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02.06.2023 09:36

Antrittsvorlesung Digital Humanities | Prof.in Dr.in Lina Franken über Algorithmen und Daten in den Kulturwissenschaften

Friedrich Schmidt Pressestelle
Universität Vechta

    Die Verwendung von Algorithmen und Daten in der Forschung eröffnet neue Wege, um die komplexen Phänomene und Strukturen unserer Kultur mit computergestützten Methoden zu verstehen und zu interpretieren. Lina Franken ist Professorin für Digital Humanities an der Universität Vechta und hat nun ihre Antrittsvorlesung gehalten. In der Aula der Hochschule sprach sie vor rund 120 Zuhörenden und online zugeschalteten Gästen über ihr Fachgebiet; „Algorithmen und Daten in kulturwissenschaftlicher Forschung. Digital Humanities in Anwendung und Reflexion“ hieß der Titel ihres Vortrags.

    „Mit Professorin Franken konnten wir für die Universität Vechta eine herausragende Wissenschaftlerin und Expertin auf dem spannenden und schnell wachsenden Forschungsfeld der Digital Humanities gewinnen“, sagte Universitätspräsidentin Prof.in Dr.in Verena Pietzner während ihrer Begrüßung. „Die Arbeit von Ihnen, liebe Frau Franken, zeigt uns, wie wir mithilfe eben dieser computergestützten Methoden und digitalen Daten neue Wege in der kulturwissenschaftlichen Forschung beschreiten können.“ Prof.in Dr.in Lina Franken sei eine Wissenschaftlerin, welche „uneingeschränkt für Zukunft steht“ – kooperativ, aufgeschlossen, freundlich und nicht zuletzt fachlich fundiert, ist sich Laudator Prof. Dr. Jochen A. Bär sicher und freute sich zusammen mit dem zuvor sprechenden Prof. Dr. Peter Nitschke, jetziger Dekan der Fakultät II, auf die weitere Zusammenarbeit mit der Kollegin.

    „Als Kulturwissenschaftlerin frage ich nach Bedeutungen von kulturellen Praxen und Narrativen im Wandel“ leitete Franken ihren Vortrag ein. „Mir geht es sowohl um konkretes Handeln als auch um damit verbundene Erzählungen und Diskurse“. Dabei würden Kulturwissenschaftler*innen mit einem Methodenbündel arbeiten. Auch die entsprechenden Quellen seien vielfältig: von einer Beobachtungsdokumentation bis hin zu historischen Objekten könne fast alles relevant werden. Doch dabei würden zunehmend Fragen entstehen: „Wie können wir Material sammeln und auswerten, und die immer größeren Datenmengen berücksichtigen, die Menschen selbst produzieren – Stichwort „Big Data“? Wie können digitale Geräte, Technologien und Infrastrukturen Forschungen sinnvoll verändern; und wo ist das hinderlich? Und welche neuen Kenntnisse sind dafür notwendig oder doch hilfreich?

    Das Fachgebiet der Digital Humanities (DH), nähert sich den vorhergehenden Fragen. Sechs Bereiche seien für die Anwendung relevant, stellte Prof.in Dr.in Lina Franken in ihrer Antrittsvorlesung vor. 1.) DH bedeuten die Anwendung und Weiterentwicklung von digitalen, computationellen Methoden. Es geht um die Nutzung informatischer Verfahren, also eine Auswertung von Quellen und Beantwortung kulturwissenschaftlicher Fragestellungen mittels digitaler Algorithmen. 2.) Um computationelle Verfahren nutzen zu können, sind digitale und digitalisierte Daten notwendig. „Weil kulturwissenschaftliche Fragestellungen so weit gefächert sind, können sowohl born-digital-Daten für unsere Forschungen in Frage kommen – also digital entstandene Daten vom Social-Media-Post bis zum Open Access Buch –, als auch Quellen für unsere Forschung retrodigitalisiert werden – also gescannte Texte und Bilder, fotografierte Objekte und mehr“ zählt die Kulturwissenschaftlerin auf. 3.) Aus der Nutzung von digitalen Daten ergibt sich die Notwendigkeit technischer Infrastrukturen, um diese Daten strukturiert abzulegen, wiederzufinden, aufzubereiten und zu analysieren. 4.) Eng mit den Infrastrukturen verbunden sind digitale, strukturierte Ressourcen. Mit diesen können Daten über Daten, die Metadaten, erzeugt werden, um Daten gut zu verarbeiten. 5.) Im erweiterten DH-Forschungsprozess fallen profane, gleichzeitig zeitaufwendige Schritte an, die nicht zu trennen sind von Schritten, die mit digitalen Algorithmen erledigt werden: die digitale Handarbeit. Ohne das händische Erledigen von monotonen Arbeitsschritten in digitalen Systemen funktionieren weder große Konzepte wie künstliche „Intelligenz“, noch die Aufbereitung von Forschungs- oder Archivdaten. Und 6.) „Die Möglichkeiten, solche digitale Handarbeit informiert an die eigenen Arbeitsweisen anzupassen und auszugestalten, sind eng verbunden mit digitalen Grundkompetenzen, die wir alle – vom Erstsemester bis zur Emeritierung – benötigen und immer wieder aktualisieren müssen, um das wissenschaftliche Arbeiten im Digitalen umzusetzen; etwa zu Fragen von Datenschutz, Privatheit und Ethik“, meint Franken. „Für die DH gehören dazu auch Kompetenzen in der Recherche passender Verfahren und zugehöriger Tools und Skripte.“

