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06.05.2007 20:09

Ethik des Nichtwissens - ein theologisch-ethisches Angebot

Klaus P. Prem Presse - Öffentlichkeitsarbeit - Information
Universität Augsburg

    DFG fördert Forschungsprojekt des Augsburger Lehrstuhls für Moraltheologie mit 180.000 Euro

    "Wir wollen das Recht auf Nichtwissen theologisch-ethisch positiv begründen." Für dieses Vorhaben hat Prof. Dr. Klaus Arntz, Inhaber des Augsburger Lehrstuhls für Moraltheologie, von der Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) zum 1. Mai 2007 rund 180.000 Euro bewilligt bekommen. Das Forschungsprojekts "Ethik des Nichtwissens. Ein theologisch-ethisches Angebot" ist auf drei Jahre angelegt. Neben Arntz als Projektverantwortlichem sind sein Mitarbeiter Dr. Rupert Scheule sowie Ariane Schroeder, Christoph Hausladen und Simon Lochbrunner beteiligt.

    Das Recht auf Nichtwissen theologisch-ethisch positiv begründen

    Nichtwissen erscheint aus wissenschaftstheoretischer und -soziologischer Sicht in verschiedenen Formen: als vermeidbares Nichtwissen, als spezifisches Nichtwissen (als Vorstufe künftigen Wissens), als irreduzibles Nichtwissen und als unerkanntes Nichtwissen. "Wir", so Arntz, "werden uns mit dem legitimen Nichtwissen befassen, denn im bisherigen Nichtwissensdiskurs sind dessen Existenzrecht und moralische Dignität unterbelichtet geblieben. Das Recht auf Nichtwissen theologisch-ethisch positiv zu begründen, ist das Anliegen unseres Forschungsvorhabens." Von jeher, so der Augsburger Moraltheologe weiter, reflektiere und verteidige die Theologie den Glauben als eine epistemologische Einstellung, die eine eigenständige Sicht auf einen Sachverhalt darstellt. Das "stets andere Wirklichkeitsverhältnis des Glaubens" erscheine vor diesem Hintergrund neben dem Wissen legitim, und hier habe eine theologische Ethik des Nichtwissens ihren Anfang zu nehmen. Im Hinblick auf die gelebte Sittlichkeit profiliere die Moraltheologie die integrierende, kritisierende und motivierende Kraft dieses Glaubens.

    Zwei Forschungsstränge

    Die wissenschaftliche Diskussion hat das Recht auf Nichtwissen bislang nur im Gesamtzusammenhang von Abwehrrechten zur Sprache gebracht. Eine positive Deutung des Rechts auf Nichtwissen fehlt bislang. Diesem Defizit wollen Arntz und seine Mitarbeiter auf zweifache Weise. Zum einen soll das Recht auf Nichtwissen vor dem Horizont der wissenschaftssoziologischen Forschungen zum Thema der Nichtwissenskulturen verortet werden. Der erste Forschungsstrang - "Moraltheologie und theologische Ethik des Nichtwissens. Eine Konfliktgeschichte" - soll deshalb die Moraltheologie in Form einer wissenschaftsgeschichtlichen Selbstvergewisserung als paradigmatische Nichtwissenskultur mit Orientierungskompetenz profilieren. Der zweite Forschungsstrang - "Prädiktive Gendiagnostik und theologische Ethik des Nichtwissens. Eine aktuelle Bedarfsanzeige" - setzt bei dem für das Recht auf Nichtwissen schlechthin klassischen Anwendungsfall an: bei der prädiktiven Gendiagnostik zur Ermittlung eines erblichen Brustkrebsrisikos. "Das Forschungsinteresse", erläutert Arntz, "liegt hier in einem dezidiert ethisch-theologischen Zugang zur Thematik. Es gilt zu zeigen, dass das Recht auf Nichtwissen eine unerlässliche Konkretisierung und Ergänzung des in der medizinischen Ethik fest etablierten "informed consent"-Postulats darstellt.

    Moraltheologie und theologische Ethik des Nichtwissens

    Eine Grundidee des gesamten Projekts liegt darin, das Recht auf Nichtwissen im weiteren Kontext des Diskurses um "Nichtwissenskulturen" ethisch-theologisch zu begründen. In einem ersten Schritt wollen die Theologen deshalb eine problemorientierte Wissenschaftsgeschichte der Moraltheologie mit der Debatte über Nichtwissenskulturen zu verbinden. Diese Debatte werde an der Universität Augsburg besonders intensiv geführt, betont Arntz: "Das Forschungsprojekt "Nichtwissenskulturen", das von Dezember 2003 bis April 2007 am Augsburger Wissenschaftszentrum Umwelt (WZU) unter der Leitung von Dr. Jens Soentgen und Dr. Stephan Böschen Forscher verschiedenster Disziplinen zusammenbrachte, war eine der Inspirationsquellen für unser eigenes DFG-Projekt." (siehe http://www.wzu.uni-augsburg.de/Projekte/Nichtwissenskulturen.htm und http://www.presse.uni-augsburg.de/unipress/up20043-6/artikel_24.pdf)

    Ausgewählte Zugänge zum Nichtwissen in Theologie, Ethik und biomedizinischer Praxis werden diesbezüglich befragt. Ausgangspunkt für die Überlegungen ist der wissenschaftstheoretische Diskurs im Rahmen des Bemühens um eine philosophisch-theologische Grundlegung der Fundamentalmoral. Der auf der Basis neuscholastischer Konzeptionen von Karl Rahner entworfenen Formalen Existentialethik kommt dabei ebenso eine Bedeutung zu wie dem Konzept einer zukunftsorientierten Verantwortungsethik im Verständnis des jüdischen Philosophen Hans Jonas.

