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26.05.1997 00:00

Wohin mit dem Gummiabfall?

Dipl.-Ing. Mario Steinebach Pressestelle und Crossmedia-Redaktion
Technische Universität Chemnitz

    Wohin mit dem Gummiabfall ?

    Chemnitzer Verarbeitungstechniker machen bei EUREKA mit

    EUREKA, so heisst die Forschungsinitiative der Europaeischen Union (EU), die 1985 auf Betreiben des damaligen franzoesischen Praesidenten Mitterand ins Leben gerufen wurde. Nur ganz besonders wichtige wissenschaftliche Projekte werden dort aufgenommen. Wer bei EUREKA mitmachen darf, kann sich daher zu Recht zur europaeischen Spitzengruppe der Forscher zaehlen - wie die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Guenter Mennig. Die naemlich ist kuerz- lich, als bereits zweite Forschergruppe der Chemnitzer Uni, in den erlauchten Kreis der EUREKA-Forscher aufgenommen worden. Grund: Die Chemnitzer Wissenschaftler machten einige revolutionaere Vorschlaege zu einem draengenden Problem: dem der Gummiabfaelle. In der EU fallen naemlich immer mehr Altreifen an, und keiner weiss so recht, wohin damit. Hier wollen die Forscher aus Chemnitz voellig neue Wege gehen. Mit ihren ausgereiften Plaenen ueberzeugten sie den "Rat der Hohen Repraesentanten" der EU (der heisst wirklich so) so sehr, dass der ihnen auf seiner letzten Tagung im englischen Birmingham den EUREKA-Status verlieh.

    Das Hauptbestandteil des Gummis, den Kautschuk, kannten schon die Maya in Mittel- merika. Mindestens seit dem 11. Jahrhundert stellten sie aus ihm so modern anmutende Gebrauchsgegenstaende wie gegen Naesse impraegnierte Maentel und Schuhe her. Und ihr Nachbarvolk, die Azteken, spielten sogar schon mit Gummibaellen. Gewonnen wird der faszinierende Naturstoff aus Latex, dem Saft des Gummibaums. Bereits Kolumbus brachte die Kunde von dieser Pflanze in die alte Welt. Anfangs galt der Stoff eher als Kuriositaet, praktisch verwenden konnte man ihn nicht. Es dauerte Jahrhunderte, bevor es gelang, das Harz ueber einen laengeren Zeitraum hinweg transportfaehig zu halten. Weitere 200 Jahre vergingen, bis man lernte, aus ihm durch Vulkanisation den Gummi herzustellen. Dabei werden die langen Kettenmolekuele des Rohkautschuks miteinander vernetzt. Der Name des Erfinders, Charles Goodyear, ist auch heute noch ein fester Begriff in der Kautschuk- und Gummi-Industrie, ebenso wie der von John Dunlop, einem Zahnarzt aus Schottland, der im vergangenen Jahrhundert seinem kleinen Sohn einen Gummischlauch auf das hoelzerne Fahrrad montierte.

    Schon frueh wurde Naturkautschuk als strategisches Produkt an der Boerse gehandelt. Um von dem Naturprodukt unabhaengig zu sein, entwickelten hauptsaechlich deutsche Forscher zu Anfang des Jahrhunderts den Synthetikkautschuk. Immer noch gibt es aber viele Anwendungen, bei denen der Gummi nicht durch Kunststoffe ersetzt werden kann. Die Produktpalette reicht dabei von so unterschiedlichen Erzeugnissen wie Autoreifen und Kaugummi bis hin zu Kondomen, die der Endverbraucher alle ohne viel nachzudenken vertrauensvoll einsetzt.

    Dabei kann sich auch der Laie vorstellen, welch komplexen Beanspruchungen ein Autoreifen ausgesetzt ist. Immerhin erfolgt jede Umdrehung unter einem Gewicht von mehreren hundert Kilogramm, dazu kommt die Walkarbeit waehrend der Deformation in der Auflage. Und ein solcher Reifen soll mehrere Jahre lang bei Eiseskaelte und Sommerhitze auf glatten Strassen, aber auch ueber Bordsteine hinweg klaglos seinen Dienst tun. Auch ein Kaugummi muss riesige Druecke aushalten, bevor er unter einem Kinositz oder einer Hoersaalbank sein verdientes Ende findet. Nur ueber die komplexen Beanspruchungen der Kondome liegen bisher noch keine detaillierten Erkenntnisse vor.

