idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
15.10.2021 12:12

Schwachstelle für Herzproblem entdeckt

Kirstin Linkamp, Deutsches Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg DZHI Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Universitätsklinikum Würzburg

    Wissenschaftler aus dem Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg (DZHI) machen fehlenden Calciumkanal in den Mitochondrien als Auslöser für Arrhythmien und Herzinsuffizienz beim seltenen Barth-Syndrom aus. Da Calcium der wichtigste Botenstoff für die Anpassung der Energieproduktion an einen erhöhten Bedarf ist, erklärt dieser Defekt die Unfähigkeit der Barth-Herzen, bei körperlicher Aktivität die Pumpleistung zu steigern, aber auch das Auftreten von Herzrhythmusstörungen. Diese im AHA-Journal veröffentlichten Erkenntnisse sind nicht nur ein Lichtblick in der Behandlung des Barth-Syndroms, sondern ggf. auch der weiter verbreiteten Herzinsuffizienz mit erhaltener Pumpfunktion (HFpEF).

    Unser Herz pumpt in der Regel pro Minute vier bis fünf Liter Blut in unseren Körper, bei hoher Belastung sogar bis zu 30 Liter pro Minute, sofern es gesund ist. Bei Jungen, die am Barth-Syndrom leiden, schlägt das Herz bei Anstrengung zwar schneller, der Auswurf kann aber nicht entsprechend gesteigert werden. Die Folge dieser verminderten Herzfunktions-Reserve bei Belastung ist Luftnot. Hinzu kommen Herzrhythmusstörungen, die auch zum plötzlichen Tod führen können. Doch Patienten mit dem Barth-Syndrom dürfen möglicherweise bald aufatmen.

    Weniger Calcium = weniger Energie in Herzmuskelzellen

    Der Kardiologe Christoph Maack und der Biologe Jan Dudek forschen bereits seit vielen Jahren an den Krankheitsmechanismen des Barth-Syndroms. Das Barth-Syndrom geht auf einen Defekt des Tafazzin-Gens zurück, und Tafazzin produziert Cardiolipin, einen wesentlichen Bestandteil der Mitochondrienmembran. Die Forscher fanden heraus, dass die durch den Defekt des Tafazzin-Gens beeinträchtige Energiegewinnung der Herzmuskelzellen mit dem Calciumhaushalt zusammenhängen. Durch die verminderte Calciumaufnahme in den Mitochondrien, den Kraftwerken der Herzmuskelzelle, wird die Aktivierung des Citratzyklus gestört. Im Citratzyklus werden mithilfe des energieliefernden Coenzym NADH Elektronen für die Produktion des energiereichen Moleküls Adenosintriphosphat (ATP), und über NADPH Elektronen für die Entgiftung von Sauerstoffradikalen hergestellt.

    Durch fehlenden Calciumkanal leeren sich die Speicher

    Die Forscher aus dem DZHI-Department Translationale Forschung, allen voran Edoardo Bertero, Alexander Nickel und Michael Kohlhaas, haben nun den Mechanismus erkannt, warum sich das Herz-Zeit-Volumen nicht steigern lässt, und warum vermehrt Arrhythmien auftreten.
    Früher ging man davon aus, dass das Fehlen von Cardiolipin vor allem der Atmungskette Probleme bereitet und Sauerstoffradikale die Zellen schädigen. Das Cardiolipin ist auch bei vielen anderen Herzkrankheiten durch oxidativen Stress geschädigt. Ein Mangel an diesem Phospholipid stört die Atmungskette, wodurch weniger Energie produziert wird. "Obwohl wir in unseren Studien auch eine moderate Störung der Atmungskette feststellen konnten, haben wir keine übermäßigen Mengen an Radikalen gemessen", erklärt Edoardo Bertero, der Erstautor der Studie. "Stattdessen haben wir beobachtet, dass der Kanal, der für den Calciumimport in die Mitochondrien verantwortlich ist, der so genannte mitochondriale Calcium-Uniporter, kurz MCU, in Mäusen mit Tafazzin-Knockdown fast vollständig verschwunden war. Dies ist wichtig für Patienten mit Barth-Syndrom, weil es erklärt, warum ihre Herzen nicht in der Lage sind, ihre Auswurfleistung bei körperlicher Anstrengung zu erhöhen; aber auch für die allgemeine Herzphysiologie, weil es eine bisher nicht gewürdigte Funktion von Cardiolipin aufdeckt, nämlich die Stabilisierung des MCU-Protein-Komplexes.“

