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19.01.2022 11:02

Kosmische Teilchen ermöglichen den Röntgenblick

Verena Roberz Abteilung Kommunikation
Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) gGmbH

    Fachleute der GRS haben einen Rechencode entwickelt, mit dem myonen-radiographische Aufnahmen simuliert werden können, um zu prüfen, inwieweit sich die Methode zur Untersuchung von Lagerbehältern für abgebrannte Brennelemente eignet

    In Deutschland wird ein Endlager für hochradioaktive Abfälle erst in einigen Jahrzehnten zur Verfügung stehen. Bis es soweit ist, müssen die Abfälle, zu denen auch bestrahlte Brennelemente aus dem Betrieb von Kernkraftwerken gehören, in Zwischenlagern aufbewahrt werden. Stand heute werden die Abfälle jedoch deutlich länger als die ursprünglich veranschlagten 40 Jahre in den Zwischenlagern verbleiben, weshalb unter anderem zusätzliche Nachweise zur Sicherheit der Abfallbehälter und ihres Inventars erforderlich werden. Fachleute der GRS beschäftigen sich in diesem Zusammenhang mit der Frage, welche Methoden sich eignen, um Erkenntnisse zum Zustand des Inventars im Lagerbehälter zu gewinnen. Im Rahmen eines Forschungsvorhabens haben sie nun einen Rechencode entwickelt, mit dem myonen-radiographische Aufnahmen simuliert werden können. Die Fachleute haben geprüft, inwieweit sich die Methode zur Untersuchung von Lagerbehältern eignet.

    Überwachung von Behältern im Zwischenlager

    Die Behälter in einem Zwischenlager werden kontinuierlich überwacht. Dies geschieht zum einen in Form von Begehungen, bei denen offensichtliche Beschädigungen oder Korrosionen an den Behältern festgestellt werden können. Darüber hinaus sind die Lagerbehälter an ein Überwachungssystem angeschlossen, das den Druck in dem mit Helium gefüllten Sperrraum zwischen Primär- und Sekundärdeckel misst. Bei einem Druckabfall (z. B. durch eine beschädigte Dichtung an einem der Deckel) löst das Überwachungssystem einen Alarm aus. Erkenntnisse zum Zustand des Inventars im Inneren eines Lagerbehälters lassen sich mittels dieser (Mess-)Methoden allerdings nicht ableiten. Auch wenn es zunächst naheliegend erscheint, kommt das Öffnen eines Lagerbehälters im Rahmen einer routinemäßigen Inspektion derzeit nicht in Frage: das technisch komplexe Behältersystem müsste auf Grund der hohen Strahlung, die vom Inventar ausgeht, abgeschirmt in einer sogenannten heißen Zelle mit ferngesteuerten Werkzeugen geöffnet werden.

    Methoden zur Untersuchung des Inventars

    Wie also lässt sich insbesondere im Hinblick auf die verlängerte Zwischenlagerung an Informationen zum Zustand des Inventars kommen? Und das am besten, ohne den Behälter dafür öffnen zu müssen? Mit diesen und ähnlichen Fragen befassen sich Forschende weltweit sowohl in experimentellen Studien als auch mit Hilfe von Simulationsrechnungen.

    Erfahrungswerte aus experimentellen Studien liegen beispielsweise von der sogenannten dreidimensionalen Temperaturfeldmessung und der Antineutrino-Überwachung vor. Allerdings werden für beide Methoden detaillierte Kenntnisse zur Brennstoffhistorie – das umfasst unter anderem Fragen zu Nutzungszeitraum oder auch Fahrweise des Reaktors – vorausgesetzt, weshalb sie zur Beurteilung einzelner Lagerbehälter als weniger geeignet gelten. Auch die konventionelle Radiographie mit Neutronen oder Photonen brachte bislang nicht die gewünschten Ergebnisse – unter anderem auf Grund der großen Abmessungen des Lagerbehälters und der dicken Metallwände. Mehr Erfolg, wenn es um die nicht-invasive Kontrolle und Überwachung des Innenraums von Lagerbehältern geht, versprechen sich Forschende derzeit von der sogenannten Myonen-Radiographie. Das Prinzip ist vergleichbar mit einer Röntgenaufnahme, nur dass es in größerem Maßstab eingesetzt werden kann.

    Myonen sind kurzlebige Elementarteilchen und Bestandteil der kosmischen Strahlung. Sie stehen jederzeit ohne weitere Hilfsmittel zur Verfügung und führen zu keinen zusätzlichen radiologischen Belastungen. Ein weiterer Vorteil ist, dass sie auch schwere Materie wie beispielsweise Uran durchdringen können. Je höher die Dichte der Materie ist, in die die Myonen eindringen, desto mehr Myonen werden in dieser Materie absorbiert (Transmissionswahrscheinlichkeit) und desto größer ist der Winkel, in dem die Myonen abgelenkt werden (Streuwinkel). Beide Größen, das heißt die Transmissionswahrscheinlichkeit und das Streuvermögen, können zum Zwecke der Bildgebung genutzt werden. Bei einem experimentellen, maßstabsgetreuen Aufbau werden die Myonen mit großflächigen Detektoren, die auf zwei gegenüberliegenden Seiten des zu vermessenden Objektes platziert werden, nachgewiesen. Für jedes einzelne Myon kann nachgewiesen werden, ob es womöglich im Objekt selbst vollständig abgebremst (absorbiert) wurde. Gegebenenfalls kann auch der effektive Streuwinkel bestimmt werden.