    Ein Problem ist allerdings, dass der einmal vernetzte Kautschuk - das gilt fuer den nachwachsenden Rohstoff aus der Natur ebenso wie fuer die synthetischen Materialien - nicht wieder durch Zufuhr von Waerme formbar wird und damit nicht wieder zu neuen Produkten verarbeitet werden kann. Immerhin fallen allein in Deutschland pro Jahr rund 600 000 Tonnen Altreifen an. Dazu kommen noch einmal 420 000 Tonnen sonstige Gummiabfaelle. Die OEffentlichkeit ist mittlerweile so sensibel fuer Stoffkreislaeufe geworden, dass es heute undenkbar ist, Altreifen oder andere Gummiabfaelle einfach auf die naechste Deponie zu werfen oder womoeglich noch haeufiger zu verbrennen als bisher.

    Kein Wunder, dass man weltweit intensiv nach neuen Wegen sucht, wie sich Alt- und Abfallgummi aufbereiten und wiederverwenden lassen. Gebrauchte Fahrzeugreifen stellen dabei das groesste Problem dar, einmal wegen der anfallenden Menge, aber auch wegen ihrer vergleichsweise kurzen Lebensdauer und weil sie in der OEffentlichkeit besonders auffallen. Die bisherigen Moeglichkeiten der Wiederverwertung befriedigen nicht. Eine naheliegende Loesung ist, den Gummi zu zerkleinern und das entstandene Gummimehl als Fuellstoff anderen Materialien beizumischen. Da aber die chemische Reaktion mit der Vulkanisation abgeschlossen ist, verbindet sich das zugesetzte Gummimehl kaum mit dem Grundmaterial. Entsprechend schlecht sind die Eigenschaften dieser Mischungen. Daher hat man vor kurzem vorgeschlagen, das Gummimehl oberflaechlich so zu aktivieren, dass die Mischungsbestand- teile fest miteinander verbunden werden. Dies kann grundsaetzlich chemisch geschehen, man kann aber die Oberflaechen von Gummimehl zusaetzlich auch mechanisch aktivieren. Was dabei im einzelnen passiert, weiss man noch nicht genau.

    Hier setzen die UEberlegungen der Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Guenter Mennig vom Institut fuer Allgemeinen Maschinenbau und Kunststofftechnik der TU Chemnitz-Zwickau an: Das aktivierte Gummimehl soll nicht mehr bloss Fuellstoff sein, sondern ein vollwertiger Partner bei der Herstellung von voellig neuartigen, hoch belastbaren Werkstoffen werden. Eines der Fernziele dabei ist, als Mischungspartner auch Abfallkunststoff zu verwenden. Das Projekt mit dem Namen Tamarrec (Tailor Made Rubber Recycling, etwa: Massgeschneiderte Gummi- iederverwertung) wird ueber das Umweltbundesamt vom Bundesforschungsministerium gefoerdert. Die EUREKA-Initiative selbst finanziert naemlich keine Forschungsvorhaben, vielmehr ist es der EUREKA-Status, der die nationalen Gelder fliessen laesst. Beteiligt an dem internationalen Vorhaben sind auch die hollaendische Firma Vredestein Rubber Recycling sowie weitere Industrie-Partner aus Deutschland, England und Luxemburg. Auch die Region wird von den Forschungen profitieren: In Muelsen-St. Jacob, 25 Kilometer vor den Toren von Chemnitz, befindet sich eine der groessten deutschen Anlagen zur Herstellung von Gummimehl aus Reifen.

    Weitere Informationen: Technische Universitaet Chemnitz-Zwickau, Fakultaet fuer Ma- chinenbau und Verfahrentechnik, Institut fuer Allgemeinen Maschinenbau und Kunststoff- echnik, Reichenhainer Str. 70, 09107 Chemnitz, Prof. Dr. Guenter Mennig, Tel. 03 71/5 31- 3 83, Fax 03 71/5 31-37 76.

    Autor: Hubert J. Giess

    Hinweis: Bei Bedarf koennen Sie ein Foto in der Pressestelle der TU abfordern.

    Technische Universitaet Chemnitz-Zwickau Abteilung Presse- und Oeffentlichkeitsarbeit Dipl.-Ing. Mario Steinebach Strasse der Nationen 62, Raum 185 D-09107 Chemnitz


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Chemie, Maschinenbau, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie, Werkstoffwissenschaften
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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