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18.11.2020 11:03

Wann lohnt sich die Entwicklung eines Wirkstoffs?

Dr. Stefanie Seltmann Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Berlin Institute of Health (BIH)

    Pharmafirmen beklagen seit langem, dass die Ergebnisse aus den Forschungslaboren oft nicht wiederholbar seien, die präklinische Forschung liefere keine aussagekräftigen Grundlagen für die Entwicklung neuer Wirkstoffe.

    Wissenschaftler*innen des Berlin Institute of Health (BIH) und der Charité – Universitätsmedizin Berlin haben nun gemeinsam mit Kolleg*innen aus dem Fraunhofer Institut für Molekularbiologie und angewandte Ökologie IME in Frankfurt/M und der Firma PAASP GmbH in Heidelberg einen Katalog von Empfehlungen erstellt, die darlegen, welchen Kriterien die Forschung genügen muss, damit aus einer vielversprechenden Substanz im Labor tatsächlich ein wirksames Medikament entwickelt werden kann. Die Empfehlungen für die Translation haben sie jetzt in der Zeitschrift Nature Reviews Drug Development veröffentlicht.

    Pharmafirmen beklagen regelmäßig, sie würden ja gerne mit der akademischen Forschung zusammenarbeiten, aber sie erhielten regelmäßig Ergebnisse vorgelegt, die sich nicht reproduzieren ließen: Die Erwartungen seien hoch, aber die Qualität stimme einfach nicht immer. „Eine der Ursachen ist, dass im Laufe des Projekts Schritte übersehen, nicht validierte Reagenzien oder Zellkulturen verwendet, oder gar die Zielmoleküle, die es zu blockieren gelte, nicht ausreichend charakterisiert worden seien“, sagt Ulrich Dirnagl, Gründungsdirektor des BIH QUEST Center und Leiter der Abteilung für Experimentelle Neurologie an der Charité.

    Evidenz, dass sich Entwicklung lohnt

    Das Bundesforschungsministerium BMBF entschloss daher 2017, eine Ausschreibung zur Entwicklung innovativer Wirkstoffe zu veröffentlichen und dabei auch das Wissen um die Targetvalidierung zu verbessern. Das Target ist das Zielmolekül, gegen das ein neuer Wirkstoff gerichtet sein soll. „Wenn Forschende glauben, sie haben ein interessantes Molekül entdeckt, müssten sie die Evidenz dafür so gut herausarbeiten, dass sich die weitere Entwicklung lohnt“, fordert Dirnagl. Nach der ersten Ausschreibung (eine zweite Ausschreibung folgte 2019) wurden elf vielversprechende Anträge ausgewählt: Darunter waren Projekte aus ganz Deutschland, die meisten aus der akademischen Forschung, ein kleines Unternehmen war auch dabei. Der Fokus lag auf neuen Antibiotika, aber auch auf Medikamenten gegen Krebs, für Herz-Kreislauferkrankungen, für neurologische und Stoffwechselerkrankungen. Und ein zwölftes Projekt wurde ebenfalls gefördert: Das GOT-IT Begleitprojekt unter der Leitung von Ulrich Dirnagl. GOT-IT steht dabei für Guidelines on Targetassesment for Innovative Therapeutics, auf deutsch etwa: Leitlinien für die Zielmolekülprüfung für innovative Medikamente.

    Lorena Martinez Gamboa, Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Dirnagl am BIH QUEST Center, war am GOT-IT Begleitprojekt beteiligt: „Wir haben die elf Projekte begleitet, weil wir herausfinden wollten, wie eine Targetvalidierung ablaufen muss, um erfolgreich zu sein, also robuste Ergebnisse zu erzeugen und damit den nächsten Schritt in der Wertschöpfungskette zu wagen. Unser Ziel war es, Empfehlungen für die erfolgreiche Translation zu erarbeiten.“

    „Zunächst hat das GOT-IT Team die Literatur nach bereits vorhandenen Validierungspraktiken und Empfehlungen durchforstet“, berichtet die Biologin. Anschließend führte das Team Interviews mit Wissenschaftler*innen, mit Mitarbeiter*innen von Technologietransferbüros und mit Vertreter*innen der Industrie. Zuletzt sprachen sie mit den elf Projektleiter*innen, die von den eigenen Erfahrungen in den jeweiligen Validierungsprojekten berichteten.

