen Auflösungserscheinungen ist das soziale Band in unserer Gegenwart bedroht? Inwiefern bringen Prozesse der Desintegration und der Exklusion soziale Bindekräfte zum Erlahmen?

(iii) Theoretische Rekonzeptionalisierung: Warum reißt das soziale Band selbst dort nicht, wo keine Gemeinsamkeit zwischen den Einzelnen zu bestehen scheint? Wie lassen sich Widerständigkeit, Unhintergehbarkeit und Unauflöslichkeit des sozialen Bandes verstehen?

(iv) Praxistheoretische Beschreibung: Welche Praktiken der Vergemeinschaftung sind für unsere Gegenwart grundlegend? Wie lassen sich diese Vollzüge angemessen in ihrer Materialität und Körperlichkeit beschreiben?

Hinweise zur Teilnahme:
Die Veranstaltung richtet sich in erster Linie an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Termin:

23.03.2015 - 25.03.2015

Veranstaltungsort:

Seminargebäude der FernUniversität, R. 1 - 3, Universitätsstr. 33
58097 Hagen
Nordrhein-Westfalen
Deutschland

Zielgruppe:

Wissenschaftler

Relevanz:

überregional

Sachgebiete:

Gesellschaft, Kulturwissenschaften, Philosophie / Ethik, Psychologie

Arten:

Konferenz / Symposion / (Jahres-)Tagung

Eintrag:

18.02.2015

Absender:

Susanne Bossemeyer

Abteilung:

Dez. 7.2 – Hochschulstrategie und Kommunikation

Veranstaltung ist kostenlos:

nein

Textsprache:

Deutsch

URL dieser Veranstaltung: http://idw-online.de/de/event50039


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