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14.10.2021 21:00

Eine Landkarte der Erkrankungen: Proteine erklären, wie Gene Krankheiten verursachen

Dr. Stefanie Seltmann Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Berlin Institute of Health in der Charité (BIH)

    Wissenschaftler*innen um Professorin Claudia Langenberg vom Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) sowie von der Universität Cambridge haben kürzlich eine ‚Landkarte‘ verschiedenster Erkrankungen, die sich auf gemeinsame Ursachen zurückführen lassen, vorgestellt. In einer neuen Studie konnten sie nun nachweisen, wie kleine, natürliche Unterschiede in unseren Genen verschiedenste Krankheiten verursachen und welche Proteine dafür verantwortlich sind. Damit zeigen sie auch mögliche Angriffspunkte für neue Therapien auf, die sich gegen einzelne oder auch mehrere Krankheiten gleichzeitig richten könnten.

    Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftler*innen um Claudia Langenberg in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht.

    Proteine sind die entscheidenden Funktionsträger im menschlichen Körper: Sie übersetzen die Information, die im Erbgut verschlüsselt ist. Proteine, die schlecht oder gar nicht funktionieren oder die in zu geringer oder zu großer Menge vorhanden sind, verursachen die meisten Krankheiten. Entsprechend stellen Proteine die Angriffspunkte für fast alle gängigen Medikamente dar. Ein internationales Forschungsteam um Claudia Langenberg, die am BIH die Abteilung Computational Medicine leitet und ebenfalls eine Arbeitsgruppe am Medical Research Council (MRC) Epidemiology Unit der Universität von Cambridge, UK, leitet, konnte nun zeigen, wie natürliche Variationen an 2.500 Stellen im Erbgut zu Veränderungen in fast 5.000 verschiedenen Proteinen führen. Ihre Daten erzeugten sie aus der so genannten MRC Fenland study mit über 10.000 britischen Teilnehmern.

    Neue Risikogene entdeckt …

    Die Autoren nutzten diese neuen Erkenntnisse, um sie systematisch mit tausenden Veränderungen im Erbgut abzugleichen, von denen man zwar weiß, dass sie verschiedenste Krankheiten verursachen können, allerdings oft nicht, auf welchem Wege das geschieht. So haben zum Beispiel genomweite Assoziationsstudien eine bestimmte Region im Erbgut (KAT8) mit der Alzheimerkrankheit in Verbindung gebracht, man wusste jedoch nicht, welches Gen genau verantwortlich war. Indem das Team vom BIH nun die Daten sowohl von Proteinen als auch von Genen miteinander kombinierte, war es in der Lage, ein Gen namens PRSS8 in genau dieser Region neben KAT8 zu identifizieren, dass die Erbinformation für das Protein Prostasin beinhaltet und nun als neues Risikogen für Alzheimer gilt. Auf ähnliche Weise entdeckten sie hunderte weitere Beispiele, darunter das Gen RSPO3 als Risikogen für Gebärmutterhalskrebs.
    Insgesamt entdeckten die Wissenschaftler*innen mehr als 1.800 Beispiele, bei denen spezifische Proteine und Krankheiten durch die exakt gleiche Variation im Erbgut verursacht wurden. Heraus kam ein Netzwerk von menschlichen Krankheiten, weil viele der Gene mit vielen verschiedenen Krankheiten gleichzeitig verbunden waren.

    … die teilweise für 37 Krankheiten verantwortlich sind.

    „Ein extremes Beispiel ist das Protein Fibulin-3, das wir mit 37 verschiedenen Krankheiten in Verbindung bringen konnten: Dazu zählten Überbeweglichkeit, Leistenbrüche, Krampfadern und ein verringertes Risiko für das Karpal-Tunnel-Syndrom. Eine wahrscheinliche Erklärung dafür ist die untypische Bildung von elastischen Fasern, die unsere Organe und Gelenke bedecken, was zu unterschiedlicher Elastizität im Weichteil- und Bindegewebe führt. Das passt auch zu der Beobachtung von anderen Arbeitsgruppen, die diese Veränderungen in Mäusen gesehen haben, denen dieses Gen fehlte“, erklärt Claudia Langenberg.
    „Die Analyse unseres Erbguts war der Schlüssel zum Erfolg“, ergänzt Erstautor Maik Pietzner. „Nur so konnten wir nachvollziehen, in welchem Gewebe welches Gen wie stark abgelesen wird und so die Spur der Proteine im Blut bis in das für die Krankheit verantwortliche Gewebe zurückverfolgen. So führt etwa die höhere Aktivität des Enzyms Gallensalzsulfotransferase in der Leber zu einem erhöhten Risiko für Gallensteine. Wir konnten so rund 900 Proteine im Blut ihrem Ursprungsgewebe zuordnen.“

