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18.06.2015 14:32

Wie Krebsschmerz entsteht

Julia Bird Unternehmenskommunikation
Universitätsklinikum Heidelberg

    Nervenzellen reagieren auf Botenstoffe von Tumoren und werden dadurch übersensibel für Schmerzreize / Heidelberger Wissenschaftler veröffentlichen in „Cancer Cell“

    Wie Krebsschmerz, unter dem besonders Patienten mit Krebsabsiedlungen im Knochen oder bestimmten Tumoren der Bauchspeicheldrüse leiden, seinen Anfang nimmt, haben Wissenschaftler des Universitätsklinikums Heidelberg um Professor Dr. Rohini Kuner und des Deutschen Krebsforschungszentrums um Professor Dr. Hellmut Augustin nun entdeckt: Schütten Tumoren bestimmte Botenstoffe aus, um das Wachstum neuer Blutgefäße in ihrer Umgebung anzuregen, reagieren benachbarte Nervenzellen empfindlich. Das macht sie übersensibel für Schmerzreize. Der Sensor für diese Botenstoffe ist ein sogenanntes Rezeptorprotein (VEGF-Rezeptor 1), das zwar schon länger bekannt ist, über dessen genaue Funktion man bisher aber noch wenig weiß. Es kommt in Blutgefäßen und Nervenendigungen vor. Wird es im Experiment blockiert, lindert das die Tumorschmerzen. Die Forschungsergebnisse sind nun im renommierten Journal „Cancer Cell“ erschienen.

    Erreicht ein Tumor eine bestimmte Größe, benötigt er für sein weiteres Wachstum eine gute Anbindung an den Blutkreislauf. Indem er bestimmte, auch im gesunden Körper vorkommende Wachstumsfaktoren an seine Umgebung abgibt, regt er benachbarte Blutgefäße dazu an, neue Verzweigungen zu bilden. Eine wichtige Rolle in diesem Prozess spielen der Wachstumsfaktor VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor) und verwandte Moleküle. Sie binden an Rezeptorproteine (VEGF-R1 und -R2) in den Gefäßwänden und aktivieren so die Bildung neuer Blutgefäße. VEGF und Konsorten sind aber auch bei Entwicklungsprozessen im Nervensystem beteiligt und Nervenenden außerhalb von Gehirn und Rückenmark tragen auch im Erwachsenenalter noch VEGF-Rezeptoren an ihrer Oberfläche. „Wozu ausgereifte Nervenzellen Sensoren für Wachstumsfaktoren des Gefäßsystems benötigen, ist unklar. Allerdings ist die Interaktion zwischen Nerven und Blutgefäßen bisher noch kaum erforscht“, sagt Professor Dr. Rohini Kuner, Geschäftsführende Direktorin des Pharmakologischen Instituts der Universität Heidelberg.

    Kein Tumorschmerz, wenn eines von zwei ähnlichen Rezeptorproteinen fehlt

    Die Heidelberger Wissenschaftler zeigten im Mausversuch, dass die Wachstumsfaktoren wie VEGF Nerven für Schmerzreize sensibilisieren: Sie reagieren fortan schon auf geringe, an sich harmlose Reize mit einer Schmerzmeldung. Verantwortlich dafür ist allerdings nur einer der beiden Rezeptoren, der VEGF-Rezeptor 1. Dies entdeckten die Forscher, indem sie die Rezeptorproteine 1 und 2 jeweils einzeln und gezielt nur in den Nervenzellen blockierten. Ohne funktionsfähigen Rezeptor 1 trat beim Abtasten kaum Sensibilisierung auf, ohne Rezeptor 2 dagegen war die Empfindlichkeit unverändert erhöht.

