idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
30.09.2019 14:44

Skepsis deutscher Fischer gegenüber EU erschwert Einhaltung der EU-Regelungen

Volker Hahn Medien und Kommunikation
Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig

    Leipzig/Hamburg/Kiel: Ein schlechtes Image einer Regulierungsinstanz wie der EU reduziert die Ehrlichkeit der Regulierten, etwa der Fischer. Diese Schlussfolgerung ziehen Forscher des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), der Universität Leipzig, der Universität Hamburg und des Kieler Instituts für Weltwirtschaft aus einem Glücksspiel-Experiment mit EU-kritischen Berufsfischern und Brexit-Wählern. Die Erkenntnis hilft unter anderem bei der Einschätzung, wie effektiv EU-Fischereiregelungen sind, die nicht kontrolliert werden. Die Studie, die im European Economic Review erschienen ist, zeigte aber auch: Die Berufsfischer waren ehrlicher als Studenten.

    Dass die EU unter deutschen Berufsfischern keinen guten Ruf genießt, belegen viele Umfragen. Welchen Einfluss diese Einstellung auf die Ehrlichkeit, etwa bei der Einhaltung von Regeln hat, war jedoch bisher unklar. Um dies herauszufinden, führten die drei Ökonomen Prof. Martin Quaas (iDiv, Universität Leipzig), Prof. Moritz Drupp (Universität Hamburg) und Prof. Menusch Khadjavi (Kieler Institut für Weltwirtschaft) ein Glücksspiel-Experiment durch.

    Alle knapp 900 deutschen Berufsfischer bekamen einen Brief, der eine Umfrage zu ökonomischen Entscheidungen von Fischern ankündigte. Sämtlichen Teilnehmern wurde ein Geldgewinn von bis zu 100 Euro in Aussicht gestellt und zusätzlich wurden 500 Euro verlost. Unter anderem sollten diese dabei viermal eine 1-Euro-Münze werfen und den Wissenschaftlern zurückmelden, wie oft diese ‚Kopf‘ oder ‚Zahl‘ zeigte. Jede ‚Zahl‘ bedeutete einen Gewinn von 5 Euro. Allerdings bekamen nicht alle denselben Brief: Ein Teil der Briefköpfe zeigte nur die Logos der Forschungsinstitutionen, ein anderer Teil zusätzlich das Logo der EU. 120 Fischer beteiligten sich an der Studie.

    Statistisch gesehen müsste als häufigstes Ergebnis zweimal ‚Zahl‘ fallen. Keinmal oder viermal ‚Zahl‘ wäre nur selten zu erwarten. In dem Wissen, dass die Angaben nicht kontrolliert werden könnten, machten einige der Teilnehmer erwartungsgemäß falsche Angaben zu ihren Gunsten. So wurde dreimal und viermal ‚Zahl‘ überproportional häufig gemeldet. Allerdings hielten sich im Schnitt immerhin vier von fünf Fischern an die Wahrheit – wenn der Briefkopf nur die Logos der Forschungseinrichtungen enthielt. Dies änderte sich jedoch, wenn in dem Anschreiben auch die Flagge der EU abgebildet war. Fast jeder dritte Fischer antwortete dann unehrlich.

    „Die Ergebnisse zeigen klar: Wenn nicht kontrolliert wird, kommt es wesentlich darauf an, welche Einstellung der Regulierte gegenüber der regulierenden Instanz hat – in diesem Fall der EU“, sagt Prof. Martin Quaas, Leiter der Forschungsgruppe Biodiversitätsökonomik bei iDiv und der Universität Leipzig.

    Aktuelle Ressentiments der Fischer gegenüber der EU-Politik erschweren effektive Regelungen

    Ehrlichkeit von Fischern spielt in der Praxis eine wesentliche Rolle bei der Einhaltung von Fischereiquoten und dem erst vor kurzem eingeführten Rückwurfverbot der Europäischen Union. Fischer müssen seitdem den gesamten Fang an Land bringen und auf ihre Quote anrechnen – auch unverkäufliche Tiere, die etwa zu klein sind und eigentlich zugunsten der Erhaltung der Bestände nicht gefangen werden sollten. Dies soll selektivere Fangtechniken befördern, denn die Tiere überleben den Fang in der Regel nicht und werden tot wieder ins Meer zurückgeworfen. Das ist nun verboten, wird bislang allerdings kaum kontrolliert.

