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18.06.2015 11:24

Wissenschaftlerin fordert zur Erforschung der nach Ölunfällen eingesetzten Dispersionsmittel auf

Dr. Karl Guido Rijkhoek Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen

    Über die Wirkung auf ölabbauende Mikroorganismen im Ozean ist bisher zu wenig bekannt – Begrenzung der Umweltschäden nach Unfällen

    Mikroorganismen sind Verwertungskünstler und können eine Vielzahl von organischen Stoffen abbauen. Einige Bakteriengruppen können sich sogar von den Kohlenwasserstoffen ernähren, die den Hauptbestandteil von Mineralöl bilden. Auf diese besonderen Fähigkeiten setzt man auch bei der Bekämpfung von Ölkatastrophen im Meer, wie sie beim Auslaufen von Tankschiffen, undichten Pipelines oder Ölplattformen passieren. Um den Abbau der Ölbestandteile zu beschleunigen, werden häufig in großem Stil Dispersionsmittel eingesetzt. Sie lösen Ölansammlungen auf und fangen das Öl in kleinen Tröpfchen ein, die für die Bakterien leichter zugänglich sein sollen. Doch nach Überprüfung der vorhandenen Daten zu diesen Dispersionsmitteln weist die Molekularökologin Dr. Sara Kleindienst vom Arbeitsbereich Geomikrobiologie der Universität Tübingen zusammen mit zwei US-amerikanischen Kollegen auf Unklarheiten über die Wirkung dieser Chemikalien auf Mikroorganismen hin. In der Fachzeitschrift Nature Reviews Microbiology macht sie auf mögliche Umweltrisiken der Dispersionsmittel aufmerksam, stellt die erhoffte positive Wirkung auf ölabbauende Organismen in Frage und beschreibt die Forschungslücke, die vor der nächsten Katastrophe geschlossen werden müsste.

    Öl gelangt auf unterschiedliche Weise in die Umwelt. In Ozeanen gibt es natürliche Quellen, an denen Öl aus tiefen Gesteinsschichten in die obersten Sedimentschichten gelangt und dort in das Wasser austritt. Einige dieser natürlichen Quellen sind sogar so aktiv, dass das Öl auf der Wasseroberfläche sichtbar ist. Ölquellen sind ein faszinierender Lebensraum für viele Lebewesen und werden seit ihrer Entdeckung als Tiefseeoasen des Lebens bezeichnet. An diesen Standorten herrscht eine große Artenvielfalt, insbesondere auch für Mikroorganismen, die aus dem Öl gewonnene Kohlenwasserstoffe als Nahrungs- und Energiequelle nutzen. Aber Öl gelangt auch als Folge von Unfällen in die Umwelt. Besonders präsent ist die letzte große Katastrophe, bei der die Ölplattform „Deepwater Horizon“ im April 2010 explodierte und über mehrere Monate hinweg enorme Mengen Öl in den Golf von Mexiko freisetzte.

    Nach Ölunfällen in Ozeanen werden weltweit routinemäßig chemische Dispersionsmittel eingesetzt. Je nach Ölmenge werden bis zu mehrere Millionen Liter ausgebracht, um Ölklumpen aufzulösen, Ölanschwemmung an Küsten zu verhindern und die Öldispersion im Wasser zu steigern. „Es wird allgemein davon ausgegangen, dass der Einsatz dieser Mittel zu einem erhöhten und schnelleren mikrobiellen Abbau des Öls führt“, sagt Sara Kleindienst, die vor kurzem aus den USA an die Universität Tübingen gekommen ist. Tatsächlich sei die Wirkung von Dispersionsmitteln auf die Mikroorganismen im Ozean bisher kaum untersucht worden, sie könnte möglicherweise sogar nachteilig sein. Die Gefährdung der Ozeane durch Dispersionsmittel ist bisher nicht abzuschätzen.

    Die Wissenschaftlerin hat in Zusammenarbeit mit den amerikanischen Wissenschaftlern Prof. John Paul von der University of South Florida und Prof. Samantha Joye von der University of Georgia diese Forschungslücke und das große Umweltrisiko der Dispersionsmittel aufgezeigt. „Es gibt kaum wissenschaftliche Studien zum Einfluss von Dispersionsmitteln auf Mikroorganismen, und die wenigen bereits veröffentlichten Studienergebnisse sind widersprüchlich“, sagt sie. So sei bislang unklar, ob Dispersionsmittel die Aktivitäten von ölabbauenden Mikroorganismen steigern oder verringern. Die Mittel könnten toxisch auf Mikroorgansimen wirken und genverändernde Stoffe enthalten. In ihrer Arbeit weisen die Wissenschaftler deshalb auf den dringenden Bedarf für systematische Studien unter Verwendung von standardisierten Protokollen hin. Das Wissen werde dringend benötigt, um bei der nächsten Ölkatastrophe den Entscheidungsprozess um den Einsatz von Dispersionsmitteln mit wissenschaftlichen Daten unterstützen zu können.

    Originalpublikation:
    S. Kleindienst, J.H. Paul, S.B. Joye (2015): Using dispersants following oil spills: impacts on the composition and activity of microbial communities. Nature Reviews Microbiology, 13: 388-396

    Kontakt:
    Dr. Sara Kleindienst
    Universität Tübingen
    Zentrum für Angewandte Geowissenschaften
    Mikrobielle Ökologie/Geomikrobiologie
    Telefon: +49 7071 29-75496
    Fax: +49 7071 29-5059
    E-Mail: sara.kleindienst[at]uni-tuebingen.de


    Bilder

    Großflächige Ölverschmutzung auf der Wasseroberfläche des Golfs von Mexiko als Folge der Deepwater Horizon-Katastrophe.
    Großflächige Ölverschmutzung auf der Wasseroberfläche des Golfs von Mexiko als Folge der Deepwater H ...
    Foto: Samantha Joye
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    Ölaggregate, sogennanter mariner Ölschnee, bildete sich auf der Wasseroberfläche. Die weißen Filamente in den Aggregaten könnten mit dem Einsatz von Dispersionsmitteln zusammenhängen.
    Ölaggregate, sogennanter mariner Ölschnee, bildete sich auf der Wasseroberfläche. Die weißen Filamen ...
    Foto: Samantha Joye
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Biologie, Geowissenschaften, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Großflächige Ölverschmutzung auf der Wasseroberfläche des Golfs von Mexiko als Folge der Deepwater Horizon-Katastrophe.


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    Ölaggregate, sogennanter mariner Ölschnee, bildete sich auf der Wasseroberfläche. Die weißen Filamente in den Aggregaten könnten mit dem Einsatz von Dispersionsmitteln zusammenhängen.


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