    Zusätzlich analysierte das Team Tumorgewebe von Patienten mit einer bestimmten und sehr schmerzhaften Form des Bauchspeicheldrüsenkrebs, dem duktalen Pankreaskarzinom. Die Patienten wurden entsprechend ihrer Schmerzen vor der Operation in drei Gruppen eingeteilt. Es zeigte sich: Je stärker die Tumorschmerzen, desto mehr VEGFR1 fand sich auf der Oberfläche der Nervenendigungen. „Wir gehen davon aus, dass die Intensität der Tumor-schmerzen direkt mit der Menge und Aktivität des Rezeptorproteins VEGFR1 zusammenhängt“, sagt Erstautorin Dr. Deepitha Selvaraj vom Pharmakologischen Institut. Auch bei den äußerst schmerzhaften Tumorabsiedlungen in Knochen, z.B. bei Prostatakrebs, ist die Menge des Rezeptorproteins auf den umliegenden Nervenzellen erhöht. „Unsere Ergebnisse zeigen allerdings nur, wie es zur Sensibilisierung der Nervenzellen durch das Tumorwachstum kommt. Was anschließend den anhaltenden Krebsschmerz aufrecht erhält, muss noch erforscht werden“, so die Wissenschaftlerin. Offen ist zudem die Frage, warum nur bestimmte Tumoren Schmerzen auslösen, andere, wie beispielsweise Brustkrebs, trotz gleicher Wachstumsmechanismen dagegen nicht.

    Gezielte Schmerztherapie ohne Wirkung auf Blutgefäße

    Trotzdem geben die Arbeiten erste Anhaltspunkte, wie Krebsschmerz in Zukunft besser behandelt werden könnte: „Wir empfehlen, direkt den Rezeptor 1 mit Hilfe spezieller Blocker auszuschalten. Fängt man die Wachstumsfaktoren ab, was man bereits bei einigen experimentellen Krebstherapien tut, um das Tumorwachstum zu stoppen, greift man gleichzeitig die gesunden Blutgefäße an. Bei einer R1-Blockade konnten wir bisher keine Gefäßveränderungen feststellen“, so Professor Kuner.

    Literatur:
    A Functional Role for VEGFR1 Expressed in Peripheral Sensory Neurons in Cancer Pain.
    Selvaraj D, Gangadharan V, Michalski CW, Kurejova M, Stösser S, Srivastava K, Schweizerhof M, Waltenberger J, Ferrara N, Heppenstall P, Shibuya M, Augustin HG, Kuner R., Cancer Cell. 2015 Jun 8;27(6):780-96. doi: 10.1016/j.ccell.2015.04.017.

    Professor Dr. Rohini Kuner
    Geschäftsführende Direktorin
    Pharmakologisches Institut
    Universitätsklinikum Heidelberg
    E-Mail: rohini.kuner@pharma.uni-heidelberg.de
    Tel.: 06221 54-8247 (Sekretariat)

    Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Heidelberg
    Krankenversorgung, Forschung und Lehre von internationalem Rang

    Das Universitätsklinikum Heidelberg ist eines der bedeutendsten medizinischen Zentren in Deutschland; die Medizinische Fakultät der Universität Heidelberg zählt zu den international renommierten biomedizinischen Forschungseinrichtungen in Europa. Gemeinsames Ziel ist die Entwicklung innovativer Diagnostik und Therapien sowie ihre rasche Umsetzung für den Patienten. Klinikum und Fakultät beschäftigen rund 12.600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und engagieren sich in Ausbildung und Qualifizierung. In mehr als 50 klinischen Fachabteilungen mit ca. 1.900 Betten werden jährlich rund 66.000 Patienten voll- bzw. teilstationär und mehr als 1.000.000 mal Patienten ambulant behandelt. Das Heidelberger Curriculum Medicinale (HeiCuMed) steht an der Spitze der medizinischen Ausbildungsgänge in Deutschland. Derzeit studieren ca. 3.500 angehende Ärztinnen und Ärzte in Heidelberg.


    Weitere Informationen:

    http://www.medizinische-fakultaet-hd.uni-heidelberg.de/Kuner.107599.0.html Pharmakologisches Institut


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
    Biologie, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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