    Myonen für bildgebende Verfahren einzusetzen, ist in der Kerntechnik nichts Neues: Unter anderem wurde die Methode im Zuge der Aufräumarbeiten im zerstörten Kernkraftwerk Fukushima eingesetzt. Hier bediente man sich der Myonen-Tomographie (ermöglicht im Vergleich zur Myonen-Radiographie dreidimensionale Bilder), um den geschmolzenen Brennstoff in den Reaktoren 1 und 2 von außen zu lokalisieren.

    GRS-Studie: Simulation einer Myonen-Radiographie

    Bisherige Studien zur Untersuchung des Inventars von Lagerbehältern mittels Myonen-Radiographie – sowohl Experimente als auch Simulationen – befassen sich mit dem Brennelement als solches. In der Regel nutzten diese Studien einen transversalen Versuchsaufbau, bei dem die Detektoren, die die Bewegung der Myonen erfassen, jeweils an den Längsseiten des Behälters angebracht wurden.

    In einer aktuellen Simulationsstudie wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der GRS nun weitere offene Fragen im Zusammenhang mit der Methode der Myonen-Radiographie klären und hier insbesondere das Auflösungsvermögen, sprich der Bildqualität, untersuchen. Innerhalb eines von der GRS dazu entwickelten Codes lässt sich simulieren, wie Partikel beim Durchdringen von Materie – in diesem Fall dem Modell eines Lagerbehälters – mit dieser wechselwirken. Dazu wurden Behältersysteme und die darin enthaltenen Kernbrennstoffe digital nachgebildet. Für ihre Untersuchung legten die GRS-Forschenden eine Konfiguration zugrunde, bei der die Detektoren oberhalb und unterhalb des Behälters angeordnet sind. Die Forschenden wollten unter anderem herausfinden, ob durch die Myonen-Radiographie auch einzelne fehlende Brennstäbe erkannt werden können, und wenn ja, ob es Einschränkungen oder Anforderungen an den Versuchsaufbau gibt und wie viel Zeit für eine Messung benötigt wird.

    Ergebnisse und nächste Schritte

    Die Simulationen haben gezeigt, dass bereits mit einfachen Analyseverfahren die Methode der Myonen-Radiographie in der Lage ist, auch einzelne fehlende Brennstäbe im Lagerbehälter zu erkennen. Voraussetzung hierfür ist jedoch eine extrem lange Messzeit von etwa zwei Jahren. Außerdem zeigten die Untersuchungen, inwieweit sich Qualitätsunterschiede bei den erzeugten Bildern ergeben – abhängig von dem für die Bildgebung berücksichtigten Anteil der initialen Winkelverteilung sowie der genutzten bildgebenden Information (Transmissionswahrscheinlichkeit bzw. effektiver Streuwinkel).

    In zukünftigen Arbeiten werden die Forscherinnen und Forscher daher unter anderem der Frage nachgehen, inwieweit bessere Bildgebungsalgorithmen und Verfahren zur Rekonstruktion des Streuwinkels die Messzeiten reduzieren können. Zudem soll die Berechnungsmethode anhand experimenteller Daten validiert und beispielsweise auch auf tomographische (dreidimensionale) Aufnahmen ausgedehnt werden. Weitere Simulationen sind unter anderem mit horizontal verlaufenden Scans und anderen Behältergeometrien geplant. Zusätzlich soll das Verfahren auch auf weitere, anwendungsnahe Szenarien im Kontext der verlängerten Zwischenlagerung angewendet und Untersuchungen zur Sensitivität der Berechnungen (in wieviel Prozent der Durchläufe erkennt das Berechnungsprogramm den fehlenden Brennstab o. ä.) durchgeführt werden. Die Forschungsgruppe plant außerdem, den von ihr entwickelten Simulationscode zu veröffentlichen und damit anderen Forschungseinrichtungen zugänglich zu machen.


    Weitere Informationen:

    https://www.grs.de/sites/default/files/pdf/GRS-A-3597.pdf Sicherheitstechnische Aspekte der langfristigen Zwischenlagerung von bestrahlten Brennelementen und verglastem HAW
    https://www.grs.de/mit-sicherheit-in-die-verlaengerung Zwischenlagerung - mit Sicherheit in die Verlängerung
    https://www.grs.de/aktuelles/Verhalten-Brennelemente-bei-deutlich-laengerer-Zwis... Wie verhalten sich Brennelemente bei deutlich längerer Zwischenlagerung


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Energie, Physik / Astronomie, Umwelt / Ökologie, Werkstoffwissenschaften
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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