    Lorena Martinez Gamboa musste feststellen, dass sich daraus leider keine kurzen und knappen allgemeingültigen Leitlinien ableiten ließen. „Jedes Projekt lief anders. Wir haben uns deshalb entschlossen, für verschiedene Aspekte der Targetvalidierung etwas umfangreichere Empfehlungen zu veröffentlichen, anhand derer die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durch ein Projekt geführt werden“, erklärt Martinez Gamboa.

    Flexible und strukturierte Fragen zur Qualität der Forschung

    Die Empfehlungen bestehen aus fünf Abschnitten und umfassen jeweils mehrere Fragen zu einem Teilabschnitt der Targetvalidierung: Abschnitt eins fragt nach dem Zusammenhang mit der zu behandelnden Krankheit: Ist das Zielmolekül wirklich entscheidend für den Krankheitsverlauf? In Abschnitt zwei geht es um die Frage, ob das Target verändert werden kann, ohne dass es gefährlich für die Patient*innen wird. Der dritte Block umfasst den „medical need“: Gibt es schon Standardtherapien für die entsprechende Krankheit, ist das Molekül patentiert? Besteht Hoffnung auf Zulassung? Der vierte Abschnitt befasst sich mit der technischen Machbarkeit: Kann man das Zielmolekül herstellen, kann man seine Aktivität oder Konzentration messen, gibt es entsprechende Geräte? Der fünfte Block schließlich betrifft die Sicherheit von Antibiotika und den Nebenwirkungen von Wirkstoffen, die gegen Bakterien gerichtet sind.

    „Die Empfehlungen sind flexibel, auf praktisch jedes Projekt anwendbar, sie sind strukturiert und man wird auf viele Details hingewiesen“, erklärt Ulrich Dirnagl. Die Wissenschaftler*innen hätten sich kürzere Handreichungen gewünscht, aber es müssten auch nicht alle Blöcke auf einmal bearbeitet werden. Je nachdem, wo man im Projekt stehe, genüge z.B. die Frage nach dem Zusammenhang mit der Krankheit oder dem „medical need“. „Wir glauben, dass die Empfehlungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erlauben werden, einen besseren Überblick über die Prioritäten in den jeweiligen Phasen der Validierung zu bekommen, um die vorhandenen Ressourcen effizienter einsetzen zu können.“

    Nicht nur für Forscher*innen

    Die Empfehlungen richten sich nicht nur an Forscher*innen: Auch Forschungsförderer können mit Hilfe der GOT-IT-Kriterien besser abschätzen, wie erfolgversprechend Vorarbeiten sind, Editor*innen der wissenschaftlichen Journale können beurteilen, ob die Experimente wirklich schon aussagekräftig genug sind, und Translationsbüros ermessen, ob sich die Patentierung lohnt. „Und natürlich haben die Pharmafirmen jetzt eine Handreichung, mit der sie prüfen können, ob die Zusammenarbeit mit einem akademischen Partner tatsächlich Aussicht auf ein neues Medikament verspricht“, schließt Dirnagl den Kreis, der von der ersten Ausschreibung des BMBF bis zur Veröffentlichung in Nature Drug Development genau drei Jahre gedauert hat.

    Die Arbeit „Improving target assessment in biomedical research: the GOT-IT recommendations“ ist in der Zeitschrift Nature Reviews Drug Discovery erschienen und hier einsehbar:
    DOI : https://www.nature.com/articles/s41573-020-0087-3

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    Über das Berlin Institute of Health (BIH)
    Die Mission des Berlin Institute of Health (BIH) ist die medizinische Translation: Erkenntnisse aus der biomedizinischen Forschung werden in neue Ansätze zur personalisierten Vorhersage, Prävention, Diagnostik und Therapie übertragen, umgekehrt führen Beobachtungen im klinischen Alltag zu neuen Forschungsideen. Ziel ist es, einen relevanten medizinischen Nutzen für Patient*innen und Bürger*innen zu erreichen. Dazu etabliert das BIH ein umfassendes translationales Ökosystem, setzt auf ein organübergreifendes Verständnis von Gesundheit und Krankheit und fördert einen translationalen Kulturwandel in der biomedizinischen Forschung. Das BIH wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und zu zehn Prozent vom Land Berlin gefördert. Die Gründungsinstitutionen Charité – Universitätsmedizin Berlin und Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) sind im BIH eigenständige Gliedkörperschaften.


    Weitere Informationen:

    https://www.bihealth.org/de/aktuell?tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&tx_news_p...


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Biologie, Medizin
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungs- / Wissenstransfer
    Deutsch


     

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