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16.11.2020 15:43

Jost Delbrück: eine Würdigung

Claudia Eulitz Presse, Kommunikation und Marketing
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

    Autorität auf dem Gebiet der Friedens- und Konfliktforschung und ehemaliger Rektor der Kieler Universität verstarb mit 85 Jahren

    Wohl niemand war und ist mit dem Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) so eng verbunden wie Jost Delbrück. Er leitete das Institut nicht nur fast ein Vierteljahrhundert und damit länger als jeder Direktor und jede Direktorin vorher und seither; das Institut war schon für den jungen Jost Delbrück akademische Heimat: Auf drei Monate als Stationsreferendar 1961 folgte eine Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft, während er an seiner Dissertation arbeitete. Nach erfolgter Promotion trat Delbrück 1964 seine Stelle als Wissenschaftlicher Assistent am damaligen „Institut für Internationales Recht“ an der CAU an, wo er sich Anfang 1971 bei Eberhard Menzel habilitierte. Das schwer zu ergatternde Diplom der Haager Akademie für internationales Recht hatte er 1968 en passant mitgenommen. Eine Lehrstuhlvertretung in Hamburg und ein ehrenvoller Ruf als Nachfolger Gerhard Leibholz‘ nach Göttingen 1972 führten ihn aus Kiel fort, wenn auch nur für kurze Zeit: Schon 1976 kehrte er als Nachfolger Menzels nach Kiel und an das Institut zurück, dem er bis 2001 als Direktor und darüber hinaus als Emeritus die Treue hielt.

    Geboren wurde Jost Wilhelm Ernst Delbrück am 3. November 1935 im pommerschen Pyritz (heute Pyrzyce). Nach dem Weltkrieg studierte er, mittlerweile in Schleswig-Holstein heimisch geworden, von 1955 bis 1958 Rechts- und Politikwissenschaft in Kiel, Marburg und Tübingen. Zweimal nutzte er die Chance eines Studienaufenthalts an der University of Indiana in Bloomington, seiner Alma Mater in den USA, der er ebenso treu bleiben würde wie der Kieler Universität: 1991 wurde ständiger Gastprofessor in Indiana, 1993 hob er gemeinsam mit Kollegen das „Indiana Journal of Global Legal Studies“ aus der Taufe. Als frischgebackener LL.M. (Magister Legum, damals unter deutschen Juristinnen und Juristen eine Seltenheit) zurück in Kiel arbeitete er an seiner Dissertation über die „Entwicklung des Verhältnisses von Sicherheitsrat und Vollversammlung der Vereinten Nationen“. Georg Dahm, den er schon während seiner Studienzeit kennengelernt hatte, war nicht bloß der Betreuer der Arbeit, sondern Jost Delbrücks eigentlicher Lehrer und Mentor. Auch ihm erwies er später die Treue, indem er zwischen 1989 und 2002 gemeinsam mit Rüdiger Wolfrum eine monumentale Neuauflage des ersten Bandes des Dahmschen Völkerrechtslehrbuchs vorlegte, der auf nicht weniger als drei umfangreiche Teilbände anwuchs. Im Gegensatz zum verehrten Lehrer Dahm blieb das Verhältnis zu dem Betreuer seiner Kieler Habilitationsschift („Die Rassenfrage als Problem des Völkerrechts und nationaler Rechtsordnungen“), Eberhard Menzel, respektvoll, aber distanzierter.

    Als Professor in Kiel mutete Jost Delbrück sich ein schier unglaubliches Pensum zu. Besonders engagierte er sich in der akademischen Selbstverwaltung, war von 1985 bis 1989 Rektor der Christian-Albrechts-Universität, deren Senat er von 1992 bis 1996 angehörte. Für die Friedens- und Konfliktforschung setzte er sich als Mitglied der Senatskommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft ein, von 1985 bis 1997 war er Mitglied des Ständigen Schiedshofs in Den Haag, die Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht leitete er von 1997 bis 2001 als Vorsitzender. Doch nicht nur der Welt des internationalen Rechts fühlte er sich verpflichtet. Von 1978 bis zu dessen Aufspaltung in zwei selbständige Gerichte im Jahre 1991 wirkte er als Richter am gemeinsamen Oberverwaltungsgericht der Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein in Lüneburg, in der Evangelischen Kirche Deutschlands engagierte er sich von 1992 bis 1997 als Mitglied der Kammer für öffentliche Verantwortung.