    Entdeckung führt zu besserem Verständnis des Barth-Syndroms

    Maack fügt hinzu: „Die Gen- und Proteinstruktur des mitochondrialen Calciumkanals ist erst seit zehn Jahren bekannt. Das Barth-Syndrom ist die erste uns bekannte Erkrankung, bei der ein relevanter Defekt des MCU in Herzzellen deren Funktion nachhaltig beeinträchtigt.“ Mit dieser Entdeckung liefern die Forscher des DZHI einen wichtigen Therapieansatz, möglicherweise nicht nur bei der Behandlung des Barth-Syndroms, sondern auch bei anderen Herzerkrankungen mit erhaltener Pumpfunktion, und im speziellen bei anderen genetischen Kardiomyopathien. „Hilfreich könnte vielleicht die Gabe von SGLT2-Hemmern sein. Sie reduzieren das Natrium in der Zelle, dadurch wird weniger Calcium aus den Mitochondrien herausgeholt, die Energiespeicher bleiben länger voll, sodass das Herz bei erhöhter Belastung besser mithalten kann“, spekuliert Maack. Dies müsse aber erst noch untersucht werden. Weniger empfehlenswert seien Wirkstoffe, die die Pumpkraft des Herzens steigern, indem sie das Natrium erhöhen, wie zum Beispiel das seit Jahrzehnten verwandte Digitalis.

    In der Vergangenheit wurden Jungen mit Barth-Syndrom oft nicht älter als drei Jahre. Sie starben an Herzversagen oder Infektionen. Aber mit einer verbesserten Diagnose und einer angemessenen medizinischen Behandlung und Überwachung aller Symptome ist die Überlebensrate und die Zukunft dieser Menschen viel besser. „Genau das motiviert mich und spornt mich an. Die Krankheit ist zwar selten. Bekannt sind etwa 500 Fälle weltweit. Wir gehen jedoch von einer hohen Dunkelziffer aus. Und was zählt ist das Schicksal jedes einzelnen Jungen“, betont Maack.

    Die Arbeiten entstanden in enger Zusammenarbeit mit zahlreichen anderen Gruppen in Homburg/Saar, Göttingen und Würzburg. Gefördert wurden die Forschungsarbeiten durch die Margret Elisabeth Strauß-Projektförderung der Deutschen Herzstiftung, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), den European Research Council (ERC) sowie die US-amerikanische Barth Syndrome Foundation.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Christoph Maack: Maack_C@ukw.de


    Originalpublikation:

    https://doi.org/10.1161/CIRCULATIONAHA.121.053755


    Weitere Informationen:

    https://www.barthsyndrome.org - Informationen zur Erkrankung
    https://www.ukw.de/behandlungszentren/dzhi/startseite/ - Informationen zum Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz


    Bilder

    Edoardo Bertero (links) und Michael Kohlhaas an der Single-Cell-Force-Anlage im Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg (DZHI).
    Edoardo Bertero (links) und Michael Kohlhaas an der Single-Cell-Force-Anlage im Deutschen Zentrum fü ...
    Gregor Schläger
    DZHI

    Das Barth-Syndrom geht auf einen Defekt des Tafazzin-Gens zurück, und Tafazzin produziert Cardiolipin, einen wesentlichen Bestandteil der Mitochondrienmembran.
    Das Barth-Syndrom geht auf einen Defekt des Tafazzin-Gens zurück, und Tafazzin produziert Cardiolipi ...
    Edoarda Bertero
    DZHI


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Edoardo Bertero (links) und Michael Kohlhaas an der Single-Cell-Force-Anlage im Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg (DZHI).


    Zum Download

    x

    Das Barth-Syndrom geht auf einen Defekt des Tafazzin-Gens zurück, und Tafazzin produziert Cardiolipin, einen wesentlichen Bestandteil der Mitochondrienmembran.


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).