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09.12.2020 14:33

Bessere Hybridautos: "Nicht nur diskutieren, sondern umsetzen" - Experteninterview mit Professor Hermann Koch-Gröber

Vanessa Offermann Abteilung Hochschulkommunikation
Hochschule Heilbronn

    Heilbronn, Dezember 2020. Professor Koch-Gröber lehrt im Studiengang Automotive Systems Engineering. Sein Forschungsschwerpunkt sind die Antriebssysteme von Fahrzeugen. Im Interview gibt er Antworten auf wichtige Fragen zum vieldiskutierten Thema der "Plug-In-Hybrid Fahrzeuge".

    Daneben stellt er das Hybrid-Konzept „100 hoch 3“ vor. Koch-Gröbers Divise: "Wir haben die CO2-Emissionen rasch drastisch zu reduzieren, auch im Verkehrsbereich. Wie wir dahin kommen, muss nicht nur diskutiert und erforscht, sondern zeitnah umgesetzt werden."

    Professor Koch-Gröber, 2019 gab es erst 66.997 Plug-In-Hybrid Fahrzeuge in Deutschland. Hype sieht anders aus, oder?

    Auch ohne Hype können wir vorankommen. 2020 haben sich die Zulassungszahlen von Plug-in Hybriden und auch von Batterie-elektrischen Fahrzeugen mehr als verdoppelt — zuletzt auf über 15 Prozent Markanteil. Dies wird von großzügiger staatlicher Förderung befeuert. Und mit besseren Fahrzeugkonzepten sehe ich hohes Wachstumspotenzial.

    Zurzeit gibt es mehrheitlich nur Plug-In-Hybrid Fahrzeuge mit extrem leistungsstarken Motoren, die auch entsprechend teuer sind. Wird es hier bald ein Umdenken und eine andere Motorisierung geben?

    Die Nachfrage nach teuren Fahrzeugen ist existent. Es ist eine Illusion zu erwarten, dass Hersteller dieses Marksegments in Zeiten des Klimawandels dem nicht nachkommen. Gut gemachte Plug-in-Hybride mit ausreichend elektrischer Reichweite können bei hohen Fahrzeugpreisen leichter dargestellt werden. So kann die Klimawirkung von Luxusautos signifikant reduziert werden, was bisherige Hybridfahrzeuge nur eingeschränkt leisten.
    Wer sich jedoch um die aktuelle Herausforderung nicht schert und weiter dem Luxus eines spritfressenden Autos frönt, muss monetär mehr beitragen, damit der Staat in Zeiten des Klimawandels bei hohem Ressourceneinsatz für individuelle Mobilität andere Emissionsminderungen effizient initiieren kann.
    Für Umwelt und Klima ist es vordringlich, die große Anzahl an Pkw der Kompakt- und Mittelklasse zu erreichen. Dazu können verbesserte Plug-in-Hybride maßgeblich beitragen, weil sie auf bestehenden Fahrzeugplattformen und Produktionsanlagen mit Anpassungsentwicklungen dargestellt werden können.

    Sie stehen für das Hybrid-Konzept „100 hoch 3“. Sind das die verbesserten Plug-in-Hybride?

    Ja. 100 mal 100 mal 100 – das sind die Eckdaten für Autos der Kompaktklasse. Gemeint ist damit zunächst eine ausreichende Reichweite von realen 100 Kilometern. Damit können die meisten 80- bis 90 Prozent ihrer Strecken rein elektrisch fahren. Viele argumentieren, dass nur eine Minderheit regelmäßige Arbeitswege über 40 Kilometer hätte. Das ist eine Fehleinschätzung, denn auf dem Arbeitsweg macht man oft Umwege zum Einkauf oder holt die Kinder ab. Ebenso sind Reserven in der Batteriekapazität notwendig, um für den Winter oder fordernde Strecken gerüstet zu sein. Die zweite 100 betrifft die elektrische Antriebsleistung. Unser Ziel sind hier mindestens 100 PS. Wenn man deutlich darunterbliebe, würde bei vielen Beschleunigungsvorgängen, wofür die Motorleistung im Fahrzeug in erster Linie eingesetzt wird, der Verbrenner einspringen. Das gilt es wegen der CO2-Emissionen zu vermeiden. Die dritte 100 bedeutet, dass dann ein Verbrennungsmotor mit 100 PS ausreicht. Damit können Fahrer*innen komfortabel auf Autobahnen zwischen 120 und 180 km/h fahren; ob schneller gefahren werden muss, kann der gesunde Menschenverstand entscheiden.

