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20.12.2005 14:08

Theologe: Eigentlich ist Weihnachten ja ein verrücktes Fest

Robert Emmerich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Julius-Maximilians-Universität Würzburg

    Der Liturgiewissenschaftler Guido Fuchs von der Uni Würzburg hat die Bräuche rund um den Heiligen Abend erforscht und dabei festgestellt, dass viele von ihnen einen christlichen Hintergrund besitzen. Allerdings geht das Wissen um die religiöse Bedeutung immer mehr verloren. Von Guido Fuchs ist im Verlag Friedrich Pustet das Buch "Heiligabend. Riten, Räume, Requisiten" in der Reihe "Liturgie & Alltag" erschienen. Das folgende Interview führte Gunnar Bartsch von JULIUS, der Zeitung der Uni Würzburg für Studierende.

    Herr Professor Fuchs, wann haben Sie eigentlich das erste Mal Weihnachten ohne Ihre Eltern gefeiert?

    Das war kurz nach meinem Studium. Ich hatte hier in Würzburg schon als Student einen kleinen Chor geleitet. Und irgendwann in dieser Zeit haben wir an Weihnachten im Juliusspital gesungen und sind anschließend durch die Stationen gezogen. Da hat es sich einfach ergeben, dass ich anschließend nicht mehr heimgefahren bin.

    Ein heikler Moment, dieses erste Mal allein. Irgendwie fühlt man sich ja seinen Eltern gegenüber doch verpflichtet.

    Ja, die Bedeutung der Familie an Weihnachten ist hoch. Als Kind fühlt man sich in dieser Familie aufgehoben, geborgen, man steht im Mittelpunkt, wird beschenkt, geliebt - zumindest in vielen Fällen. Und deswegen ist dieser Sprung raus auch mit einem schlechten Gewissen verbunden: Man will ja dankbar sein gegenüber den Eltern und ihnen das zurückgeben, was sie einem als Kind gegeben haben.

    Was machen denn eigentlich die Eltern, wenn die Kinder weg sind?

    An Weihnachten, habe ich den Eindruck, sind viele erst einmal verunsichert: "Was machen wir denn jetzt?" Die Kinder sind ja ein Objekt, und man selbst steckt in einer Rolle. Die Eltern inszenieren für die Kinder. Wenn aber das Objekt fehlt, fällt der Sinn auf einen selbst zurück. Und da fragt man sich: "Was mache ich hier eigentlich?" Ich bin mir sicher, dass Viele dann einfach fernsehen. Man isst etwas, knallt sich vor die Glotze, und geht dann eventuell noch in die Kirche.

    Man könnte ja auch froh sein, dass einem endlich diese aufwändige Inszenierung erspart bleibt.

    Im Grunde muss man sie ja sowieso nicht machen. Eigentlich ist Weihnachten ja ein verrücktes Fest. Ich glaube, die ganzen Spannungen rühren nur daher, dass man sich einem solch merkwürdigen Modell unterworfen sieht, das das ganze Jahr sonst nie praktiziert wird. Vom Religiösen bis hin zu dieser Inszenierung und Präsentation, und Jeder muss sich ganz definiert verhalten.

    Und wenn es nicht klappt, ist die Enttäuschung groß.

    Ja, genau. Das ist das eine, was zum Stress führt. Das andere ist, dass der Heilige Abend für viele Menschen Vorbereitung und Fest an einem Tag bedeutet. Schließlich arbeiten Viele am 24. Dezember noch bis 13 Uhr. Dann ab nach Hause, Vorbereitung und um 16 Uhr Bescherung. Die müssen doch wahnsinnig werden.

    Umso seltsamer, dass die Kinder, wenn sie aus dem Haus sind und selbst Kinder haben, in der Regel die gleiche Tradition wieder aufnehmen.

    Ja, weil sie es so kennen gelernt haben. Es war ja auch viel Freude und Beglückung damit verbunden: die Geschenke, man durfte spielen, abends lange aufbleiben. Dieses Wohlfühlen will man sich selbst noch einmal zurückholen und weitergeben.

    Heutzutage steht der 24. Dezember im Mittelpunkt der Feier. Dabei ist da noch gar nicht Weihnachten.