    „Eine Überwachung würde viel Geld kosten“, sagt Erstautor Moritz Drupp, und Umweltökonom an der Universität Hamburg, der die Studie an der Universität Kiel begann. „Deshalb ist die Frage, wie ehrlich Fischer gegenüber der ungeliebten Kontrollinstanz sind, von wesentlichem Interesse bei der Regulierung öffentlicher Ressourcen wie Meeresfischen.“

    Erhöhte Unehrlichkeit bei Misstrauen gegenüber einer Instanz ist verallgemeinerbar

    Der Hang zur Unehrlichkeit gegenüber der EU ist allerdings nicht auf die Berufsfischer beschränkt. Dies zeigte der gleiche Münzwurfversuch bei einer weiteren EU-kritischen Gruppe: Den Brexit-Wählern. War der vermeintliche Absender die Europäische Union, wurden auch in dieser Gruppe häufiger unehrliche Ergebnisse zur eigenen Bereicherung gemeldet als wenn dieser Hinweis fehlte. „Daraus schließen wir: Die Unehrlichkeit gegenüber einer kritisch gesehenen Kontrollinstanz kann als allgemeingültig betrachtet werden“, sagt Prof. Menusch Khadjavi, ebenfalls Ko-Autor der Studie und Forscher am Kieler Institut für Weltwirtschaft.

    „In der Vergangenheit war die Fischereiregulierung durch die EU oft halbherzig und nicht sehr wirkungsvoll. Eine transparentere und wirkungsvollere Regulierung dürfte langfristig das Vertrauen der Fischer in die EU steigern. Unsere Studie zeigt, dass die Regulierung dann auch wieder stärker auf die Ehrlichkeit der Fischer zählen könnte“ folgert Martin Quaas.

    „Einige der befragten Fischer meldeten zurück, dass sie die Aufgaben der Forscher etwas kindisch fanden“, sagt der Generalsekretär des Deutschen Fischerei-Verbandes Dr. Peter Breckling. „Umso erfreulicher ist es, nun zu sehen, welch wichtige Ergebnisse die Studie erbracht hat.“

    Dass Berufsfischer grundsätzlich nicht besonders unehrlich sind, zeigt auch ein weiterer Kontrollversuch dieser Studie. Dieser wurde zeitgleich mit Studierenden der Universität Kiel durchgeführt. Weniger als die Hälfte der Teilnehmer berichteten hier ehrlich über ihre Münzwurf-Ergebnisse.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Martin Quaas
    Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
    Universität Leipzig
    Tel.: +49 341 97 33249
    E-Mail: martin.quaas@idiv.de
    https://www.idiv.de/de/gruppen_und_personen/mitarbeiterinnen/mitarbeiterdetails/...

    Prof. Dr. Moritz Drupp
    Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
    Universität Hamburg
    Tel.: +49 40 42838 6171
    E-Mail: moritz.drupp@uni-hamburg.de
    www.wiso.uni-hamburg.de/envecon.html

    Prof. Dr. Menusch Khadjavi
    Institut für Weltwirtschaft
    Tel.: +49 431 8814 631
    E-Mail: menusch.khadjavi@ifw-kiel.de
    https://www.ifw-kiel.de/de/experten/ifw/menusch-khadjavi/


    Originalpublikation:

    Drupp, M. A., Khadjavi, M., Quaas, M. F. (2019), Truth-telling and the regulator. Experimental evidence from commercial fishermen. European Economic Review.
    https://doi.org/10.1016/j.euroecorev.2019.103310


    Bilder

    Verachtung unter den Fischern gegenüber der EU aufgrund einer strengeren Fischereiverordnung ist weit verbreitet.
    Verachtung unter den Fischern gegenüber der EU aufgrund einer strengeren Fischereiverordnung ist wei ...
    Foto: Moritz Drupp
    None

    Autorenteam (v.l.n.r.): Prof. Martin Quaas, Prof. Menusch Khadjavi und Prof. Moritz Drupp
    Autorenteam (v.l.n.r.): Prof. Martin Quaas, Prof. Menusch Khadjavi und Prof. Moritz Drupp
    Foto: Stefan Baumgärtner
    None


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Studierende, Wirtschaftsvertreter, jedermann
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Meer / Klima, Psychologie, Umwelt / Ökologie, Wirtschaft
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Verachtung unter den Fischern gegenüber der EU aufgrund einer strengeren Fischereiverordnung ist weit verbreitet.


    Zum Download

    x

    Autorenteam (v.l.n.r.): Prof. Martin Quaas, Prof. Menusch Khadjavi und Prof. Moritz Drupp


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).