    Wie stehen Sie zu bestehenden Batterie- Fahrzeugen?

    Die Attraktivität des Automobils ist seine Vielseitigkeit. Oft hören wir, dass 80 Prozent aller Fahrten ohnehin unter 50 Kilometern blieben und suggerieren, wir könnten doch prima mit heutigen batterieelektrischen Fahrzeugen hinkommen. Der Trugschluss ist, dass viele weiterhin recht viel Geld für ein Auto ausgeben, weil es genau diese 20 Prozent “ungewöhnlicher“ Fahrten ermöglicht. Auch für mich haben batterie-elektrische Fahrzeuge eine große Berechtigung, weil ein nicht kleiner Marktanteil gut bedient wird: Zweit- und Drittfahrzeuge, innerstädtische Dienstleistungen, wie mobile Pflege oder Auslieferungen. Daher kann ich mir problemlos Markanteile von 30 bis 50 Prozent im Jahr 2030 vorstellen.
    Am anderen Ende des Spektrums gibt es Nutzer*innen, die hohe Anteile an Fernverkehr bestreiten, zum Beispiel im Außendienst. Bis auf Weiteres sehe ich dieses kleinere Marktsegment mit einem modernen Diesel gut versorgt. Denn viele können sich die hohen Preise eines langstreckentauglichen Batterie-Fahrzeugs noch lange nicht leisten.

    Bleiben wir bei Batterien. Die werden auch kritisch bewertet. Wie sieht hier Status quo aus?

    Es wird noch lange viel dafürsprechen, lieber dreimal so viele Autos als verbesserte Plug-in-Hybride mit 20 kWh weitestgehend zu elektrifizieren, statt große Kapazitäten von 60 kWh oder mehr in ein Batterieauto zu verbauen. Ganz abgesehen von der Nachfrage im Fahrzeugmarkt sind ökologischer- und sozialer Fußabdruck der Batterie-Produktion und Rohstoffgewinnung heute nicht unkritisch, aber auch keineswegs ein Totschlagargument. Wirtschaftliche Risiken werden aber schon offenkundig: teilweise lange Lieferzeiten von Batterieautos, bei noch sehr begrenzten Stückzahlen. Investoren werden positiv gestimmt durch den Abschluss langfristiger Lieferverträge über Batterien. Die Autoindustrie hat gegenüber Zulieferern selbst langjährig die unselige Praxis gepflegt, bestehende Lieferverträge zu ignorieren und Preisnachlässe durchgedrückt. Bei einem potenziell großen Nachfrageüberhang bei Batterien sehe ich das große Risiko, dass wirtschaftliche Mechanismen die erwartete Kostendegression eventuell sogar umkehren könnten. Deswegen spricht für mich viel dafür, bei der Geschwindigkeit der Transformation den Bogen nicht zu überspannen.

    Welche Hersteller sind an dem Thema dran und wann ist mit entsprechenden Fahrzeugen auf dem Markt zu rechnen?

    Fast alle Hersteller bieten inzwischen Plug-in-Hybride. Aber kaum ein Fahrzeug bietet mehr elektrische Reichweite, als es der Gesetzgeber verlangt, um gefördert zu werden. Ich sehe das als strategischen Fehler, die Nutzerperspektive nicht höher zu priorisieren. Das Kostenargument überzeugt mich nicht, denn es geht um ca. 8 kWh zusätzlicher Kapazität, die heute kaum mehr als 1.000 Euro kosten dürfte. Beim VW ID3 hat die ProS-Version eine um 32 kWh größte Batterie als das Basismodell. Ab 2022 muss eine 60 Kilometer Reichweite dargestellt werden, um förderfähig zu sein. Die Entwicklung geht in die richtige Richtung, aber noch zu langsam. Immerhin hat Audi jüngst angekündigt, dass das wichtige Mittelklassemodell A4 ab 2022 als Plug-in-Hybrid tatsächlich 100 Kilometer Reichweite haben soll, dann werden Wettbewerber wie Daimler und BMW nachziehen.
    Wichtig ist es, die in der Stückzahl dominierenden Autos mit Frontquer-Motoren rasch zu erreichen. VW hat da mit dem neuen Platzhirsch Golf 8 leider eine Chance vertan: das Modell e-hybrid hat nur einen 54 PS starken Elektromotor. Die älteren erinnern sich an die gleiche Leistung des Golf 1 Diesel, der sich schon vor 40 Jahren nur mäßig dynamisch fuhr. Er wog 850 kg, der Golf 8 e-hybrid jedoch 1600 kg – also wird der Verbrenner viel zu häufig eingesetzt werden! Ich bin zuversichtlich, dass im Zuge von Modelpflegen die Angebote in unsere Richtung modifiziert werden.