    DH in Anwendung würde die Umsetzung einzelner Schritte im Forschungsprozess mit informatischen Verfahren bedeuten, so die Professorin. In Ergänzung dazu stellte Franken vier zentrale Reflexionsperspektiven vor. Denn: „Betrachtet man nur die Forschungsmethoden, greift man zu kurz: Es verändern sich auch unsere Daten, Infrastrukturen und Ressourcen sowie unsere manuellen Arbeitspraxen und die Kompetenzen. Wir dürfen also nicht bei der Anwendung stehen bleiben.“ Wenn mit kulturwissenschaftlicher Expertise auf die Bereiche geschaut würde, würde nach Relationen, nach Bedeutungen und Prozessen, nach situierten Praxen des wissenschaftlichen Arbeitens gefragt werden. So machte sie deutlich, dass auch nicht-menschliche Akteure Einfluss auf den Forschungsprozess haben, also insbesondere die Geräte und Algorithmen. Außerdem sind in den DH spezifische Praktiken entstanden, die besonders das Ausprobieren in den Mittelpunkt stellen, aber immer wieder auch im Hinblick auf Wissensproduktion hinterfragt werden müssen. Denn mit der Entwicklung neuer Infrastrukturen und Systeme gehen auch Machtkonstellationen einher, die Einfluss darauf haben, welche Fragen wie gestellt werden können. Schließlich hob Franken hervor, dass auch die Daten selbst nicht immer eindeutig sind und deren digitale Verfügbarkeit außerdem neue ethische Fragen aufwirft. „Wissenschaft und Gesellschaft sind miteinander verschränkt, als Ergebnis und Bedingung sozialen Handelns und in fortlaufender Aushandlung“, schließt Franken und plädiert dafür, mit weniger Angst an Algorithmen und Daten in kulturwissenschaftlicher Forschung heranzutreten. Stattdessen sei eine konstruktive Auseinandersetzung notwendig, die gerade die kulturwissenschaftliche Interpretation stark macht.

    Lina Franken ist Universitätsprofessorin für Digital Humanities. Sie forscht und lehrt dazu, wie kulturwissenschaftliche Forschung durch computationelle Methoden und mit digitalen Daten erweitert werden kann. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf qualitativen und ethnografischen Perspektiven und den spezifisch kulturwissenschaftlichen Digital Humanities.

    Dies setzt sie in Forschungen zu Bildungs-, Arbeits- und Nahrungskulturen um, die sie mit Lehrforschungsprojekten verbindet. Außerdem untersucht sie in kritischer Reflexion die Technisierung und Digitalisierung in Alltag und Wissenschaft, gerade in Bezug auf neue Methoden und Daten sowie den kulturellen Wandel von Praxen und Narrativen des wissenschaftlichen Arbeitens. Besondere Bedeutung in der Theoretisierung kommt der Rolle von Infrastrukturen, Daten und Algorithmen zu. Darüber fragt sie nach Wissen, Macht und Diskursen in diesem Zusammenhang.

    Vor ihrer Berufung nach Vechta hat Lina Franken eine Professur für Computational Social Sciences an der LMU München vertreten, war an den Universitäten Hamburg, Bamberg, Regensburg und Bonn beschäftigt. Sie promovierte in der Vergleichenden Kulturwissenschaft Regensburg mit einer qualitativen Forschung zur Rolle von Lehrerinnen und Lehrern im Schulunterricht und schloss ihr Studium der Volkskunde, neueren Geschichte und Medienwissenschaft mit einer Arbeit zu Bergarbeiteridentitäten im Ruhrgebiet des 19. Jahrhunderts ab.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Kulturwissenschaften
    überregional
    Personalia
    Deutsch


     

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