    Soll das Recht auf Nichtwissen mehr sein als ein reines Abwehrrecht zur Vermeidung von Lebensqualitätseinbußen und sozialen Sanktionen, muss des weiteren geklärt werden, was sich mit der Zurückweisung von Wissen positiv verbindet bzw. welche positive Haltung diesen Wissensverzicht ermöglicht. Soll dies im Rahmen einer ethischen Reflexion stattfinden, muss neben der angesprochenen Grundhaltung auch eine ihr korrespondierende Norm gefunden werden.

    Die Begründung des positiven Rechts auf Nichtwissen ist auf der Basis einer nachhaltigen Verteidigung des sittlichen Subjekts - und gegen dessen Infragestellung - durchzuführen. Akut wird diese Problematik nicht zuletzt in der derzeitigen von den Neurowissenschaften angestoßenen Debatte über die menschliche Willensfreiheit. Ein Teilprojekt geht daher der Frage nach, inwieweit menschliche Willensfreiheit überhaupt Gegenstand wissenschaftlichen Wissens sein kann. Das (moral-)philosophische Theorem der Willensfreiheit wird exemplarisch mit den Thesen des Bremer Hirnforschers Gerhard Roth konfrontiert, ehe eine natur- und geisteswissenschaftliche Zusammenschau die Notwendigkeit des transzendentalen Nichtwissens von Autonomie herausstellt, ohne konkrete menschliche Freiheitsvollzüge idealistisch zu verklären.

    Prädiktive Gendiagnostik und theologische Ethik des Nichtwissens

    Der zweite Forschungsstrang thematisiert ethisch-theologisch die Problematik des Nichtwissens und das Recht auf Nichtwissen im Kontext der Gendiagnostik. Zunächst wird die Frage der Zumutbarkeit des durch Gendiagnostik ermittelten Wissens aufgeworfen. In diesem Zusammenhang sehen sich die Betroffenen vielfach mit ungesicherten Wissensbeständen konfrontiert und sollen darauf im Sinne einer recht verstandenen Patientenautonomie antworten. In Verbindung mit der in der Moderne vollzogenen Transformation der Gefahrenwahrnehmung zur Risikowahrnehmung und in Verbindung mit der Unschärfe der kategorialen Begriffsunterscheidung von "gesund" und "krank", wie die prädiktive Gendiagnostik sie mit sich bringt, wird von einer Verantwortungsüberlastung des Patienten ausgegangen.

    Am Beispiel der prädiktiven Brustkrebsdiagnostik sollen diese Vorüberlegungen dann konkretisiert werden und das Nichtwissen soll unter Berücksichtigung vorliegender Daten aus gendiagnostischen Beratungsgesprächen als "patientenseitiges" Problem herausgearbeitet werden.

    Leitfaden für Krankenhausseelsorge

    "Auf der Grundlage der Erkenntnisse, die wir gewinnen werden, wollen wir einen Leitfaden "Theologisch informierte Patientenethik des Nichtwissens für den Umgang mit prädiktiven medizinischen Verfahren" entwickeln. Dieser Leitfaden", so Arntz, "wird sich an Krankenhausseelsorger als mögliche Kommunikatoren einer solchen Patientenethik wenden." Darüber hinaus sei ein Projektabschlusskongress geplant, der die erbrachten Erkenntnisse einer breiteren wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich machen wird.
    ___________________________

    Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Klaus Arntz
    Lehrstuhl für Moraltheologie
    Katholisch-Theologische Fakultät
    Universität Augsburg
    86135 Augsburg
    Telefon +49(0)821/598-2636
    Fax +49(0)821/598-5652
    klaus.arntz@kthf.uni-augsburg.de


    Bilder

    Mit DFG-Förderung einer postiven Begründung des Rechts auf Nichtwissen auf der Spur: die Augsburger Moraltheologen Klaus Arntz (links) und Rupert Scheule
    Mit DFG-Förderung einer postiven Begründung des Rechts auf Nichtwissen auf der Spur: die Augsburger ...
    Fotos: privat
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin, Philosophie / Ethik, Religion
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

    Mit DFG-Förderung einer postiven Begründung des Rechts auf Nichtwissen auf der Spur: die Augsburger Moraltheologen Klaus Arntz (links) und Rupert Scheule


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