Dresden, den 02.03.2016. Senckenberg-Wissenschaftler haben das Forest Stewardship Council-Zertifizierungssystem (FSC) auf dessen Nachhaltigkeit und seinen Beitrag zum Schutz der Artenvielfalt getestet. Das internationale Forscherteam hat im Rahmen einer Evaluierung des Zertifizierungsprojektes in den Regenwäldern Zentral-Guyanas untersucht, wie sich verschiedene Froscharten in nachhaltig bewirtschafteten Forstgebieten unter dem Einfluss von extremen Klimaereignissen verhalten. In der kürzlich im Fachjournal „Biotropica“ erschienen Studie zeigen sie, dass Amphibiengemeinschaften in bereits eingeschlagenen Wäldern weniger empfindlich auf klimatische Extreme reagieren.
Fast 150 Millionen Hektar Wald in rund 80 Ländern wurden bis heute weltweit nach den Kriterien des Forest Stewardship Council (FSC) zertifiziert. Wälder mit diesem Zertifikat werden ökologisch verantwortungsvoll bewirtschaftet, die Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten bleibt erhalten und das Holz wird unter sozial gerechten Bedingungen produziert – so steht es in den Statuten des FSC. „Aber kann tropische Forstwirtschaft und der Erhalt der biologischen Vielfalt angesichts des globalen Klimawandels wirklich in Einklang gebracht werden?“, fragt Dr. habil. Raffael Ernst von den Senckenberg Naturhistorische Sammlungen in Dresden.
Der Amphibienforscher hat gemeinsam mit einem internationalen Team eine Studie zu dieser Fragestellung in den Regenwäldern Zentral-Guyanas durchgeführt: Anhand von Amphibien als Modelorganismengruppe haben die Wissenschaftler die Auswirkungen von extremen Klimaereignissen, wie beispielsweise anhaltenden Trockenperioden oder Starkregenereignissen in drei Untersuchungsgebieten untersucht. Sie verglichen dabei ein Waldstück ohne Holzeinschlag, ein Gebiet mit aktueller Holzförderung und eine brach liegende Fläche, in der bereits Holz eingeschlagen wurde. Die Veränderungen der Artenzusammensetzung und die Verteilungsmuster von insgesamt 2628 Fröschen aus 39 Arten und 11 Familien wurden über einen Zeitraum von drei Jahren in dem 232,25 Hektar großen Waldgebiet miteinander verglichen.
„Das Ergebnis hat uns überrascht“, erzählt Ernst und fährt fort: „Amphibiengemeinschaften in bereits eingeschlagenen Wäldern reagieren zunächst unempfindlicher auf klimatische Extreme als ihre Verwandten in unbeeinflussten Wäldern. In den Primärwäldern unterliegt die Artenvielfalt bei Klimaextremen viel stärkeren Schwankungen.“ So fühlten sich die Pfeiffroscharten Leptodactylus petersii und Physalaemus ephippifer beispielsweise in den bereits bewirtschafteten Wäldern wohl und traten dort in hoher Anzahl auf.
Die Wissenschaftler erklären sich dies durch das Vorhandensein künstlicher Ausweichhabitate, die infolge des Holzeinschlags entstehen und von diesen Arten zur Fortpflanzung genutzt werden. Die durch die Bewirtschaftung neu entstandenen Lebensräume haben somit bei Extremereignissen laut der Studie eine Pufferfunktion und verhindern weitere Diversitätsverluste. „Allerdings wählen nur wenige Arten die künstlich geschaffenen Lebensräume für die Fortpflanzung – das Diversitätsniveau ist insgesamt in diesen Gebieten sehr viel niedriger als in unberührten Wäldern, und die Zusammensetzung der Artengemeinschaft ändert sich“, erläutert der Dresdner Wissenschaftler.
Die Ergebnisse zeigen, dass reale Prozesse häufig sehr viel komplexer sind, als in der Theorie vermutet – „wir empfehlen daher vermehrte Feldstudien und eine Berücksichtigung solcher Untersuchungsergebnisse bei geplanten Restorationsmaßnahmen in Wäldern“, resümiert Ernst.
Kontakt
Dr. habil. Raffael Ernst
Kurator Herpetologie
Museum für Tierkunde Dresden
Tel.: 0351-7958 41-4315
Raffael.Ernst@senckenberg.de
Judith Jördens
Pressestelle
Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Tel. 069- 7542 1434
pressestelle@senckenberg.de
Publikation
Hölting, M., Bovolo, C. I. and Ernst, R. (2016), Facing Complexity in Tropical Conservation: How Reduced Impact Logging and Climatic Extremes Affect Beta Diversity in Tropical Amphibian Assemblages. Biotropica.
doi: 10.1111/btp.12309
Die Natur mit ihrer unendlichen Vielfalt an Lebensformen zu erforschen und zu verstehen, um sie als Lebensgrundlage für zukünftige Generationen erhalten und nachhaltig nutzen zu können - dafür arbeitet die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung seit nunmehr fast 200 Jahren. Diese integrative „Geobiodiversitätsforschung“ sowie die Vermittlung von Forschung und Wissenschaft sind die Aufgaben Senckenbergs. Drei Naturmuseen in Frankfurt, Görlitz und Dresden zeigen die Vielfalt des Lebens und die Entwicklung der Erde über Jahrmillionen. Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung ist ein Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Das Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt am Main wird von der Stadt Frankfurt am Main sowie vielen weiteren Partnern gefördert. Mehr Informationen unter www.senckenberg.de.
2016 ist Leibniz-Jahr. Anlässlich des 370. Geburtstags und des 300. Todestags des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz (*1.7.1646 in Leipzig, † 14.11.1716 in Hannover) veranstaltet die Leibniz-Gemeinschaft ein großes Themenjahr. Unter dem Titel „die beste der möglichen Welten“ – einem Leibniz-Zitat – rückt sie die Vielfalt und die Aktualität der Themen in den Blick, denen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der bundesweit 88 Leibniz-Einrichtungen widmen. www.bestewelten.de
Hypsiboas crepitans – eine der 39 untersuchten Froscharten.
© Senckenberg
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Die künstlich angelegten Ausweichhabitate werden von einigen Arten zur Fortpflanzung genutzt.
© Senckenberg
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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