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01.12.2020 12:25

Hohe Herren, die Herren liebten

Kristian Lozina Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Julius-Maximilians-Universität Würzburg

    Liebt der Kammerherr den Prinzen? Kann ihn seine Liebe das Leben kosten? Und warum wurde Frauen die Sexualität abgesprochen? Ein neues Buch des Würzburger Historikers Christian Mühling geht Fragen der Homosexualität am Hof nach.

    Es kann bis heute für Getuschel bei den Nachbarn sorgen: Ein Mann liebt einen Mann. Oder eine Frau ist mit einer Frau liiert. Dabei ist Homosexualität ein Phänomen, das sich durch alle historischen Epochen zieht. Im Buch „Homosexualität am Hof“ geht Christian Mühling, Historiker und Literaturwissenschaftler an der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg, zusammen mit seinem Stuttgarter Kollegen Norman Domeier der Frage nach, inwiefern Herrscher und Höflinge einst homosexuelle Praktiken gepflegt haben.

    Männer schließen Freundschaft mit anderen Männern, sie sehen sich als Kumpel an, die miteinander durch dick und dünn gehen. Und mitunter beginnen sie, einander zu lieben. In welchem Verhältnis ein Monarch in früheren Zeiten zu jenen Männern stand, mit denen er sich verbunden fühlte, ist nur schwer herauszufinden, gibt Christian Mühling zu. Beim Quellenstudium allerdings drängt sich bisweilen der Verdacht auf, dass da mehr war als tiefe Freundschaft. Gleichzeitig ist die Gefahr falscher Interpretationen groß. Denn einst herrschten völlig andere Sitten als heute.

    Stöckelschuhe kein Zeichen für Transvestiten

    Eine wie heikle Sache es ist, aus dem Gebrauch von Gegenständen, die wir heute kennen, auf frühere Einstellungen und Vorlieben zu schließen, erläutert Christian Mühling am Beispiel der Stöckelschuhe. „Die waren eine Erfindung für Herren“, sagt er. Sieht man auf alten Gemälden einen Monarchen mit Stöckelschuhen einherschreiten, heißt das also noch lange nicht, dass dieser Herrscher transvestitische Gelüste hatte. Stöckelschuhe waren für Männer normal. Wie es lange Zeit gang und gäbe war, dass nicht nur Mädchen, sondern auch kleine Jungs Kleidchen anhatten.

    Quellenbedingt stoßen Historiker relativ bald an die Grenzen der Erkenntnis, was das Liebesleben früherer Adeliger anbelangt: Wer mit wem ins Bett gestiegen ist, wird wohl ein Geheimnis bleiben. Und doch ist es interessant, was zum Beispiel Tagebücher verraten. Christian Mühling befasste sich intensiv mit Ernst Ahasverus Heinrich Graf von Lehndorff, einem 1727 geborenen preußischen Kammerherrn am Hof von Friedrich dem Großen. Aus von Lehndorffs Tagebuch geht hervor, welche tiefen Gefühle der Graf zu einem jüngeren Bruder des Königs hegte. Mühling: „Er konnte nachts nicht schlafen, wenn der Prinz krank war, und er hatte Angst, wenn er sich im Krieg befand.“

    Hinweise aus dem persönlichen Tagebuch

    Bei der Lektüre der Tagebücher fällt auf, dass der Graf in puncto Frauen weit weniger emotional war. Zweimal war von Lehndorff verheiratet gewesen. Als eine seiner Frauen starb, war ihm das gerade mal einen Dreizeiler im Tagebuch wert. Auch fand Mühling keine Einträge, in denen der Graf von der Schönheit einer Frau geschwärmt hätte. „Doch die körperliche Erscheinung des Prinzen bewunderte er“, so der promovierte Historiker, der aktuell in ein Forschungsprojekt der Literaturwissenschaft an der Uni Würzburg integriert ist. Von Lehndorff schien jede Minute in der Nähe des Prinzen genossen zu haben. Ob er ihn auch körperlich liebte, geht aus seinem Tagebuch nicht hervor.

    Nun ist Liebe überhaupt ein dehnbarer Begriff, unter dem jeder und jede etwas anderes versteht. In früheren Zeiten wurden Liebesworte und Wendungen mit dem Begriff „Liebe“ in Briefen häufig formelhaft verwendet. Ein leicht falsch zu interpretierendes Wort aus historischen Quellen ist außerdem „Sodomie“. Einst wurde laut Mühling damit alles bezeichnet, was nicht dem „normalem“ Geschlechtsverkehr in der Ehe entsprach. Auch Homosexualität war damit also gemeint. Jede Form von Sodomie, inklusive Homosexualität, war verboten und wurde hart bestraft. Was jedoch nicht heißt, dass gleichgeschlechtliche Liebe in früheren Epochen nicht praktiziert worden wäre.

    Keine Heirat aus Liebe

    Auch wenn es am Ende kein klares Ja oder Nein gibt, was die sexuelle Orientierung früherer Herrscher und Höflinge anbelangt, ist das von Mühling und Domeier herausgegebene Buch spannend. Die in ihm enthaltenen Beiträge stammen aus einer Tagung zu „Hof und Homosexualität“, die im Herbst 2017 in Würzburg stattgefunden hatte. Forscher aus verschiedenen Ländern und verschiedener Disziplinen hatten daran teilgenommen. Beleuchtet wurden unter anderem die Freundschaft in den Briefen Isabellas von Parma an Marie Christine von Habsburg-Lothringen oder die homosexuelle Patronage an europäischen Höfen der Frühen Neuzeit.

    Dass es inzwischen eine wissenschaftliche Community gibt, die sich intensiver als bisher mit der Sexualitätsgeschichte des Hofes befasst, ist in Christian Mühlings Augen eine sehr positive Entwicklung. In der Vergangenheit wurde allenfalls das Thema „Mätressen“ aufgegriffen. Apropops Frauen: Dass diese in Mühlings Buch unterrepräsentiert sind, liegt daran, dass ihnen bis ins 20. Jahrhundert hinein Sexualität abgesprochen wurde. Frauen, so die allgemeine Auffassung in früheren Zeiten, waren lediglich „Gefäße“. Geheiratet wurde in höheren Kreisen bekanntlich sowieso nicht aus Liebe. Sondern wegen der Mitgift.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Christian Mühling, Lehrstuhl für Französische und Italienische Literaturwissenschaft, T +49 931 – 31 88114, christian.muehling@uni-wuerzburg.de


    Originalpublikation:

    „Homosexualität am Hof. Praktiken und Diskurse vom Mittelalter bis heute.“ Hg. von Norman Domeier und Christian Mühling, Campus Verlag GmbH 2020, ISBN 978-3-593-51076-7


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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