    Dieses Engagement in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen hat Christian Tomuschat in einer Laudatio einmal als einen der drei Gründe benannt, die Jost Delbrück zu einer unanfechtbaren Autorität insbesondere auf dem Gebiet der Friedens- und Konfliktforschung haben werden lassen. Die anderen sind eine „genaue Beobachtung der Wirklichkeit“ sowie „der feste Standpunkt, der nicht nach politischer Konjunktur schwankt, sondern von Anfang an in ein festes Koordinatensystem eingebettet war“. Mit diesem festen Standpunkt und stets am Puls der Zeit hat sich Delbrück in seinem Werk Fragen von Multilateralismus, Kriegsverhütung und Friedenssicherung gewidmet. Inspirierend auf eine ganze Generation junger Völkerrechtlerinnen und Völkerrechtler wirkte sein Entwurf, das Völkerrecht nach dem Ende des Ost-West-Konflikts (aus heutiger Sicht wohl: zu) optimistisch als ein „Weltinnenrecht“ zu entwerfen. „Frieden durch Recht“ – dieses Lebensmotto Walther Schückings hat sich auch Jost Delbrück zu eigen gemacht. Daher nimmt es auch nicht Wunder, dass es vor allem Jost Delbrück war, dem es zu verdanken ist, dass das Kieler „Institut für Internationales Recht“ im Jahre 1995 nach seinem zweiten Direktor (von 1926 bis 1933) und ersten deutschen Richter am Ständigen Internationalen Gerichtshof in „Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht“ umbenannt wurde.

    Eine Würdigung des Lebenswerks von Jost Delbrück wäre unvollständig, wenn eine wichtige Seite unerwähnt bliebe: die des akademischen Lehrers. Über 30 Dissertationen hat er in Kiel betreut, im gesamten Spektrum des Öffentlichen Rechts, des Völkerrechts und des Europarechts. Noch nachhaltiger allerdings hat er die deutsche Völkerrechtswissenschaft durch eine illustre Riege von Schülerinnen und Schülern geprägt: von Karl-Ulrich Meyn (Habilitation 1980) und Eibe Riedel (1983) über Hans-Joachim Schütz (1990) und Stephan Hobe (1996) bis zu Anne Peters und Christian Tietje (beide 2000) – nicht zu vergessen Klaus Dicke, der formal zwar 1992 bei den Politikwissenschaftlern habilitiert wurde, aber tatsächlich ein echter Delbrück-Schüler ist. Was alle eint, ist ihre Individualität. Darin zeigt sich der akademische Lehrer Jost Delbrück, der förderte und inspirierte, aber niemals junge Menschen nach seinem Bilde formen wollte.

    Jost Delbrück war Ehrendoktor der University of Indiana Bloomington (2002) sowie der Universität Magdeburg (2002). 2006 erhielt er, gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, das erste Kieler Prunksiegel. Am 6. November 2020 ist Jost Delbrück verstorben. „Sein“ Institut und seine Universität werden ihm immer verbunden bleiben.

    Ein Foto steht zum Download bereit:
    http://www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/2020/279-jost-delbrueck.jpg
    Jost Delbrück (1935-2020)
    © Uni Kiel

    Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
    Presse, Kommunikation und Marketing, Claudia Eulitz
    Postanschrift: D-24098 Kiel, Telefon: (0431) 880-2104, Telefax: (0431) 880-1355
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    fachunabhängig
    überregional
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    Deutsch


     

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