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09.07.2014 15:50

Die EU ist Teil des täglichen Lebens. Ergebnisse des EUCROSS Forschungsprojektes

Sophie Zervos PR & Marketing
GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften

    Im Nachklang der Wahlen zum Europäischen Parlament wird ein Argument in allen öffentlichen Debatten prominent vertreten: „Europa“ ist etwas, das den Eliten dient, während es für die meisten Bürgerinnen und Bürger fern und fremd bleibt. Einige Forschende, wie etwa Neil Fligstein in seinem Buch Euroclash (2008), argumentieren, dass die Bevölkerung der EU in eine Minderheit europäisierter Personen und eine Mehrheit der Nicht-europäisierten gespalten ist, zwischen denen die nationalen Mittelschichten schwanken. Aber trifft diese Einschätzung tatsächlich zu?

    Im gerade beendeten EUCROSS Projekt gingen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diesem Argument nach und untersuchten den Grad der „horizontalen Europäisierung“ von EU-Bürgerinnen und Bürgern der Türkei, die als sogenannte Drittstaatsangehörige in der EU leben. Im Projekt wurde davon ausgegangen, dass grenzüberschreitende Praktiken (sowohl physischer wie virtueller Art) wesentliche Aspekte eines „Europas im Entstehen“ sind. Die besagten Praktiken reichen von Arbeitsaufenthalten im Ausland und Reisen, über Kommunikation und Einkaufsverhalten bis hin zu Freundschaftsnetzwerken. Ihre (Nicht-)Verbreitung quer über die verschiedenen sozialen Kategorien (Klassen, Alterskohorten, Geschlechter und Nationalitäten) bestimmt das soziologische Fundament der europäischen Integration.

    Zwischen 2011 und 2014 wurden im Rahmen des EUCROSS-Projektes umfassende sozialwissenschaftliche Daten in sechs EU-Mitgliedsländern (Dänemark, Deutschland, Großbritannien, Italien, Rumänien und Spanien) erhoben. Der Gesamtdatensatz besteht aus zwei wichtigen Teilen. In der ersten Phase des Projektes, der EUCROSS-Studie, wurde eine groß angelegte, systematische Telefonumfrage unter 8.500 Staatsbürgerinnen und -bürgern aus den genannten Ländern, sowie unter rumänischen und türkischen Migrantinnen und Migranten durchgeführt. In der zweiten Phase, der EUMEAN-Studie, folgten qualitative Tiefeninterviews mit 160 Befragten. Diese Daten bringen die Europastudien wesentlich voran, indem sie weit über die etablierten Datenquellen (bspw. das Eurobarometer) hinausgehen.

    Ausgewählte EUCROSS Ergebnisse:

    - Mehr als die Hälfte der EU-Bürgerinnen und -Bürger in den sechs untersuchten Ländern „kommuniziert regelmäßig via Telefon, Internet, E-Mail oder Post mit Familienangehörigen und/oder Freunden im Ausland“, „hat in den letzten zwei Jahren mindestens ein anderes EU-Land besucht“, ist daran gewöhnt „Fernsehen in einer anderen als ihrer Muttersprache zu schauen“ und ist „vertraut mit mindestens einem anderen EU-Land“

    - Es trifft zu, dass höher gebildete und wohlhabendere Personen an einer breiteren Palette grenzüberscheitender Praktiken teilhaben. Allerdings sind spezielle Kombinationen transnationaler Aktivitäten auch bei den weniger gebildeten und weniger privilegierten Menschen Teil des alltäglichen Lebens.

    - In der Tat zeigt sich, dass Bekanntschaften, Kommunikation und der Einkauf über EU-Grenzen hinweg besonders unter Personen mit geringerer formaler Bildung eine kosmopolitische Einstellung fördern.

