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19.04.2006 14:14

RUB trauert um Prof. Dr. Gerard Radnitzky

Dr. Josef König Dezernat Hochschulkommunikation
Ruhr-Universität Bochum

    Wie erst heute bekannt wurde, ist am 11. März 2006 Gerard Radnitzky gestorben. Er hatte von 1972 bis 1976 den "Lehrstuhl für Philosophie mit besonderer Berücksichtigung der Wissenschaftstheorie und der Wissenschaftsgeschichte" an der Ruhr-Universität Bochum inne. Radnitzky war der erste Inhaber dieses Lehrstuhls an der RUB. Der international anerkannte Wissenschaftler, der seine akademische Laufbahn in Schweden bei Törnebohm begann, lehrte an den Universitäten Göteborg und Stony Brook (Long Island, NY), bevor er dem Ruf nach Bochum folgte. Von 1976 bis zu seiner Emeritierung wirkte er an der Universität Trier.

    Bochum, 19.04.2006
    Nr. 133

    International anerkannter Philosoph
    Kritischer Rationalist und klassischer Liberaler
    RUB trauert um Prof. Dr. Gerard Radnitzky

    Wie erst heute bekannt wurde, ist am 11. März 2006 Gerard Radnitzky gestorben. Er hatte von 1972 bis 1976 den "Lehrstuhl für Philosophie mit besonderer Berücksichtigung der Wissenschaftstheorie und der Wissenschaftsgeschichte" an der Ruhr-Universität Bochum inne. Radnitzky war der erste Inhaber dieses Lehrstuhls an der RUB. Der international anerkannte Wissenschaftler, der seine akademische Laufbahn in Schweden bei Törnebohm begann, lehrte an den Universitäten Göteborg und Stony Brook (Long Island, NY), bevor er dem Ruf nach Bochum folgte. Von 1976 bis zu seiner Emeritierung wirkte er an der Universität Trier.

    Im Konflikt zwischen Frankfurter Schule und Kritischem Realismus

    Einer breiteren, philosophisch interessierten Öffentlichkeit bekannt wurde G. Radnitzky 1968 durch sein Buch Contemporary Schools of Metascience, in dem er das Kunststück fertig brachte, den in den sechziger Jahren aufgebrochenen Gegensatz zwischen Frankfurter Schule und kritischem Rationalismus begrifflich subtil auszutragen, indem er sich mit beiden Seiten intensiv auseinander setzte. Tatsächlich war Radnitzky einer der wenigen Philosophen, der mit namhaften Vertretern beider Seiten - Habermas, Apel einerseits und Popper, Lakatos, Albert andererseits - den Dialog pflegte.

    Auf der Suche nach einer konsistenten Ordnung

    Als Wissenschaftstheoretiker wandte er sich fast allen Gebieten der Forschung zu, um sie methodologisch zu sichten und inhaltlich zu bewerten. Sein besonderes Interesse galt einer argumentativ ausgewiesenen, konsistenten Ordnung einer Theorie, der Einheit in der komplexen Vielfalt eines Systems. Eine herausragende Stellung in diesem Reigen der Forschung nahmen bei Radnitzky Mathematik und Logik ein, da sie für ihn das seit der Antike von den Denkern intendierte Ideal des theoretischen Wissens, das exakte Beweisen, verkörperten. Doch auch den szientifischen Gebieten, die dieses Ideal nicht erreichen können, wie etwa Theorie der Politik oder der Geschichte, galt seine Aufmerksamkeit, mit zunehmender Lebensdauer sogar mehr und mehr. Insbesondere schaltete er sich in die zeitgenössische Diskussion über die Zustände von Gesellschaften ein, verbunden mit der Anstrengung der Präzisierung der philosophischen Frage nach der Gerechtigkeit.

    Kosmopolit unter den Wissenschaftstheoretikern

    Radnitzky war Kosmopolit, der sich in der internationalen Wissenschaftlergemeinschaft zu Hause fühlte. Mit dem Philosophen K. Popper sowie mit bekannten Wissenschaftstheoretikern, beispielsweise I. Lakatos und P. Feyerabend, war er eng befreundet. Sozialpolitisch setzte er sich für die Autonomie des Individuums ein, für dessen Recht auf sich selbst. Er plädierte für die freie Individualität in einer offenen Gesellschaft. Die Idee der offenen Gesellschaft überzeugend darzustellen, inklusive ihrer von außen, mehr noch ihrer von innen drohenden Gefährdungen, war ihm ein ernstes Anliegen. Im Wissen um die Fragilität der Demokratie intendierte er, ihrer permanent vorhandenen Selbstgefährdung mit logisch analytischen wie auch synthetischen Methoden zu begegnen. Auf Grund seines philosophischen Standpunktes verbunden mit seiner intellektuellen Umgebung charakterisierten ihn seine Schüler treffend als kritischen Rationalisten und klassischen Liberalisten.

    Für die Beschränkung der Machtbefugnisse des Staats

    Diese Grundhaltung bewirkte, dass Radnitzkys Nähe zum Anarchismus, die ihm zu Lebzeiten vereinzelt unterstellt wurde, hypothetisch blieb. Die offene Gesellschaft benötigt eine - auf den Komponenten Eigentum und Vertrag aufbauende - Sozialordnung, zum Schutze des Individuums und der freien Marktwirtschaft. Seine Erfahrungen mit totalitären Systemen des 20. Jahrhunderts brachten ihn in ein distanziertes Verhältnis zur Institution Staat. Die Machtbefugnisse eines Staates seien nicht unerheblich zu beschneiden. Eine entscheidende Möglichkeit zur Eingrenzung eines Staates war ihm die logische, philosophische Analyse einschließlich der Kriterien einer Bewertung, deren Grundlagen von Seiten des Bewertenden anzugeben sind - als Basis eines Dialogs.

    Zeitzeuge des 20. Jahrhunderts

    Im Jahr 2004 erhielt Radnitzky den Arthur-Koestler-Preis für den Essay "Freitod und letzte Hilfe als philosophisches Problem". Mit diesem Essay leistete er einen bedeutenden Beitrag zur Rechtsphilosophie. Leider war es ihm nicht mehr vergönnt, seine kürzlich erschienene Autobiografie - Das verdammte 20. Jahrhundert - in Empfang zu nehmen. Diese hochinteressante Schrift eines beachtlichen Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts stellt sich besonders zwei Aufgaben. Erstens ist sie bestrebt, das Leben zu verstehen. Zweitens kritisiert sie eine aus der Frankfurter Schule, aber auch aus Politik und Medien hervorgegangene geschichtslose Auffassung, weil diese außerstande sei, aus den Fehlern der Geschichte zu lernen. Gerard Radnitzky war als Wissenschaftler, Hochschullehrer und Mensch höchst eindrucksvoll. Neben seiner erfolgreichen Tätigkeit als Verfasser oder Herausgeber einer Reihe von gehaltvollen Büchern bzw. Artikeln arbeitete er als Mitglied in Beiräten von wissenschaftlichen Organen oder Vereinigungen. Seine stete Bereitschaft, Menschen zu fördern, erlaubte es ihm, eine stattliche Anzahl von Studenten zu Hochschullehrern heranzubilden. Die Ruhr-Universität Bochum wird ihm stets ein ehrendes Andenken bewahren.

    Weitere Informationen

    Apl. Prof. Dr. K. J. Schmidt, Akademischer Direktor, Institut für Philosophie, Ruhr-Universität Bochum, Tel.: 0234-771294


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Philosophie / Ethik, Religion
    überregional
    Personalia
    Deutsch


     

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