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12.04.2023 11:55

Multiple Sklerose: Aktuelle Immunmodulatoren im Vergleich

Jens Flintrop Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

    Für viele der Fragestellungen zur Therapie von MS mit schubförmig remittierendem Verlauf fehlt es an Studien und Herstellerdaten. Stellungnahmen zum Vorbericht bitte bis zum 11.05.2023.

    Zur Behandlung von multipler Sklerose (MS) stehen einige Wirkstoffe mit Einfluss auf das Immunsystem, sogenannte Immunmodulatoren zur Verfügung, die Symptome und Folgen der entzündlichen und neurodegenerativen Erkrankung mindern und aufhalten sollen: Manche davon sind seit den 1990er-Jahren als Basistherapie im Einsatz, zum Beispiel Beta-Interferone oder Glatirameracetat. Seit 2005 werden weitere Immunmodulatoren als hochwirksame (Eskalations-)Therapien angewendet, insgesamt zehn Wirkstoffe bei der häufigsten MS-Form mit schubförmig wiederkehrendem Verlauf (Relapsing-remitting multiple Sclerosis, RRMS): Cladribin, Dimethylfumarat, Ozanimod, Ponesimod, Teriflunomid, Fingolimod sowie die monoklonalen Antikörper Alemtuzumab, Natalizumab, Ocrelizumab, Ofatumumab.

    Die Verläufe der chronischen Erkrankung variieren stark, sodass auch unterschiedliche Therapiestrategien notwendig sind. Deshalb vergleicht das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit (IQWiG) im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) diese Wirkstoffe in einer Nutzenbewertung nicht nur untereinander, sondern auch in verschiedenen Therapiestrategien zur Behandlung von Erwachsenen mit einer hochaktiven RRMS trotz Vorbehandlung. Im Vordergrund stehen dabei die Vor- und Nachteile der Therapieoptionen für Patientinnen und Patienten.

    Allerdings ist die Datenlage in weiten Teilen lückenhaft: Für den Vergleich der Umstellung von einer Basistherapie auf eine Eskalationstherapie oder auf eine andere Basistherapie liegen aussagekräftige Daten nur aus einer Studie zu einem der zehn Wirkstoffe vor: Demnach ist die Wirkung von Alemtuzumab als Eskalationstherapie der von Interferon-beta 1a als Basistherapie überlegen.

    Relevante Studien fehlen zu den Wirkstoffen in einer Deeskalationsstrategie, also zum Aussetzen der Therapie oder zum Wechsel zu einer anderen Basistherapie. Zu diesen für die Betroffenen sehr relevanten Themen bleiben also viele Fragen offen.

    Für den Vergleich der Wirkstoffe untereinander als Eskalationstherapie liegen für sieben der zehn Wirkstoffe Studiendaten vor, allerdings kaum vergleichende Daten. Direkt vergleichende Ergebnisse gibt es zu drei Wirkstoffen und demnach bieten Ofatumumab und Ponesimod Vorteile für Betroffene jeweils im Vergleich mit Teriflunomid.

    Das IQWiG bittet um Stellungnahmen zum Vorbericht bis zum 11.05.2023.

    Hohe Krankheitslast und lebenslange Einschränkungen

    Mit einer Prävalenz von über 200 000 Erkrankten in Deutschland ist die multiple Sklerose eine der häufigsten entzündlichen neurologischen Autoimmunerkrankungen mit weitreichenden Folgen für den Alltag der Betroffenen. RRMS ist die häufigste MS-Form und verläuft schubförmig in Episoden mit akuter Symptomatik über mindestens 24 Stunden. Intensität, Zeitpunkt der Schübe, Dauer und Art der Symptome variieren individuell sehr stark. Mit dem Ende eines Schubes klingen die krankheitsbedingten Einschränkungen wieder ab, können aber auch nachwirken und zu bleibender Behinderung oder Verschlechterung einer bestehenden Behinderung bis hin zur Pflegebedürftigkeit führen.

    Das Symptomspektrum dieser „Krankheit mit den tausend Gesichtern“ ist sehr breit: Akute Symptome wie motorische Störungen, Sehstörungen, Schmerzen oder Inkontinenz sowie Erschöpfung (Fatigue), Depressionen und kognitive Einschränkungen werden von den Betroffenen als besonders belastend genannt. Das bestätigte sich im persönlichen Gespräch mit Patientinnen und Patienten, die das IQWiG für diese Nutzenbewertung geführt hat, um aus erster Hand mehr zu erfahren über das Leben mit RRMS und deren Auswirkungen für die tägliche Lebensqualität. Auch die Behandlungsmöglichkeiten und deren Auswirkungen auf den Lebensalltag waren Thema des Betroffenengesprächs. Daraus ergaben sich für diese Nutzenbewertung vier grundlegende Fragestellungen unter anderem zu Therapiestrategien, die für Patientinnen und Patienten von besonderem Interesse sind.

