idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
26.04.2021 09:46

Energiesparende Gasturbinen aus dem 3D-Druck: Neutronen „sehen“ Eigenspannungen im Inneren additiv gefertigter Bauteile

Dr. Andreas Battenberg Corporate Communications Center
Technische Universität München

    Der 3D-Druck eröffnet völlig neue Möglichkeiten, auch bei der Herstellung von Turbinenschaufeln. Allerdings enthalten die so gefertigten Bauteile oft Spannungen, die schlimmstenfalls zu Rissen führen können. Mit Neutronen der Forschungs-Neutronenquelle der Technischen Universität München (TUM) ist es einem Forschungsteam nun gelungen, diese inneren Spannungen zerstörungsfrei zu bestimmen – ein Schlüssel zur Verbesserung der Produktionsprozesse.

    Gasturbinenschaufeln müssen extremen Bedingungen standhalten: Unter hohem Druck und hohen Temperaturen sind sie enormen Fliehkräften ausgesetzt. Um die Energieausbeute weiter zu erhöhen, sollen sie Temperaturen aushalten, die eigentlich bereits über dem Schmelzpunkt des Materials liegen. Dies gelingt mit hohlen Turbinenschaufeln, die von innen mit Luft gekühlt werden können.

    Herstellen lassen sich solche Schaufeln durch additive Fertigung im Laser-Pulverbett-Schmelzverfahren: Pulverförmiges Ausgangsmaterial wird dabei durch selektives Aufschmelzen mit einem Laser Schicht für Schicht aufgebaut. Nach dem Vorbild von Vogelknochen geben filigrane Gitterstrukturen im Inneren der hohlen Turbinenschaufeln die nötige Stabilität.

    Herstellungsprozess erzeugt Eigenspannungen im Material

    „Mit gängigen Fertigungsmethoden wie Gießen und Fräsen wären komplexe Bauteile mit solch filigranen Strukturen gar nicht herstellbar“, sagt Dr. Tobias Fritsch von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM).

    Doch durch den sehr lokalen Wärmeeintrag des Lasers und die schnelle Abkühlung der Schmelze entstehen auch Spannungen im Material. Die Hersteller eliminieren diese in einem nachgeschalteten Wärmebehandlungsschritt. Doch das kostet Zeit und damit Geld.

    Leider können die Spannungen auch schon während des Aufbaus und bis zur Nachbehandlung Schäden im Bauteil anrichten. „Sie können zu Verformungen und schlimmstenfalls zu Rissen führen“, sagt Tobias Fritsch. Er untersuchte daher ein additiv gefertigtes Bauteil des Gasturbinenherstellers Siemens Energy in der Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz (FRM II) mit Neutronen auf Eigenspannungen.

    Nachbehandlung absichtlich weggelassen

    Für das Neutronen-Experiment am FRM II druckte Siemens Energy eine wenige Millimeter große Gitterstruktur aus einer für Gasturbinenkomponenten üblichen Nickel-Chrom-Legierung. Die übliche Wärmebehandlung nach der Fertigung wurde dabei absichtlich weggelassen.

    „Wir wollten sehen, ob wir mit Neutronen die Eigenspannungen in diesem komplexen Bauteil nachweisen können“, erklärt Tobias Fritsch. Er hatte bereits Erfahrungen mit Neutronenmessungen am Berliner Forschungsreaktor BER II gesammelt, der aber Ende 2019 abgeschaltet worden war.

    „Wir sind froh, dass wir im Heinz Maier-Leibnitz Zentrum in Garching messen können und mit dem Equipment, das STRESS-SPEC zur Verfügung stellt, sogar Eigenspannungen in solch filigranen und komplexen Gitterstrukturen auflösen können“, sagt der Physiker.

    Wärme beim Drucken gleichmäßig verteilen

    Nachdem es dem Team gelang, die Eigenspannungen in dem Bauteil nachzuweisen, geht es im nächsten Schritt nun darum, die zerstörerischen Spannungen zu verringern. „Wir wissen, dass wir die Parameter des Bauprozesses und damit den Aufbau des Bauteils anpassen müssen“, sagt Fritsch. Dabei ist der zeitliche Wärmeeintrag beim Aufbau der einzelnen Schichten entscheidend. „Je lokaler wir die Wärme beim Schmelzen des Pulvers einbringen, desto mehr Eigenspannungen erzeugen wir.“

    Je länger der Laser des Druckers auf einen Punkt gerichtet ist, desto stärker erwärmt sich dieser im Vergleich zu den Nachbarbereichen. Dies erzeugt Temperaturgradienten, die zu Unregelmäßigkeiten im Atomgitter führen.

    „Wir müssen die Wärme beim Drucken also möglichst gleichmäßig verteilen“, sagt Fritsch. Das wird die Gruppe zukünftig mit neuen Bauteilen unter veränderten Druckeinstellungen erforschen. Deshalb plant er zusammen mit Siemens bereits neue Messungen an der TUM-Neutronenquelle in Garching.

    ###

    An der Forschungsarbeit waren neben Wissenschaftlern des Heinz Maier-Leibnitz Zentrums der Technischen Universität München und der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung eine Entwicklerin der Siemens Energy GmbH & Co KG und Wissenschaftler der Universität Potsdam beteiligt.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Michael Hofmann
    Instrumentwissenschaftler am Instrument STRESS-SPEC
    Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz (FRM II)
    Technische Universität München
    Lichtenberg Str. 1, 85748 Garching
    Telefon +49 89 289 14744
    E-Mail: michael.hofmann@frm2.tum.de


    Originalpublikation:

    On the determination of residual stresses in additively manufactured lattice structures
    Tobias Fritsch, Maximilian Sprengel, Alexander Evans, Lena Farahbod-Sternahl, Romeo Saliwan-Neumann, Michael Hofmann and Giovanni Bruno
    Journal of Applied Crystallography, 2021, 54, 228–236 – DOI: 10.1107/S1600576720015344


    Weitere Informationen:

    https://doi.org/10.1107/S1600576720015344 Originalpublikation
    https://www.tum.de/nc/die-tum/aktuelles/pressemitteilungen/details/36585/ Presseinformation auf der TUM-Homepage
    https://mlz-garching.de/stress-spec/de Website des Instruments STRESS-SPEC
    https://www.frm2.tum.de/ Website der Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz (FRM II)


    Bilder

    Das Gasturbinen-Bauteil in Messposition am Neutronen-Diffraktometer STRESS-SPEC.
    Das Gasturbinen-Bauteil in Messposition am Neutronen-Diffraktometer STRESS-SPEC.
    Dr. Tobias Fritsch / BAM

    Per Fernbedienung bringt Dr. Tobias Fritsch das Bauteil am Eigenspannungs-Diffraktometer STRESS-SPEC der Forschungs-Neutronenquelle in die richtige Messposition.
    Per Fernbedienung bringt Dr. Tobias Fritsch das Bauteil am Eigenspannungs-Diffraktometer STRESS-SPEC ...
    Dr. Michael Hofmann / TUM


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
    Energie, Maschinenbau, Physik / Astronomie, Verkehr / Transport, Werkstoffwissenschaften
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Das Gasturbinen-Bauteil in Messposition am Neutronen-Diffraktometer STRESS-SPEC.


    Zum Download

    x

    Per Fernbedienung bringt Dr. Tobias Fritsch das Bauteil am Eigenspannungs-Diffraktometer STRESS-SPEC der Forschungs-Neutronenquelle in die richtige Messposition.


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).