idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
13.11.2017 17:00

Der Thalamus hilft dem Großhirn beim Lernen

Dr. Stefanie Merker Presse und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Neurobiologie

    Die Großhirnrinde, auch Kortex genannt, gilt als Sitz von Intelligenz und Bewusstsein. Hier lernen und denken wir, machen uns ein Bild von unserer Umwelt, steuern bewusstes Verhalten und speichern Erinnerungen. Vorgeschaltete Hirnregionen wie der Thalamus leiten Informationen von den Sinnesorganen an die entsprechenden Kortexregionen weiter und filtern die Signale gegebenenfalls. So steht es meist in den Lehrbüchern. Nun zeigen Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie, dass dieses Bild teilweise revidiert werden muss. Denn zumindest im Mausgehirn scheint der Thalamus eine deutlich aktivere Rolle bei Lernvorgängen im Bereich der Sehverarbeitung zu spielen als angenommen.

    Ein junges Gehirn muss viel lernen – auch, wie es die Informationen der beiden Augen interpretiert und zu einem sinnvollen Bild der Umwelt zusammenfügt. So vernetzen sich die Zellen im visuellen Kortex während der Entwicklung, um visuelle Umweltreize bestmöglich zu verarbeiten. Dabei kann es vorkommen, dass sich die Signale aus einem Auge nicht mit denen des anderen Auges decken, zum Beispiel bei schielenden Kindern. Das Resultat kann eine „Fehlverdrahtung“ der Augen im Gehirn sein. Die daraus entstehende Sehschwäche kann jedoch oft durch das zeitweise Abdecken des dominanten Auges korrigiert werden. Geschieht dieses Abdecken in der für die Entwicklung der Sehverarbeitung kritischen Phase, verändern die Zellen ihre Verbindungen und der für das dominante Auge zuständige Gehirnbereich übernimmt wieder Signale aus dem noch offenen, schwächeren Auge. Das Gehirn kann also lernen, die Informationen anders zu verarbeiten – eine Erkenntnis, die erfolgreich beim Verwenden von Augenpflastern bei schielenden Kindern eingesetzt wird. Diese gut untersuchten Vorgänge im visuellen Kortex gelten zudem seit vielen Jahren als Modell für die Untersuchung von Lernmechanismen in der Großhirnrinde am Beispiel der Maus.

    Als Wissenschaftler aus der Abteilung von Tobias Bonhoeffer während eines temporären Augenverschlusses nun jedoch die Aktivität von Thalamus-Nervenzellen untersuchten, machten sie eine erstaunliche Entdeckung: Diese Zellen gaben die Informationen aus den Augen nicht einfach an den Kortex weiter, sondern veränderten ihre Signale in Reaktion auf den Augenverschluss durch Stärkung ihrer Verbindungen. „Das war vollkommen unerwartet, denn seit über 50 Jahren gilt, dass der Thalamus nur weiterleitet und nicht aktiv an Lernvorgängen beteiligt ist“, berichtet Tobias Rose, der Leiter der in Nature Neuroscience publizierten Studie. Frühere Untersuchungen auf diesem Gebiet hatten keine Veränderungen im Thalamus gezeigt. „Vielleicht verhält sich der Thalamus der Maus anders als der der damals untersuchten Säugetiere, oder die Methoden waren einfach noch nicht empfindlich und präzise genug“, überlegt Rose. „Unsere Studie zeigt auf jeden Fall, dass der Thalamus eine aktive Rolle bei Lernvorgängen spielt.“ Durch eine Reihe weiterer Untersuchungen konnten die Wissenschaftler zeigen, dass es unwahrscheinlich ist, dass die beobachteten Änderungen erst durch Rückmeldung aus dem Kortex in den Thalamuszellen entstehen. „Wir wissen anscheinend weniger als gedacht und müssen die Rolle des Thalamus bei Lernvorgängen im Gehirn nun neu überdenken“, so Tobias Bonhoeffer.

    ORIGINALVERÖFFENTLICHUNG
    Juliane Jäpel, Mark Hübener, Tobias Bonhoeffer, Tobias Rose
    Lateral geniculate neurons projecting to primary visual cortex show ocular dominance plasticity in adult mice
    Nature Neuroscience, online am 13. November 2017

    KONTAKT
    Dr. Stefanie Merker
    Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
    Max-Planck-Institut für Neurobiologie, Martinsried
    Tel.: 089 - 8578 3514
    E-Mail: merker@neuro.mpg.de

    Prof. Dr. Tobias Bonhoeffer
    Abteilung "Synapsen – Schaltkreise – Plastizität"
    Max-Planck-Institut für Neurobiologie, Martinsried
    Tel.: 089 - 8578 3751
    Email: office.bonhoeffer@neuro.mpg.de


    Weitere Informationen:

    http://www.neuro.mpg.de/bonhoeffer/de - Abteilung von Tobias Bonhoeffer am MPI für Neurobiologie


    Bilder

    Entgegen der Lehrbuchmeinung sind nicht nur Nervenzellen der Sehrinde, sondern auch Thalamus-Zellen plastisch – sie können sich an Veränderungen anpassen.
    Entgegen der Lehrbuchmeinung sind nicht nur Nervenzellen der Sehrinde, sondern auch Thalamus-Zellen ...
    © MPI für Neurobiologie / Tobias Rose
    None


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
    Biologie, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Entgegen der Lehrbuchmeinung sind nicht nur Nervenzellen der Sehrinde, sondern auch Thalamus-Zellen plastisch – sie können sich an Veränderungen anpassen.


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).