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30.01.2018 10:02

Religionen im Krieg

Marco Bosch Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Julius-Maximilians-Universität Würzburg

    Der Begriff „Religionskrieg“ wurde in der Zeit des französischen Königs Ludwig XIV. geprägt – in einer Debatte, die bis heute nachwirkt. Das zeigt der Historiker Dr. Christian Mühling in seiner Doktorarbeit, für die er nun eine Auszeichnung bekommen hat und die soeben auch als Buch erschienen ist.

    Der Begriff „Religionskrieg“ wurde in der Zeit des französischen Königs Ludwig XIV. geprägt – in einer Debatte, die bis heute nachwirkt. Das zeigt der Historiker Dr. Christian Mühling in seiner Doktorarbeit, für die er nun eine Auszeichnung bekommen hat.
    In Frankreich sorgte die Reformationsbewegung in der christlichen Kirche für besonders heftige Turbulenzen. Bis 1593 kam es zu insgesamt acht Bürgerkriegen zwischen Katholiken und Hugenotten, wie die Protestanten in Frankreich abfällig genannt wurden.

    Es folgten wenige Jahrzehnte der Toleranz, danach verschlechterte sich die Lage für die Hugenotten wieder: Der „Sonnenkönig“ Ludwig XIV., der 1643 an die Macht kam, trachtete im Verein mit der katholischen Kirche danach, den Protestantismus zurückzudrängen. Eine Flut von restriktiven Gesetzen sorgte unter anderem dafür, dass die Hugenotten ihre Toten nicht am Tag beerdigen oder nicht jeden Beruf ausüben durften. Im Jahr 1685 folgte schließlich ein Totalverbot des reformierten Protestantismus.

    Schuldfrage stand im Zentrum der Debatte

    Unter Ludwig XIV. wurde der Religionskonflikt von einer intensiven Debatte begleitet. Sie drehte sich vor allem um die Frage, wer die Schuld am Konflikt trage. In Flugblättern und anderen Schriften, die zu 90 Prozent von Geistlichen verfasst wurden, wies die katholische Seite die Schuld den Hugenotten zu und propagierte deren Vernichtung als „gottgefällige“ Tat. Die Beschuldigten wehrten sich ebenfalls schriftlich. Sie trugen zum Beispiel die Behauptung vor, die Religion diene den Katholiken nur als Vorwand, um an Geld und Macht zu kommen.

    Auch der König selbst mischte in der Debatte mit. Dabei schreckte er nicht vor Falschmeldungen zur Diskreditierung der Hugenotten zurück, die er unter falschen Namen veröffentlichen ließ – „Fake News“ sind also keine Erfindung des Social-Media-Zeitalters. „In der Propaganda Ludwigs XIV. waren sie eher die Regel als die Ausnahme“, sagt Dr. Christian Mühling, Historiker von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.

    Bestimmte Kriege wurden zu „Religionskriegen“

    Mühling hat den schriftlich geführten Religionsstreit dieser Zeit in seiner Doktorarbeit untersucht. „Es kam damals zu einem intensiven Rückgriff auf die Geschichte“, erzählt er: Die Katholiken zum Beispiel behaupteten, die Protestanten hätten schon immer Religionskriege angefangen. Sie benannten auch gleich konkret die Kriege, an denen ihre Gegner Schuld gewesen sein sollten. Der 30-Jährige Krieg zum Beispiel wird laut Mühling erst seit dieser Zeit durchgängig als Religionskrieg bezeichnet.

    Generell habe der Begriff „Religionskrieg“ bis zur Debatte unter Ludwig XIV. für alle möglichen Auseinandersetzungen gegolten, selbst für den Streit zwischen den altgriechischen Philosophen Platon und Sokrates. Danach habe man die Bezeichnung nur noch für ganz bestimmte Kriege verwendet – verbunden mit der Einschätzung, dass für diese Kriege jeweils die Religion verantwortlich gewesen sei.

    Starker Widerhall in Deutschland und England

    In seiner Doktorarbeit hat Christian Mühling auch nachverfolgt, wie die Religionskrieg-Debatte schnell ihre Kreise über Frankreich hinaus zog. „Die französische Sprache war damals in Europa weit verbreitet, und viele Schriften aus der Debatte wurden übersetzt.“ Vor allem in Deutschland und England fiel das Thema auf fruchtbaren Boden. In Deutschland lebten viele Hugenotten, die wegen der zunehmenden Repressalien aus ihrer Heimat geflohen waren. Und in England gehörten ohnehin fast alle Einwohner dem protestantischen Glauben an.

