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02.04.2020 11:00

Molekulargenetische Therapie der spinalen Muskelatrophie (SMA) ist auch bei Erwachsenen wirksam

Dr. Bettina Albers Pressestelle der DGN
Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.

    Spinale Muskelatrophie (SMA) ist eine chronische neurologische Erkrankung, die in allen Altersstufen auftreten kann und zu Muskelschwund führt. Die Entdeckung der ursächlichen Genmutation hat zur Entwicklung eines spezifischen Medikaments geführt: Nusinersen – aus der Gruppe der ASO – führt zu einer Erhöhung eines fehlenden Proteins. Während bei kindlichen SMA-Formen die Wirksamkeit in großen Studien schon belegt wurde, geben nun erstmals Daten Hinweise, dass die Therapie auch bei erwachsenen SMA-Patienten wirksam und sicher ist.

    Durch den Untergang motorischer Vorderhornzellen im Rückenmark (2. Motoneuron) kommt es bei der spinalen Muskelatrophie (SMA) zum Muskelschwund. Der klinische Verlauf ist dabei sehr variabel, von der schwersten Form bei Neugeborenen (SMA Typ 1) über kindliche oder juvenile Formen bis hin zu langsamer fortschreitenden Formen, die erst im Erwachsenenalter auftreten. Der SMA liegen genetische Ursachen zugrunde, meist eine Mutation im sogenannten SMN-Gen mit Lokalisation auf Chromosom 5q („5q-SMA“).

    Zur Therapie steht inzwischen Nusinersen zur Verfügung, ein sogenanntes Antisense-Oligonukleotid (ASO), wodurch das mutierte Gen praktisch stummgeschaltet wird („gene silencing“). Beim DNA-Ableseprozess wird zunächst im Zellkern messenger-RNA (mRNA) gebildet, die als Matrize für die Proteinsynthese dient. ASOs sind synthetisch hergestellte, falsche mRNA-Bausteine, die in den Nervenzellen spezifisch die Ablesung der mutierten Genabschnitte unterbinden. Da ASOs die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren können, müssen sie mehrfach pro Jahr intrathekal (d. h. in den in den Liquorraum) injiziert werden. Nusinersen ist für die Behandlung von 5q-SMAs zugelassen; für Säuglinge und Kinder gibt es viele Daten zur Wirksamkeit, für Erwachsene eher wenige. In der aktuell publizierten Studie wurden nun Sicherheit und Effektivität von Nusinersen an einer größeren Zahl erwachsener Patienten evaluiert.

    An zehn deutschen Standorten wurden Patienten (16–65 Jahre) mit molekulargenetisch gesicherter 5q-SMA für mit Nusinersen behandelt und über bis zu 14 Monate nachbeobachtet. Als primäres Outcome wurde die Änderung des HFMSE-Score („Hammersmith Functional Motor Scale Expanded”) nach 6, 10 und 14 Monaten erfasst. Von 173 in 2017 bis 2019 gescreenten Patienten wurden 139 (80%) in die Studie einbezogen. Von den 139 Patienten konnten 124 (89%) in die 6-Monats-Analyse eingeschlossen, 92 (66%) in die 10-Monatsanalyse und 57 (41%) in die 14-Monats-Analyse.

    Im Ergebnis verbesserten sich die HFMSE-Scores kontinuierlich und signifikant gegenüber dem Ausgangswert: bis Monat 6 gab es einen mittleren Anstieg um 1,73 [1,05–2,41] Punkte (p<0,0001), bis Monat 10 um 2,58 [1,76–3,39] Punkte (p<0,0001) und bis Monat 14 um 3,12 [2,06–4,19] Punkte (p<0,0001). Klinisch bedeutsame Verbesserungen (mindestens drei HFMSE-Punkte) zeigten 35/124 (28%) der Patienten nach sechs Monaten, 33/92 (35%) nach zehn Monaten und 23/57 (40%) nach 14 Monaten. Über die 14 Monate traten als häufigste unerwünschte Wirkung bei 61/173 Patienten (35%) Kopfschmerzen auf, gefolgt von Rückenschmerzen bei 38 (22%) und Übelkeit bei 19 (11%). Ernste Nebenwirkungen gab es nicht.

    Zusammenfassend wurden in einer „Real-World”-Kohorte von 5q-SMA-Patienten sowohl die Sicherheit als auch die Effektivität von Nusinersen gezeigt. „Ein großer Teil der Patienten zeigte altersunabhängig klinisch bedeutsame Verbesserungen der motorischen Funktion, bei anderen stabilisierten sich zumindest die Verläufe“, so Priv.-Doz. Dr. med. Tim Hagenacker, einer der Erstautoren der Studie und leitender Oberarzt der Klinik für Neurologie am UK Essen. „Damit konnten wir die bisherigen Daten von Kindern nun auch bei Erwachsenen bestätigten.“

    „Die heutige Generation von Antisense-Oligonukleotiden hat die Neurogenetik revolutioniert. Die modernen ASOs sind gegenüber früher stabiler und weniger nebenwirkungsbehaftet. Systemische bzw. Organnebenwirkungen außerhalb des zentralen Nervensystems sind praktisch nicht vorhanden“, ergänzt der Experte. „Trotz der Limitationen, die Beobachtungsstudien mit sich bringen, kann man nach den Ergebnissen davon ausgehen, dass das Alter bei Therapiebeginn keine Rolle zu spielen scheint.“

    Literatur
    [1] Hagenacker T, Wurster CD, Günther R et al. Nusinersen in adults with 5q spinal muscular atrophy: a non-interventional, multicentre, observational cohort study. Lancet Neurol 2020; 19: 317–25

    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
    c/o albersconcept, Jakobstraße 38, 99423 Weimar
    Tel.: +49 (0)36 43 77 64 23
    Pressesprecher: Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen
    E-Mail: presse@dgn.org

    Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
    sieht sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren über 10.000 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern und zu verbessern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org

    Präsidentin: Prof. Dr. med. Christine Klein
    Stellvertretender Präsident: Prof. Dr. med. Christian Gerloff
    Past-Präsident: Prof. Dr. Gereon R. Fink
    Generalsekretär: Prof. Dr. Peter Berlit
    Geschäftsführer: Dr. rer. nat. Thomas Thiekötter
    Geschäftsstelle: Reinhardtstr. 27 C, 10117 Berlin, Tel.: +49 (0)30 531437930, E-Mail: info@dgn.org


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    Journalisten
    Medizin
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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