Der vom Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) im Rahmen einer repräsentativen Befragung ermittelte Integrationsklima-Index 2024 hat sich nach einem Hoch vor zwei Jahren leicht abgeschwächt. Ausschlaggebend dafür ist, dass Menschen ohne Migrationshintergrund das Klima in den Bereichen Bildung und Nachbarschaft etwas negativer bewerten. Positiver wahrgenommen wird das Integrationsklima auf dem Arbeitsmarkt und in den sozialen Beziehungen. Die Bereitschaft, Menschen vor politischer Verfolgung oder Krieg Schutz zu gewähren, ist weiterhin groß.
„Anders als die oft hitzigen medialen Debatten um Migrationssteuerung vermuten lassen, bewerten Menschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte das Integrationsklima weiterhin mehrheitlich deutlich positiv – auch wenn sich nach einem Hoch im Jahr 2022 mit der aktuellen Messung der Wert leicht abgeschwächt hat“, sagt der SVR-Vorsitzende Prof. Hans Vorländer anlässlich der Vorstellung der Ergebnisse des SVR-Integrationsbarometers 2024. „Die Ergebnisse zeigen ein differenziertes Bild: Während die Menschen in einigen Bereichen größere Skepsis äußern, sehen sie in anderen Bereichen auch Verbesserungen. Offensichtlich unterscheiden die Befragten zwischen abstrakten Debatten und ihren persönlichen Erfahrungen im unmittelbaren Umfeld.“
Insgesamt liegt der Integrationsklima-Index (IKI) bei 66,3 Punkten und damit bei demselben Wert wie vor vier Jahren, 2022 waren es allerdings noch 68,5 IKI-Punkte. Die Skala reicht von 0 bis 100, je höher der Wert, desto besser wird das Integrationsklima eingeschätzt. Der Integrationsklima-Index erfasst, wie Menschen mit und ohne Migrationshintergrund das Zusammenleben in vier Bereichen bewerten, die für Integration zentral sind: Arbeit, Bildung, soziale Beziehungen und Nachbarschaft. Deutlich wird, dass das Integrationsklima sich aus Sicht von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund unterschiedlich entwickelt hat. Während es sich unter Menschen ohne Migrationshintergrund gegenüber der vorigen Erhebung um etwa drei IKI-Punkte eingetrübt hat (von 68,1 auf 64,9 IKI-Punkte), blieb es unter Zugewanderten und ihren Nachkommen nahezu unverändert (70,3 gegenüber 70,1 IKI-Punkte). Türkeistämmige Befragte bewerten das Integrationsklima dabei in allen Bereichen positiver als in den vergangenen Erhebungen.
„Positiv bewertet wird das Integrationsklima im Bereich Arbeit und bei sozialen Beziehungen. Skeptischer als vor zwei Jahren beurteilen Menschen ohne Migrationshintergrund hingegen den Bereich Nachbarschaft und vor allem den Bildungsbereich (-5,4 IKI-Punkte) und zwar trotz weiterhin überwiegend positiver eigener Erfahrung. Eine Ursache hierfür könnte eine gestiegene Skepsis gegenüber der Integrationsfähigkeit des Bildungssystems sein“, sagt SVR-Mitglied Prof. Marc Helbling. So wurde zum Beispiel gefragt, ob man das eigene Kind an einer Schule mit heterogener Schülerschaft anmelden würde. Das würden unter Menschen ohne Migrationshintergrund nur noch 55,0 Prozent der Befragten tun, vor zwei Jahren waren es noch 65,2 Prozent. „Wenn Eltern solche Schulen meiden, dann trägt dies zu schulischer Segregation bei; das wiederum erschwert den interkulturellen Austausch und kann dazu führen, dass sich spezifische Problemlagen an einzelnen Schulen bündeln“, so Prof. Helbling. „Zurückgegangen ist auch das Vertrauen in das Schulsystem insgesamt, und zwar nicht nur bei Personen, die Auswirkungen einer heterogenen Schülerschaft befürchten, sondern auch bei denen, die diese Sorgen nicht teilen. Das legt nahe, dass auch Faktoren wie beispielswiese der Lehrkräftemangel oder eine mangelnde Ausstattung der Schulen eine Rolle spielen.“
„Menschen, die von regelmäßigen interkulturellen Kontakten berichten, blicken positiver auf das Integrationsgeschehen als jene mit geringen interkulturellen Kontakten“, hebt Prof. Vorländer einen stabilen Befund der Forschung hervor, der sich erneut bestätigt hat. Allerdings zeigen sich größere Differenzen zwischen ost- und westdeutschen Personen ohne Migrationshintergrund. Während sich in der Erhebung vor zwei Jahren die Sichtweisen angenähert hatten, ist nun die Differenz wieder um 1,4 Punkte auf 7,4 IKI-Punkte angestiegen. Insgesamt hat sich das Integrationsklima bei westdeutschen Befragten ohne Migrationshintergrund um 3 IKI-Punkte eingetrübt (von 69,2 auf 66,2 IKI-Punkte), bei ostdeutschen Befragten ohne Migrationshintergrund sank der Wert um 4,4 Punkte auf 58,8 IKI-Punkte.