    Nein, da ist nicht Weihnachten. Es handelt sich um den Vortag, erst ab dem Abend ist Weihnachten - so wie nach christlichem Verständnis der Samstagabend zum Sonntag gehört. Weshalb wir in Norddeutschland ja auch Sonnabend sagen. Aber der Tag als solcher ist noch nicht das Fest. Früher war es ein Tag, der von Buße und Fasten geprägt war.

    An dieser Verschiebung ist auch die Kirche beteiligt, wenn sie schon am 24. Dezember nachmittags die Hauptgottesdienste anbietet.

    Ja, früher hat der eigentliche Festgottesdienst am 25. Dezember tagsüber stattgefunden - dem alten Datum der Wintersonnwende. Der Tag, an dem man in Rom die Geburt des unbesiegbaren Sonnengottes gefeiert hat - woraus sich dann möglicherweise Weihnachten entwickelt hat nach dem Motto: "Wir feiern das Fest der Geburt der wahren Sonne". Dann sind weitere Gottesdienste dazu gekommen: Erst in der Nacht, dann am frühen Morgen des 25., und in jüngster Zeit am Abend, beziehungsweise Nachmittag des 24. Dezember.

    Und je früher der Termin, desto voller die Kirchen.

    Genau. Der Nachmittagsgottesdienst ist proppevoll - und anschließend geht man zur Bescherung. Und die Mette, die vor zehn Jahren noch voll war, ist jetzt allenfalls zu drei Vierteln gefüllt. Um 23 Uhr findet dann auch im öffentlichen Leben ein Schnitt statt: Gedämpfte Musik bis dahin, und danach geht man wieder in die Vollen. Auf die Piste.

    Als Jugendlicher.

    Ja. Das ist mir erst vor ein paar Jahren bewusst geworden, als ich nachts mit dem Taxi unterwegs war, und mir der Taxifahrer erzählt hat, was da so alles abgeht. Das kriegt man zu Hause ja gar nicht mit. Es gibt eine riesige Weihnachtsszene, ach was: Szenen unterschiedlichster Art.

    Das werden Sie erleben, wenn Ihre Kinder älter sind.

    Ja, wahrscheinlich. War für uns undenkbar. Man geht doch nicht an Weihnachten weg. Da bleibt man in der Familie.

    Das ist genauso schlimm wie Fernsehen an Heiligabend.

    Es gibt eben diese Regeln. So, wie man früher gesagt hat: Sonntags spielt man nicht mit seinen Freunden. Da hat man seine Sonntagskleider an und besucht höchstens die Verwandtschaft.

    Dunkelheit, Kälte und Schnee sind wichtige Attribute für das Weihnachts-Wohlgefühl. Die braucht man, damit es einem so richtig warm ums Herz wird. Ich frage mich, wie Weihnachten eigentlich auf der Südhalbkugel funktioniert.

    Das sind wahrscheinlich die Erlebnisse, die man damit verbindet. Dabei müsste man direkt mal überlegen: Wie oft lag denn wirklich Schnee, als Sie jung waren?

    In der Erinnerung immer.

    Immer. Viel mehr als heute. Ich kann mich nur an ein oder zwei Weihnachten in den letzten Jahren erinnern, an denen tatsächlich Schnee lag. Aber eigentlich sonst nie. Trotzdem glaube ich nicht, dass ich Weihnachten in Australien feiern möchte - wahrscheinlich wäre es mir zu warm. Wie feiert man da?

    Angeblich mit dem Christbaum am Strand.

    Dieses Fest ist ja eh internationaler und interreligiöser geworden. Natürlich ohne spezifischen Inhalt. Die christliche Botschaft ist nur noch in Ansätzen spürbar, auch wenn sie wichtig ist. Zum Beispiel das Beschenken der Armen, was bei uns inzwischen institutionalisiert ist durch Spendenaktionen.

    Finden Sie das als Theologe nicht schrecklich: Der christliche Hintergrund verschwindet so langsam, während das Fest immer populärer wird.

    Tja, man könnte immerhin sagen: Das Christentum hat es auf diese Weise geschafft, einen seiner Urgedanken weiterzugeben und zu verallgemeinern: Dass es wichtig ist, sich der Notleidenden und der Bedürftigen anzunehmen. Aber die Frage, die ganz am Anfang stand, spielt heute keine Rolle mehr: Gott wird Mensch. Wie wird er das? Und: Wie wird er Mensch? Ist er Gott und Mensch zugleich, sozusagen ein Gott, der sich als Mensch verkleidet? Der Grundgedanke ist zwar noch da, aber ohne jede christliche Tiefe. Das geht so weit, dass in den USA inzwischen richterlich festgestellt wurde, dass Weihnachten kein ausschließlich christliches Fest ist.