    Die Debatte von damals lebt weiter

    In dieser Zeit, an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert, entstand laut Mühling ein Geschichtsbild vom „Religionskrieg“, das bis heute nachwirkt. Dazu gehöre zum Beispiel die Einschätzung, die Religion sei an den meisten Kriegen Schuld gewesen, von den Kreuzzügen bis hin zum Krieg der USA gegen den Irak. Sie sei barbarisch und ein überholtes Konstrukt.

    Bis heute hat sich auch die Meinung gehalten, die Religion habe dem Klerus bei Kriegen immer nur als schöner Vorwand gedient, um seine Herrschsucht, seine Machtinteressen und seine Geldgier durchsetzen zu können. „Genau diese Argumentationen tauchen auch auf, wenn es um den Islamischen Staat geht“, sagt Mühling. „Vermutlich wird hier ein sehr europäisches Interpretationsmuster einfach auf die islamische Welt projiziert.“

    Deutsch-französischer Preis für die Doktorarbeit

    Für seine Doktorarbeit hat Christian Mühling am 25. Januar 2018 eine Auszeichnung erhalten: In der deutschen Botschaft in Paris wurde ihm der deutsch-französische Dissertationspreis verliehen. Der mit 4.500 Euro dotierte Preis wird jährlich von der Deutsch-Französischen Hochschule verliehen. Er geht jeweils an eine herausragende Dissertationsschrift, die in einer Zusammenarbeit von deutscher und französischer Forschung entstanden ist.

    Werdegang von Christian Mühling

    Christian Mühling, 1986 in Lich in Hessen geboren, hat in Marburg und Paris (Sorbonne) Geschichte, Evangelische Theologie, Romanistik und Erziehungswissenschaften studiert. Schon als Student arbeitete er in Forschungsprojekten zur Geschichte der Frühen Neuzeit mit. Ab 2012 widmete er sich dieser Epoche dann in seiner Doktorarbeit – in einem deutsch-französischen Promotionsverfahren mit Doppelbetreuung durch die Professoren Christoph Kampmann (Marburg) und Olivier Chaline (Sorbonne).

    Seit 2015 ist Mühling wissenschaftlicher Mitarbeiter von Professorin Anuschka Tischer am Lehrstuhl für Neuere Geschichte der Universität Würzburg. Hier habilitiert er zum Thema „Homosoziale Beziehungen in der Frühen Neuzeit“ – ein Gender-Thema, das sich um Männlichkeit dreht: Mühling untersucht, welche Umgangsformen und Beziehungen zwischen Männern damals den gesellschaftlichen Normen entsprachen und wie sich diese Normen im Lauf der Zeit verändert haben.

    Christian Mühling: „Die europäische Debatte über den Religionskrieg (1679-1714). Konfessionelle Memoria und internationale Politik im Zeitalter Ludwigs XIV.“ Erscheint im April 2018 im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht als Band 250 der Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte, Mainz. Ca. 620 Seiten, ca. 85,00 Euro. ISBN 978-3-525-31054-0

    Kontakt

    Dr. Christian Mühling, Institut für Geschichte der Universität Würzburg, T +49 931 31-88114, christian.muehling@uni-wuerzburg.de


    Bilder

    Dr. Christian Mühling, Institut für Geschichte, Universität Würzburg.
    Dr. Christian Mühling, Institut für Geschichte, Universität Würzburg.
    Foto: Daniela Hütter
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    .): Pascal Hector, Gesandter der Botschaft, Preisträger Dr. Christian Mühling (JMU), Paul Scheebeli, Dr. Gerd Fußmann vom Rotary Club und David Capitant, Präsident der Deutsch-Franz. Hochschule.
    .): Pascal Hector, Gesandter der Botschaft, Preisträger Dr. Christian Mühling (JMU), Paul Scheebeli, ...
    Foto: DFH-UFA
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wissenschaftler
    Geschichte / Archäologie
    überregional
    Personalia, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Dr. Christian Mühling, Institut für Geschichte, Universität Würzburg.


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    .): Pascal Hector, Gesandter der Botschaft, Preisträger Dr. Christian Mühling (JMU), Paul Scheebeli, Dr. Gerd Fußmann vom Rotary Club und David Capitant, Präsident der Deutsch-Franz. Hochschule.


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