    - Nationale Unterschiede sind in allen Bereichen extrem relevant. Ein stärkerer und umfassenderer Transnationalismus kann in Nordeuropa (speziell in Dänemark) beobachtet werden. Hingegen ist eine eher „konsum-orientierte“ Form typisch für Mitteleuropa, während der Transnationalismus in Osteuropa als „projekthaft“ beschrieben werden kann. Lokalismus ist in Südeuropa ausgeprägt. Insbesondere in Italien, dessen Bürgerinnen und Bürger am wenigsten transnational sind.

    - Die Menschen in Europa sind offen gegenüber alltäglichen und kulturellen Produkten aus anderen Ländern. Das trifft besonders auf ausländische Speisen zu: Gerade einmal 12% der Befragten beschränken sich allein auf einheimische Gerichte. Aber auch hier gibt es starke nationale Unterschiede: Weniger als 2% der deutschen Befragten, aber 30% der interviewten Italienerinnen und Italienier sind „kulinarische Nationalisten“.

    - Kenntnisse fremder Sprachen haben in allen Stichproben einen signifikanten Effekt auf die Wahrscheinlichkeit sich „europäisch zu fühlen“. Kurzlebigere grenzüberschreitende Praktiken haben einen schwächeren Einfluss.

    - Das Vorhandensein von Freunden in zwei oder mehr anderen EU-Ländern erhöht die Akzeptanz von Maßnahmen EU-weiter Umverteilungspolitik.

    - Während erwartet werden könnte, dass Reisen und Migration die politische Beteiligung (speziell die Wahlteilnahme) beeinträchtigen, stützen die Befunde diese Vermutung nicht.

    - Rumänische Migrantinnen und Migranten identifizieren sich stärker mit Europa als ihre (international) immobilen Landsleute. Allerdings wirken Diskriminierungserfahrungen in den jeweiligen Aufenthaltsländern deutlich negativ auf ihre Selbstwahrnehmung als Europäer.

    - Türkische Migrantinnen und Migranten mit umfassenderen Mobilitätserfahrungen und einem ausgeprägten transnationalen Hintergrund neigen eher dazu sich „europäisch zu fühlen“.

    Der EUCROSS Abschlussbericht enthält die Ergebnisse des drei Jahre dauernden Projektes „The Europeanisation of Everyday Life: Cross-Border Practices and Transnational Identities among EU and Third-Country Citizens (EUCROSS)“, das von der Europäischen Kommission im 7. Rahmenprogram finanziert wurde.

    Der Bericht kann hier kostenlos abgerufen werden: http://www.eucross.eu

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    Wer wir sind:
    Das EUCROSS Forschungsprojekt wird koordiniert durch die italienische Universität Chieti-Pescara und Professor Ettore Recchi als Projektleiter. Das Forschungskonsortium besteht zudem aus dem GESIS - Leibniz Institut für Sozialwissenschaften (Mannheim, Deutschland; Projektleiter: Professor Michael Braun), der Universität Aarhus (Dänemark; Projektleiter: Professor Adrian Favell), dem Institut für Internationale Studien Barcelona (IBEI) (Spanien; Projektleiter: Professor Juan Díez Medrano), der Universität York (Großbritannien; Projektleiter: Laurie Hanquinet; unter Beteiligung von Professor Mike Savage, London School of Economics) und der Universität Bukarest (Rumänien; Professor Dumitru Sandu).

    Weitere Informationen:
    Für weitere Daten und Analysen besuchen Sie bitte den Bereich „Deliverables“ auf unserer Projektwebsite (www.eucross.eu).

    Ansprechpartner bei GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften:

    Für zusätzliche Informationen zum Projekt wenden Sie sich bitte an Steffen Pötzschke, wissenschaftlicher Mitarbeiter im EUCROSS Projekt, GESIS - Leibniz Institut für Sozialwissenschaften (steffen.poetzschke@gesis.org).


    Weitere Informationen:

    http://www.eucross.eu
    http://www.gesis.org


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, jedermann
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Kulturwissenschaften, Psychologie, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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