    Was muss passieren, damit der religiöse Gedanke wieder stärker in den Mittelpunkt rückt?

    Ich glaube, wir sind in einer Situation, die mit der zu Beginn des Christentums vergleichbar ist. Als Christen dem, was sie in der Kultur, in der Gesellschaft vorfanden, das Ihrige gegenüberstellten. Indem sie den 25. Dezember, an dem die Römer ihren Sonnengott angebetet haben, zu einem christlichen Festtag gemacht haben. Ein Anfang wäre für mich schon, dass man zum Beispiel den Advent wieder Advent sein lässt. Schließlich war die Adventszeit bis vor hundert Jahren noch eine Art zweiter Fastenzeit, eine Zeit der Besinnung.

    Aber ist Fasten heute nicht auch nur ein Modetrend ohne religiösen Hintergrund, wenn der Eine aufs Fernsehen, der Andere auf Zigaretten und der Dritte auf Süßigkeiten verzichtet?

    Nicht unbedingt. Diese Einteilung in "Fleisch" und "kein Fleisch" basiert ja im Grunde auf einer Verkennung von Zusammenhängen. Man hatte im Mittelalter gedacht, Fleischeslust hänge mit dem Fleischverzehr zusammen. Fasten wurde also stark unter der sexuellen Komponente gesehen. Dabei geht es beim Fasten um all die Folgen, die das für Körper, Geist und Seele hat. Dass wir darauf verzichten, ist ein Riesenverlust.

    Heute zählt es als besondere Leistung, wenn man nicht schon vor dem 1. Advent Lebkuchen, Spekulatius und Christstollen gegessen hat.

    Christstollen hat man früher am 24. Dezember nachmittags angeschnitten. Das war in vielen Familien der Beginn des Rituals: Man schneidet den Stollen an, trinkt Kaffee oder Tee. Ich glaube, dass die Menschen sich dadurch um etwas bringen. Das Warten und Erwarten-Können ist ja auch eine wesentliche Botschaft von Weihnachten. Nicht, wie man heute so sagt: "Alles sofort, zahlen später, höchster Genuss, aber bitte gleich". Das tut uns nicht gut.

    Also: Rituale ja, aber mit Besinnung auf das Wesentliche.

    Wenn es geht, bitte mit einem christlichen Ritual. Aber es hat keinen Wert, wenn man das nur einmal macht im Jahr. Wenn es aufgesetzt ist, dann tut es Keinem gut. Es muss in dem gewachsen sein, was man kennt und was man für sich machen kann. Es wäre schon schön, wenn Weihnachten nicht allein auf die Geschenke beschränkt bliebe. Man sollte sich auf die Inhalte des Weihnachtsfestes besinnen. Leider gibt es viele Menschen, die die Hintergründe nicht mehr kennen. Ich hatte vor ein paar Jahren ein Interview mit einem Journalisten, der dann mittendrin sagte: "Jetzt muss ich noch mal nachfragen: Sie sagten: Am 25. Dezember ist Jesus geboren?" Der wusste das gar nicht. Und ich glaube, so geht es Vielen.

    Da sind die Kirchen aber nicht ganz unschuldig dran.

    Das stimmt, leider. Die Kirchen geben dem Trend zu sehr nach, indem sie zum Beispiel die Gottesdienste zeitlich vorziehen, statt bewusst an der Mitternachtssymbolik festzuhalten. Ich glaube aber, dass die Menschen heute nach dem bewusst Anderen suchen. Das, was die Anderen auch machen, das machen die Kirchen nicht besser. Aber das bewusst Andere schon - zum Beispiel den Gottesdienst für Nicht-Glaubende im Erfurter Dom am 24. Dezember um Mitternacht. Da kommen regelmäßig bis zu 3.000 Besucher. Das zeigt doch: Das Bedürfnis ist da.


    Weitere Informationen:

    http://www.hl-abend.de/


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Philosophie / Ethik, Religion
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft
    Deutsch


     

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