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30.10.2014 09:10

Protokolle in Strafverfahren: Der Stil beeinflusst die Richter

lic. phil. Christoph Dieffenbacher Kommunikation & Marketing
Universität Basel

    Die formale Gestaltung von Einvernahmeprotokollen hat einen Einfluss auf Richter und ihre Entscheide – auch wenn der Informationsgehalt derselbe ist. Dies ergab eine gross angelegte nationale Studie der Universität Basel, an der sich 645 Richter und Richterinnen aus allen Landesteilen beteiligten. Bisher war einzig klar, dass Protokolle in Strafverfahren Fehlurteile provozieren, wenn sie Aussagen gar nicht oder fehlerhaft wiedergeben.

    Einvernahmeprotokolle haben in schweizerischen Strafverfahren eine immer wichtigere Bedeutung. Im Rahmen ihrer Studie legten die Juristin und Kriminologin Prof. Nadja Capus sowie die Soziologin lic. phil. Franziska Hohl Zürcher den befragten Richtern Ende 2013 inhaltlich identische Protokolle in vier formal unterschiedlich gestalteten Versionen vor. Dabei zeigte sich, dass Richter die Aussagen einer beschuldigten Person als weniger überzeugend und plausibel einschätzen, wenn die Fragen konfrontativ protokolliert sind – zum Beispiel mit einer Formulierung wie «Anerkennen Sie diesen Sachverhalt als richtig?» statt «Was sagen Sie dazu?»

    Überraschend war für die Forscherinnen, wie stark ein konfrontativer Befragungsstil die Richter an der ordnungsgemässen Durchführung der Befragung zweifeln lässt. In ihren Antworten stuften sie solche Befragungen als deutlich weniger fair, weniger umfassend und weniger kompetent ein als Befragungen in offenem Stil. Staatsanwälte und Polizisten, die sich im Protokoll als harte und konfrontative Befrager darstellen, sollten laut den Forscherinnen also vorsichtig sein: Das könnte den konträren Effekt bewirken und dazu führen, dass ihre Kompetenz als Befrager angezweifelt wird.

    Auswirkungen auf Urteile
    Die Studie ist Teil des Forschungsprojekts «Strafverfahren im Wandel», das vom Schweizerischen Nationalfonds finanziert wird. Laut den Wissenschaftlerinnen tragen die Resultate dazu bei, eine wichtige Forschungslücke zu schliessen: Denn was Beschuldigte oder Zeugen in der Befragung bei der Polizei oder der Staatsanwaltschaft aussagen, ist für die spätere Urteilsfindung von Bedeutung. Was sie aber tatsächlich gesagt haben, wissen die Richter nicht – diese wissen einzig, was im Schriftprotokoll der Einvernahme steht.

    Theoretisch haben Richter zwar die Möglichkeit, die Zeugen vor Gericht zu laden und sie selber zu befragen, um sich einen möglichst unverfälschten Eindruck zu verschaffen. Aber das kostet Zeit und Geld und wird zudem von der 2011 in Kraft getretenen Eidgenössischen Strafprozessordnung nicht favorisiert. Entsprechend hat in den letzten Jahren die Bedeutung der Schriftprotokolle zugenommen und jene der gerichtlichen Einvernahmen abgenommen.

    Protokollierung kaum geregelt
    Die Resultate der Studie sind auch angesichts dessen zu werten, dass die Protokollierung in der Schweiz gesetzlich nur rudimentär geregelt ist. Über wichtige Fragen, die auf richterliche Entscheide einen Einfluss haben können, entscheiden Polizisten, Staatsanwälte und ihre Protokollführer autonom. Vorschriften gibt es kaum, so etwa zu folgenden Punkten: Werden sämtliche Fragen des vernehmenden Polizisten oder Staatsanwalts mitprotokolliert oder nicht? Kommen nachträglich geäusserte Präzisierungen oder Korrekturen der vernommenen Person ins Protokoll? Sollen emotionale Regungen und nonverbale Statements vermerkt werden?

    Zu dieser Studie findet am Donnerstag, 13. November 2014, um 17.15 Uhr, eine Veranstaltung an der Juristischen Fakultät der Universität Basel (Pro-Iure-Auditorium, Peter-Merian-Weg 8, Basel) statt.

    Originalbeitrag
    Nadja Capus, Franziska Hohl Zürcher
    Richtertätigkeit vor dem Rechtsprechen: Das Lesen der Einvernahmeprotokolle. Resultate einer Befragung von Richterinnen und Richtern zu Einvernahmeprotokollen im Strafverfahren
    In: «Plädoyer», Magazin für Recht und Politik, Heft 6/2014 (erscheint demnächst).

    Weitere Auskünfte

    Prof. Dr. iur. Nadja Capus, Juristische Fakultät der Universität Basel, Tel. +41 (0)61 267 25 32, E-Mail: nadja.capus@unibas.ch
    lic. phil. Franziska Hohl Zürcher, Juristische Fakultät der Universität Basel, Tel. +41 (0)61 267 25 41, E-Mail: franziska.hohl@unibas.ch


    Weitere Informationen:

    https://protokollforschung.ius.unibas.ch - Projekt Strafverfahren im Wandel/ Einvernahmeprotokolle an der Universität Basel


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
    Recht, Sprache / Literatur
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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