Untersucht wurden auch die Einstellungen zu Geflüchteten. Hier erwarten weiterhin mehr als sechs von zehn Befragten langfristig einen positiven wirtschaftlichen Beitrag durch die aufgenommenen Flüchtlinge. Zwei Drittel der Menschen mit und ohne Migrationshintergrund gehen davon aus, dass Geflüchtete Deutschland langfristig kulturell bereichern. „Wir sehen eine größere Offenheit gegenüber kultureller Vielfalt als noch vor sechs Jahren. Im Vergleich mit dem Integrationsbarometer 2018 zeigt sich allerdings auch, dass die Befragten inzwischen häufiger wirtschaftliche Bedenken vorbringen: Jede dritte Person nimmt Geflüchtete zunächst als Bedrohung für den Wohlstand wahr. Diese Wahrnehmung ist im Zusammenhang mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und dem weiteren Ausblick in Deutschland zu sehen, der von Rezessionsängsten geprägt ist“, berichtet Prof. Vorländer. Die Befragten zeigen gleichwohl weiterhin eine große Bereitschaft, individuellen Schutzsuchenden Asyl zu gewähren, insbesondere bei einer Flucht vor politischer Verfolgung oder Krieg. Diese Bereitschaft reduziert sich jedoch deutlich, wenn potenzielle Schutzsuchende vor Armut fliehen und dabei nur eine geringe Bildung aufweisen. „Die Befragten differenzieren demnach und sind nicht grundsätzlich für oder gegen eine Aufnahme – ein Befund, der aus Sicht des SVR in der politischen und medialen Debatte gewürdigt werden sollte“, sagt der SVR-Vorsitzende.
Staatssekretärin im Bundesministerium des Innern und für Heimat, Juliane Seifert hebt hervor: „Es ist eine gute Nachricht, dass das Integrationsklima in Deutschland weit mehrheitlich positiv ist, auch wenn eine geringe Eintrübung gerade bei den Menschen ohne Migrationshintergrund festzustellen ist. Das zeigt, dass die integrationspolitischen Maßnahmen der Bundesregierung wirksam sind. Unser Ziel ist eine rasche Integration von Anfang an für alle Menschen, die nach Deutschland kommen. Dafür sind vor allem Sprachkenntnisse notwendig. Das zentrale Instrument ist der Integrationskurs, in dem unsere Sprache sowie Wissen über unsere Rechtsordnung, Geschichte und die uns tragenden Werte vermittelt werden. Über 3,6 Millionen Menschen haben bereits an den Integrationskursen teilgenommen. Umso wichtiger ist es, dass in der Bundesregierung verabredet wurde, die Integrationskurse auch während einer vorläufigen Haushaltsführung für 2025 zu sichern.“
Für die Länderseite betont der Vorsitzende der 20. Integrationsministerkonferenz (IntMK), Niedersachsens Minister für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung, Dr. Andreas Philippi: „Deutschland braucht Zuwanderung – für die Zukunft unserer Gesellschaft, unseren Arbeitsmarkt und unseren Wohlstand. Die meisten Menschen haben das verstanden und sehen Zuwanderung positiv. Den unsachlichen Debatten und der Angstmache, die von manchen betrieben wird, treten wir entgegen. Es geht darum, Zuwanderung zu gestalten. Die IntMK setzt sich dafür ein, dass die Integrationsstrukturen weiterhin ausreichend und bedarfsgerecht finanziert werden. Das ist eine wichtige Investition in unser aller Zukunft.“
Das SVR-Integrationsbarometer 2024 ist die fünfte bundesweite repräsentative Befragung von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund über Einschätzungen und Einstellungen zu integrations- und migrationsspezifischen Themen. Für die Studie wurden zwischen Ende November 2023 und Anfang Juli 2024 insgesamt 15.020 Personen bundesweit interviewt. Davon waren 8.001 Menschen ohne Migrationshintergrund, 1.092 (Spät )Aussiedlerinnen und (Spät )Aussiedler, 1.003 Türkeistämmige, 1.730 Zuwanderinnen und Zuwanderer aus EU-Ländern und 3.194 Personen mit einem Migrationshintergrund aus der „übrigen Welt“. Um Aussagen auf Bundeslandebene treffen zu können, hat der SVR in jedem Bundesland mindestens 500 Menschen ohne und weitere 500 mit Migrationshintergrund befragt. In den ostdeutschen Flächenländern wurden aufgrund des geringeren Anteils an der Gesamtbevölkerung neben 500 Befragten ohne Migrationshintergrund lediglich 300 Personen mit Migrationshintergrund interviewt.
Das SVR-Integrationsbarometer 2024 wird gefördert durch das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) sowie durch die Länder aufgrund eines Beschlusses der Konferenz der für Integration zuständigen Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren der Länder (IntMK).
--
Über den Sachverständigenrat:
Der Sachverständigenrat für Integration und Migration ist ein unabhängiges und interdisziplinär besetztes Gremium der wissenschaftlichen Politikberatung. Mit seinen Gutachten soll das Gremium zur Urteilsbildung bei allen integrations- und migrationspolitisch verantwortlichen Instanzen sowie der Öffentlichkeit beitragen. Dem SVR gehören neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsrichtungen an: Prof. Dr. Hans Vorländer (Vorsitzender), Prof. Dr. Birgit Leyendecker (Stellvertretende Vorsitzende), Prof. Dr. Havva Engin, Prof. Dr. Birgit Glorius, Prof. Dr. Marc Helbling, Prof. Dr. Winfried Kluth, Prof. Dr. Matthias Koenig, Prof. Sandra Lavenex, Ph.D., Prof. Panu Poutvaara, Ph.D.
Weitere Informationen unter: www.svr-migration.de
Dr. Fabian Gülzau, Alex Wittlif
https://www.svr-migration.de/barometer
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Gesellschaft, Pädagogik / Bildung, Politik
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.
Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).
Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.
Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).
Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).