    „Viele der Fragen, die den Betroffenen wichtig sind, können in diesem Vorbericht nicht beantwortet werden, weil es an Evidenz fehlt – denn bei den untersuchten Wirkstoffen endete die Forschung meist nach der Zulassung“, stellt Thomas Kaiser, Leiter des IQWiG, fest und ergänzt: „Vergleichende Untersuchungen, etwa in registerbasierten RCTs (randomisierte kontrollierte Studien), könnten diese Forschungslücke aber schließen.“ Ein großes Hindernis für weitergehende unabhängige Forschung nach der Zulassung ist in Deutschland die fehlende Finanzierung der Studienmedikation für interventionelle Studien. Das Hindernis sei jedoch überwindbar, betont Kaiser: „Eine entsprechende gesetzliche Regelung zur Finanzierung könnte zu registerbasierten Studien motivieren, die auch nach der Zulassung wichtige Antworten für eine gute Patientenversorgung liefern.“

    Forschungslücken nach der Zulassung lassen Betroffene und Behandelnde im Ungewissen

    Aussagekräftige Daten zur Therapiestrategie „Eskalation vs. Basistherapie“ liefert nur eine Studie für Alemtuzumab. Insgesamt war die Eskalation mit Alemtuzumab dem Wechsel auf die Basistherapie Interferon-beta 1a überlegen.

    Daten zu anderen Eskalationswirkstoffen in dieser Therapiestrategie fehlen. Auch zu den beiden Fragestellungen, die die Möglichkeit zur Deeskalation untersuchen, liegen keine relevanten Studien vor.

    Für den Vergleich verschiedener Eskalationswirkstoffe untereinander lagen Studiendaten zu den Wirkstoffen Alemtuzumab, Cladribin, Fingolimod, Ofatumumab, Ozanimod, Ponesimod und Teriflunomid vor. Für die Wirkstoffe Dimethylfumarat und Ocrelizumab übermittelten die Hersteller auf die Anfrage des IQWiG jeweils keine Auswertungen zur Patientengruppe der Nutzenbewertung, obwohl diese in den Studien untersucht worden sind. Für den Wirkstoff Natalizumab waren keine relevanten Studien zu identifizieren.

    Direkt vergleichende Studien zeigen Ergebnisse für die Wirkstoffe Ofatumumab und Ponesimod, jeweils im Vergleich mit Teriflunomid: Bei einer Behandlung mit Ofatumumab haben die Betroffenen weniger Krankheitsschübe pro Jahr und weniger Patientinnen und Patienten erleben überhaupt einen Schub. Außerdem mindert eine Ofatumumab-Therapie das Fortschreiten der Behinderung stärker als Teriflunomid. Insgesamt bilanzieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des IQWiG einen Hinweis auf einen höheren Nutzen von Ofatumumab gegenüber Teriflunomid.

    Eine Behandlung mit Ponesimod hat ebenfalls weniger Krankheitsschübe pro Jahr zur Folge als Teriflunomid. Insgesamt kommt das IQWiG im Fazit hier zu einem Anhaltspunkt für einen höheren Nutzen von Ponesimod gegenüber Teriflunomid.

    Zum Ablauf der Berichtserstellung

    Den finalen Berichtsplan für dieses Projekt hatte das IQWiG im Dezember 2021 veröffentlicht. Stellungnahmen zum Vorbericht „Alemtuzumab, Cladribin, Dimethylfumarat, Fingolimod, Natalizumab, Ocrelizumab, Ofatumumab, Ozanimod, Ponesimod und Teriflunomid zur Behandlung Erwachsener mit hochaktiver schubförmig-remittierender Multipler Sklerose“ werden nach Ablauf der Frist ab dem 11.05.2023 gesichtet. Sofern sie Fragen offenlassen, werden die Stellungnehmenden zu einer mündlichen Erörterung eingeladen.


    Originalpublikation:

    https://www.iqwig.de/projekte/a20-60.html


    Weitere Informationen:

    https://www.iqwig.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen-detailseite_91...


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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