    Webserver erlaubt weltweiten Zugriff auf Daten

    In Zusammenarbeit mit Kollegen vom Helmholtz-Zentrum München entwickelten die Autoren eine Webanwendung (www.omiscience.org), um ihre Ergebnisse unmittelbar zu verbreiten und Forschern aus aller Welt zu erlauben, mit ihren Daten zu arbeiten und sich weitreichende Informationen zu verschaffen über Gene, Proteine und Krankheiten, an denen sie interessiert sind.

    „Für die meisten Regionen im Erbgut, die mit einem Krankheitsrisiko in Verbindung stehen, ist das genaue Gen oder der Mechanismus, wie es die Krankheit verursacht, nicht bekannt. Unsere Arbeit zeigt, wie Proteine hier elementare Wissenslücken füllen: Sie zeigen Mechanismen auf, wie Krankheiten entstehen und liefern so Ansatzpunkte für die translationale Forschung, vor allem für die Entwicklung neuer Medikamente. Das hier veröffentlichte Erkrankungsnetzwerk haben wir auf der Basis von menschlichen Daten und nicht mit der Hilfe von Mausmodellen erstellt: natürliche Varianten im Erbgut des Menschen führen zu veränderten Proteinen und diese zu verschiedenen Krankheiten. Diese Zusammenhänge erlauben es Wissenschaftler*innen nun auf der ganzen, Welt neue Hypothesen abzuleiten und zielgerichtete Medikamente zu entwickeln. Wir leisten damit einen bedeutenden Beitrag zur anwendungsorientierten medizinischen Forschung“, ist Claudia Langenberg überzeugt.

    Originalpublikation:
    Maik Pietzner, Eleanor Wheeler, Julia Carrasco-Zanini, Adrian Cortes, Mine Koprulu, Maria A. Wörheide, Erin Oerton, James Cook, Isobel D. Stewart, Nicola D. Kerrison, Jian’an Luan, Johannes Raffler, Matthias Arnold4,6, Wiebke Arlt7, Stephen O’Rahilly, Gabi Kastenmüller, Eric R. Gamazon, Aroon D. Hingorani, Robert A. Scott, Nicholas J. Wareham, Claudia Langenberg „Mapping the proteo-genomic convergence of human diseases“; Science, DOI: https://doi.org/xy

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    Über das Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité
    Die Mission des Berlin Institute of Health (BIH) ist die medizinische Translation: Erkenntnisse aus der biomedizinischen Forschung werden in neue Ansätze zur personalisierten Vorhersage, Prävention, Diagnostik und Therapie übertragen, umgekehrt führen Beobachtungen im klinischen Alltag zu neuen Forschungsideen. Ziel ist es, einen relevanten medizinischen Nutzen für Patient*innen und Bürger*innen zu erreichen. Dazu etabliert das BIH als Translationsforschungsbereich in der Charité ein umfassendes translationales Ökosystem, setzt auf ein organübergreifendes Verständnis von Gesundheit und Krankheit und fördert einen translationalen Kulturwandel in der biomedizinischen Forschung. Das BIH wurde 2013 gegründet und wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und zu zehn Prozent vom Land Berlin gefördert. Die Gründungsinstitutionen Charité – Universitätsmedizin Berlin und Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) waren bis 2020 eigenständige Gliedkörperschaften im BIH. Seit 2021 ist das BIH als so genannte dritte Säule in die Charité integriert, das MDC ist Privilegierter Partner des BIH.


    Originalpublikation:

    Originalpublikation:
    Maik Pietzner, Eleanor Wheeler, Julia Carrasco-Zanini, Adrian Cortes, Mine Koprulu, Maria A. Wörheide, Erin Oerton, James Cook, Isobel D. Stewart, Nicola D. Kerrison, Jian’an Luan, Johannes Raffler, Matthias Arnold4,6, Wiebke Arlt7, Stephen O’Rahilly, Gabi Kastenmüller, Eric R. Gamazon, Aroon D. Hingorani, Robert A. Scott, Nicholas J. Wareham, Claudia Langenberg „Mapping the proteo-genomic convergence of human diseases“; Science, DOI: https://doi.org/xy


    Weitere Informationen:

    https://www.bihealth.org/de/aktuell/eine-landkarte-der-erkrankungen-proteine-erk...


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Biologie, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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