    Sie haben jetzt mit Thomas Poreski, technologiepolitscher Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, und Kai Burmeister, Gewerkschaftssekretär der IG Metall Baden-Württemberg einen Lösungsvorschlag für zwei wichtige gesellschaftliche Herausforderungen vorgestellt: Wie kann unser Klima rasch wirksam geschützt und die zahlreichen Arbeitsplätze in der deutschen Automobilindustrie gesichert werden? Wie kam die Zusammenarbeit zustande?

    Mit Thomas Poreski habe ich schon Anfang 2017 gut zusammengearbeitet und ein Programm zur Nachqualifizierung von Dieselfahrzeugen erarbeitet, um die damals noch weit verbreiteten überhöhten NO2-Immissionen zu vermindern. Er hatte Kontakte zur IG Metall und Kai Burmeister hat sich überzeugend eingebracht, den notwendigen Technologiewandel der Antriebstechnik mit zu gestalten.

    Sie stellen gemeinsam die These in den Raum, dass durch die Produktion von Plug-In-Hybrid Fahrzeugen Arbeitsplätze gesichert werden können. Können Sie uns diese These bitte erklären.

    Ein großer Teil der Arbeitsplätze, die am Automobil hängen, sind in Zulieferbetrieben verortet. Viele von diesen sind schon weit in der Transformation einer elektrifizierten Antriebstechnik vorangekommen. Das bedeutet hohe Vorleistungen in Entwicklung und Produktionsanlagen, die auch in naher Zukunft nur begrenzt bisherige Umsätze sicherstellen können. Dafür können zwar ggf. sinkende, aber im Volumen noch lange hohe Stückzahlen an Komponenten von Verbrennungsmotoren die Transformation tragen. Man braucht kein Wirtschaftsstudium für die Erkenntnis, dass bei Krisen, welche die Substanz von Unternehmen tangieren, sehr schnell Arbeitsplatzabbau auf die Agenda kommt. Übrigens sind nicht kleine Teile unserer Arbeitsplätze in Entwicklungsgesellschaften oder bei Dienstleistern zu Hause. Dort sind wechselnde Aufgabenstellungen Kern ihrer Kompetenz, die sie in naher Zukunft auch für verbesserte Hybridfahrzeuge einbringen dürften – wir können das!

    Was fehlt Ihnen von der Politik zu diesem Thema?

    Da gibt es viele Punkte: primär fehlt mir viel mehr Konsequenz, die CO2-Emissionen rasch drastisch zu reduzieren, auch im Verkehrsbereich. Wie wir dahin kommen, muss nicht nur diskutiert und erforscht, sondern zeitnah umgesetzt werden. In der Politik werden aber leider viel zu engagiert mittel- und langfristige Ziele diskutiert… zum Beispiel ob man 2034 die Produktion von Verbrennungsmotoren verbieten sollte. Das ist für mich zu billig, zu bequem, ganz nach dem Motto: bis dahin kann ja noch viel passieren. Wenn wir bis 2030 40 Prozent (oder mehr) Reduktion der Klimaemissionen im Verkehrssektor erreichen wollen, dann ist die einfachste Leitlinie: ab sofort jedes Jahr vier Prozentpunkte weniger – davon sind wir weit weg! Also muss der Staat viel konsequenter fördern und fordern, auch wenn pauschale Argumente wie „Gängelung“ oder „Bürokratie“ aufkommen. Ohne Veränderungen im Verhalten der Menschen, bei denen ich (mich eingeschlossen) „Trägheit“ – ohne Vorwurf— als recht prägend wahrnehme, kommen wir nicht ausreichend voran. Drastische Einschnitte in das Mobilitätsbedürfnis sind aber andererseits richtigerweise nicht durchzusetzen. Gerade als Ingenieur sage ich: alleine durch technische Lösungen werden wir der Herausforderung nicht gerecht, aber intelligente technische Lösungen können sehr helfen!

