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22.03.2019 11:58

„Das freie Wissen ist bedroht“

Jan Vestweber Pressestelle
Universität Witten/Herdecke

    Interview mit Dr. Maximilian Heimstädt zur geplanten EU-Urheberrechtsreform

    Die deutschsprachige Version von Wikipedia war gestern für einen Tag offline. Mit einem technischen Problem hatte das wenig zu tun. Der Blackout war gewollt – aus Protest gegen die neue Urheberrechtsrichtlinie der Europäischen Union. Über die stimmt das EU-Parlament am Dienstag ab. Die Reform ist stark umstritten, insbesondere Artikel 13 steht in der Kritik.

    Dr. Maximilian Heimstädt, Forscher am Reinhard-Mohn-Institut für Unternehmensführung der Universität Witten/Herdecke, beschäftigt sich mit Organisationsformen der digitalen Zivilgesellschaft. Im Interview erklärt er, warum die EU-Urheberrechtsreform so umstritten ist und wie sie die Freiheit im Netz gefährdet.

    Wer Wikipedia viel nutzt, wird überrascht gewesen sein. Die Website war gestern aus Protest gegen Artikel 13 der geplanten EU-Urheberrechtsreform offline. Was hatte es mit der Aktion auf sich?
    Mit Artikel 13 will die EU verhindern, dass Inhalte, die von Nutzern auf Plattformen hochgeladen werden, das Urheberrecht verletzen. Technisch scheint das nur durch automatisierte Upload-Filter möglich. Upload-Filter sind automatisierte Bild- und Tonerkennungssysteme. Diese Systeme gleichen hochgeladene Inhalte mit einer Lizenzdatenbank ab. Rechteinhaber von Bildern, Videos oder Audiodateien sollen so besser geschützt werden. Damit möchte die EU vor allem erreichen, dass große Plattformen wie Youtube Lizenzen für hochgeladene Inhalte kaufen.

    Das klingt zunächst unproblematisch. Wo ist der Knackpunkt?
    Die Urheberrechtsreform würde nicht nur große Player wie Google oder Youtube betreffen, sondern auch kleine Websites. Im Prinzip müsste beispielsweise jedes Forum, in dem Bilder oder Videos hochgeladen werden, eine Lizenz erwerben oder die Rechte anderweitig mit den Inhabern klären. Oft ist das allerdings nicht so einfach möglich, zum Beispiel bei Remixes und Memes. Vor allem kleinere Plattformen werden aus Angst davor, dass sie für Urheberrechtsverstöße ihrer Nutzer zur Kasse gebeten werden, präventiv das Hochladen von Inhalten verhindern. Das führt zum sogenanntem „Overblocking“.

    Die Wikipedia wäre allerdings von Artikel 13 gar nicht betroffen. Warum trotzdem der Protest?
    Online-Enzyklopädien sind generell von Artikel 13 ausgenommen. Mit dem Abschalten der Seite solidarisiert sich die Wikipedia allerdings mit anderen Plattformen, auf denen Nutzer Inhalte erstellen und teilen. Diese Orte des freien Wissens sind durch Upload-Filter bedroht. Die Wikipedia ist auf dieses Ökosystem angewiesen. Viele Quellen, auf die sich deren Artikel beziehen, könnten durch Artikel 13 aus dem Netz verschwinden. Eine Stimme bekommen diese kleinen Plattformen durch Bündnisse wie „Foren gegen Upload-Filter“ mit über 400 Mitgliedsorganisationen. Aber erst durch die Reichweite der Wikipedia werden wirklich breite Bevölkerungsschichten für das Problem sensibilisiert.

    Gibt es noch weitere Bedenken?
    Artikel 13 zielt auch darauf ab, die Vormachtstellung von Plattformen wie Youtube und Facebook einzudämmen, die deutlich von den hochgeladenen Inhalten profitieren. Letztlich sind aber nur die großen Plattformen in der Lage, technische Systeme wie Upload-Filter zu entwickeln. Kleine Plattformen können sich das gar nicht leisten und müssten die Filter der großen Tech-Konzerne lizensieren. Youtube hat mit dem Content-ID-Verfahren schon seit vielen Jahren solch einen Filter im Einsatz. Anstatt die Macht der Großen einzuschränken, erschafft man ihnen ein neues Geschäftsfeld. Das ist schon paradox.

    Gibt es eine andere Lösung, um Urheberrechte zu schützen?
    Eine grundsätzliche Idee ist, mit Pauschalabgaben zu arbeiten. Plattformen wie Youtube, deren Geschäftsmodell auf der Verbreitung fremder Inhalte basiert, würden einen monatlichen Betrag an Verwertungsgesellschaften wie die GEMA zahlen. Die wiederum reicht das Geld an die Urheber weiter. Kreative werden angemessen bezahlt, ohne dass die vielen Inseln des freien Wissens im Netz in Gefahr geraten.

    Gibt es eine Tendenz, wie die Abstimmung über die EU-Urheberrechtsreform ausfallen könnte?
    Mein Eindruck ist, dass durch das Zusammenspiel aus Online- und Offline-Protesten in den vergangenen Wochen nochmal Bewegung in das Thema gekommen ist. Und das ist auch gut so: Die Richtlinie in ihrer jetzigen Form konzentriert sich zu stark auf große Plattformen wie Youtube. Dadurch verliert sie die vielen kleinen Plattformen aus dem Blick. Die haben eben nicht nur einen kulturellen Wert im Sinne des freien Wissens. Sie sind wichtige Quellen der Innovation und somit auch wirtschaftlich relevant.

    Weitere Informationen: Dr. Maximilian Heimstädt, Maximilian.Heimstaedt@uni-wh.de oder 02302 / 926-547

    Über uns:
    Die Universität Witten/Herdecke (UW/H) nimmt seit ihrer Gründung 1982 eine Vorreiterrolle in der deutschen Bildungslandschaft ein: Als Modelluniversität mit rund 2.600 Studierenden in den Bereichen Gesundheit, Wirtschaft und Kultur steht die UW/H für eine Reform der klassischen Alma Mater. Wissensvermittlung geht an der UW/H immer Hand in Hand mit Werteorientierung und Persönlichkeitsentwicklung.

    Witten wirkt. In Forschung, Lehre und Gesellschaft.

    www.uni-wh.de / #UniWH / @UniWH


    Bilder

    Dr. Maximilian Heimstädt
    Dr. Maximilian Heimstädt
    UW/H
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wirtschaftsvertreter
    Informationstechnik, Politik, Wirtschaft
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer
    Deutsch


     

    Dr. Maximilian Heimstädt


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