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10.12.2010 15:44

Empirische Studien in afrikanischen Grenzregionen entlang der Großen Seen

Christian Wißler Forschungsmarketing
Universität Bayreuth

    Bayreuth (UBT). Die Region der afrikanischen Großen Seen, die sich über 600 km vom Albertsee im Norden bis zum Tanganyika-See im Süden erstreckt, gehört zu den besonders dicht besiedelten Gebieten in Afrika. Die Grenzräume zwischen den Anrainerstaaten sind von bewaffneten Konflikten, aber zugleich von Austausch und Integration geprägt. Mit den grenzüberschreitenden ökonomischen Verflechtungen und politischen Dynamiken befassen sich seit mehreren Jahren Dr. Martin Doevenspeck, Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bevölkerungs- und Sozialgeographie der Universität Bayreuth, und Morisho Mwanabiningo Nene, der an der Bayreuth International Graduate School of African Studies (BIGSAS) promoviert.

    In der „Geographischen Rundschau“ haben die beiden Autoren kürzlich drei empirische Fallskizzen veröffentlicht. Darin wird deutlich, welche vielfältigen Funktionen die Staatsgrenzen in dieser afrikanischen Region erfüllen und welche symbolischen Bedeutungen ihnen dabei zuerkannt werden.

    An der Schnittstelle der politischen Systeme:
    Im Grenzraum zwischen Kongo und Ruanda

    Die Grenze, die zwischen den benachbarten Städten Goma (Kongo) und Gisenyi (Ruanda) verläuft, trennt ehemalige Kriegsgegner und Bevölkerungsgruppen, die sich bis heute misstrauisch oder sogar feindselig gegenüber stehen. Sie markiert die tiefgreifenden Unterschiede in den politischen Ordnungen beider Länder, die sich weit auseinander entwickelt haben. Unterhalb der Abgrenzung der politischen Systeme hat sich jedoch ein dichtes Geflecht von Austauschbeziehungen entwickelt. Grenzüberschreitender Handel, Schmuggel und Arbeitsmigration gehören zum Alltag vieler Grenzraumbewohner. So können existenzielle Nöte bewältigt werden, die oft in politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen begründet sind – sei es in der prekären Sicherheitslage und dem weitgehenden Fehlen staatlicher Strukturen im Ostkongo oder im diktatorischen Entwicklungsmodell in Ruanda.

    Gute Regierungsführung in Rebellenhand:
    Im Grenzraum zwischen Kongo und Uganda

    Die internationale Berichterstattung zu den Konflikten um afrikanische Bodenschätze erweckt häufig den Eindruck, die Wirtschaft im Ostkongo sei hauptsächlich von Exporten geprägt. Doch wie Doevenspeck und Morisho deutlich machen, wird in den Gebieten entlang der ugandischen Grenze weitaus mehr Geld mit Importgeschäften verdient. Insbesondere die Region nördlich des Kivu-Sees ist von zentraler Bedeutung für den Transit von Konsumgütern, die vor allem in China hergestellt werden. Die kongolesische Rebellenorganisation CNDP (Congrès National pour la Defense du Peuple) hatte in diesen Gebieten von 2006 bis 2009 ein parastaatliches Regime errichtet. Ein professionelles Grenzmanagement ließ die Zoll- und Steuereinnahmen erheblich steigen. Dabei wurde ein nicht geringer Anteil der Gewinne für die Finanzierung militärischer Konflikte eingesetzt. Andererseits gelang es dem CNDP, die Lebensverhältnisse der ostkongolesischen Bevölkerung ansatzweise zu verbessern. Die Grenzregion erhielt so einen hohen Symbolwert für eine Rebellenbewegung, die sich als Initiator guter Regierungsführung präsentieren wollte und konnte.

    Vor dem Unabhängigkeitsreferendum:
    Im Grenzraum zwischen Uganda und dem Südsudan

    Zwei Jahrzehnte lang, bis zum 2005 geschlossenen Friedensabkommen, war die Region zwischen Uganda und dem Sudan von militärischen Konflikten und Fluchtbewegungen geprägt. Heute jedoch bestimmen Handel und Verkehr das Geschehen. Der Grenzübergang Oraba-Kaya ist eine der wichtigsten Durchgangsstationen für Baumaterialien, Agrarprodukte, Kleidung und Kraftfahrzeuge. Ugandische Händler erschließen auf diesem Weg den Südsudan als profitablen Absatzmarkt. Umgekehrt überqueren viele Südsudanesen die Grenze, weil sie im Norden Ugandas Ausbildungschancen, medizinische Versorgung und Unterhaltungsangebote vorfinden.
    Der Lebensalltag der Menschen wird durch ständige Verhandlungen mit den Grenzbeamten erschwert. Diese demonstrieren auf ugandischer Seite die Macht der Zentralregierung und agieren auf südsudanesischer Seite so, als existiere bereits ein neuer Staat Südsudan, der sich von der Zentralregierung getrennt hat. Ob es zu dieser Staatenbildung kommt, wird ein für 2011 geplantes Referendum zeigen.

    Die Studien von Doevenspeck und Morisho zeigen, wie die Grenzen zwischen den subsaharischen Staaten von Regierungen und Bevölkerungen aus ihren jeweiligen Interessenkonstellationen heraus effektiv genutzt werden. Die Existenz dieser Grenzen wird dabei in der Regel, trotz ihres kolonialen Ursprungs, nicht mehr in Frage gestellt.

    Veröffentlichungen:

    Martin Doevenspeck und Morisho Mwanabiningo Nene,
    Entwicklungen am Rand. Grenzen und regionale Integration im Bereich der
    zentralafrikanischen Großen Seen.
    In: Geographische Rundschau 10 (2010), S. 20 - 28

    Martin Doevenspeck und Morisho Mwanabiningo Nene,
    Navigating Uncertainty: Observations from the Congo-Rwanda Border.
    In: Bruns, B.; Miggelbrink, J. (eds): Borders as Ressources.
    Wiesbaden, VS-Verlag, 2011, im Druck

    Kontaktadresse für weitere Informationen:

    Dr. Martin Doevenspeck
    Geographisches Institut
    Universität Bayreuth
    95440 Bayreuth
    Tel.: + 49 (0)921 / 55-2281
    E-Mail: martin.doevenspeck@uni-bayreuth.de


    Bilder

    Dr. Martin Doevenspeck und Morisho Mwanabiningo Nene, Doktorand an der Bayreuth International School of African Studies (BIGSAS).
    Dr. Martin Doevenspeck und Morisho Mwanabiningo Nene, Doktorand an der Bayreuth International School ...
    Foto: M. Doevenspeck; zur Veröffentlichung frei.
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    Verwaltungsgebäude nahe der Grenzstadt Bunagana, an der ostkongolesischen Grenze zu Uganda. An der Wand ist noch das Logo des CNDP mit seinem Wahlspruch "Unité – Paix – Developpement" deutlich sichtbar.
    Verwaltungsgebäude nahe der Grenzstadt Bunagana, an der ostkongolesischen Grenze zu Uganda. An der W ...
    Foto: M. Doevenspeck; zur Veröffentlichung frei.
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
    Geowissenschaften, Gesellschaft, Politik
    überregional
    Forschungsprojekte, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Dr. Martin Doevenspeck und Morisho Mwanabiningo Nene, Doktorand an der Bayreuth International School of African Studies (BIGSAS).


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    Verwaltungsgebäude nahe der Grenzstadt Bunagana, an der ostkongolesischen Grenze zu Uganda. An der Wand ist noch das Logo des CNDP mit seinem Wahlspruch "Unité – Paix – Developpement" deutlich sichtbar.


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