    Sie als Experte – Was ist Ihr konkreter Vorschlag?

    Bei vielen neuen Fahrzeugen und ab Anfang 2021 ist bei allen die so genannte OBFCM an Bord: damit kann über den Diagnosestecker der Verbrauch, bei Hybriden auch die Nutzung elektrischer Energie, ausgelesen werden. Mein Vorschlag ist, einmal im Jahr bei einer Prüfstelle einen Beleg zu bekommen, für den ich eine signifikante Steuergutschrift erhalte, wenn ich sparsam fahre beziehungsweise den Plug-in-Hybrid überwiegend elektrisch nutze. Dafür können die Kfz-Steuern dann erhöht werden. Wer sich nicht um die aktuelle Herausforderung schert und weiter dem Luxus eines V8-betriebenen Autos frönt, muss monetär mehr beitragen; wer sich bewusst bewegt, wird über einige hundert Euro Steuergutschrift belohnt. Das sollte auch graduell geregelt werden: je weiter ich einen Referenzverbrauch unterschreite, umso mehr Gutschrift erhalte ich. Politisch sollte auch ein Programm aufgelegt werden, dass Dienstwagenfahrer vom Unternehmen Boni erhalten. Viel diskutierte Instrumente, wie Abschmelzen der Pendlerpauschale oder des Steuervorteils von Diesel, halte ich auch für sinnvoll, so lange es nicht zu drastisch ist. Und ein generelles Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen würde schnell einige Prozent CO2-Minderung im Verkehrssektor bringen und eine dreistellige Anzahl vermiedener Verkehrstoten.

    Zum Schluss noch die Bitte um einen Blick in die Zukunft. Wann werden wir mehrheitlich reine E-Autos auf den Straßen dieser Welt sehen?

    Nun, zunächst bin ich Prof, was jedoch nicht die Abkürzung für Prophet ist. Aber klar lohnt sich die Frage zu diskutieren. Es muss jedoch sauber getrennt werden, ob wir über Neufahrzeuge oder den Bestand sprechen. Bei Neuzulassungen in Deutschland kann ich mir gut einen Anteil von 50 Prozent an Batterieautos für 2030 vorstellen. „Autos auf den Straßen“ bezeichnet aber den Bestand, von dem die jährlichen Neuzulassungen in Deutschland nur etwa 8 Prozent betragen. Bei einem mittleren Alter der Pkw von ca. 9 Jahren werden wir auch 2035 noch große Anteile mit Verbrennern haben, denn deren Verbot wäre eine Enteignung, die ich nicht erwarte.

    Hinweis: Auf der HHN-Website unter http://www.hs-heilbronn.de/hybridfahrzeuge finden Sie das Interview in gesamter Länge.

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    Hochschule Heilbronn – Kompetenz in Technik, Wirtschaft und Informatik
    Mit ca. 8.200 Studierenden ist die Hochschule Heilbronn eine der größten Hochschulen für Angewandte Wissenschaften in Baden-Württemberg.
    Ihr Kompetenz-Schwerpunkt liegt auf den Bereichen Technik, Wirtschaft und Informatik. An vier Standorten in Heilbronn, Heilbronn-Sontheim, Künzelsau und Schwäbisch Hall
    bietet die Hochschule mehr als 50 Bachelor- und Masterstudiengänge an. Die Hochschule pflegt enge Kooperationen mit Unternehmen aus der Region und ist dadurch in Lehre,
    Forschung und Praxis sehr stark vernetzt.

    Pressekontakt Hochschule Heilbronn: Torsten Robert, Hochschulkommunikation,
    Max-Planck-Str. 39, 74081 Heilbronn, Telefon: 07131-504 499,
    E-Mail: torsten.robert@hs-heilbronn.de Internet: http://www.hs-heilbronn.de


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    HHN-Professor Koch-Gröber lehrt im Studiengang Automotive Systems Engineering. Sein Forschungsschwer ...

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
    Gesellschaft, Verkehr / Transport, Wirtschaft
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

    HHN-Professor Koch-Gröber lehrt im Studiengang Automotive Systems Engineering. Sein Forschungsschwerpunkt sind die Antriebssysteme von Fahrzeugen.


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