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Wissenschaft
Prof. Dr. Christian E. Elger von der Universität Bonn und Prof. Dr.
Samuel F. Berkovic, Epilepsy Research Centre, University of Melbourne,
erhalten den Zülch-Preis 2005
Zum 16. Mal vergibt die von der Max-Planck-Gesellschaft treuhänderisch
geführte Gertrud Reemtsma Stiftung den mit 50000 Euro dotierten
Zülch-Preis für besondere Leistungen in der neurologischen
Grundlagenforschung. Wie in den vergangenen Jahren wird der Preis
geteilt. Geehrt werden zwei Forscher, die Herausragendes zur Aufklärung
und Behandlung der Epilepsie geleistet haben: Prof. Dr. Christian Elger
wird ausgezeichnet für seine herausragenden wissenschaftlichen
Untersuchungen auf dem Gebiet der experimentellen Epilepsieforschung
und deren Übertragung auf die klinische Epileptologie; Prof. Dr. Samuel
Berkovic erhält den Preis in Anerkennung seiner bahnbrechenden
Untersuchungen über die genetischen Grundlagen der Epilepsie,
insbesondere deren Verursachung durch Störungen von Ionenkanälen.
Professor Christian Elger, Jahrgang 1945, absolvierte nach dem Abitur zunächst ein Praktikum bei dem
Theaterregisseur Peter Palitsch in Stuttgart, studierte dann ein Semester Biologie und Chemie in
Tübingen und nahm 1969 das Studium der Humanmedizin an der Universität Münster auf. Nach seiner
Approbation als Arzt (1976) war er hier bis 1982 wissenschaftlicher Assistent am Physiologischen
Institut, wurde 1978 zum Dr. med. promoviert und habilitierte sich vier Jahre später für das Fach
Physiologie. Bis 1985 erhielt er in Münster, Memphis (USA) und Zürich eine Ausbildung zum Arzt für
Neurologie und habilitierte sich 1986 auch für dieses Fach.
Seit 1987 ist Christian Elger Professor für Epileptologie an der Universität Bonn und seit Ende 1990
Direktor der Bonner Universitätsklinik für Epileptologie. Hier baute er ein Team auf, das intensive
Grundlagenforschung betreibt und die Kriterien für eine Differenzierung zwischen pharmakologischer
und operativer Epilepsiebehandlung erstellt.
Elger selbst arbeitet nicht chirurgisch, sondern konzentriert sich auf die aufwändige Diagnostik, die der
operativen Behandlung vorausgeht. Von 1997 bis 1999 war er Vorsitzender der Deutschen Liga gegen
Epilepsie und von 2000 bis 2001 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie.
Zusammen mit sieben deutschen Kollegen rief er im Jahr 2000 das "Jahrzehnt des menschlichen Gehirns"
aus - als Fortsetzung der amerikanischen "Decade of the brain". Seit 1999 ist Elger Fellow of the Royal
College of Physicians in London und seit 2000 Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der
Wissenschaften.
Sein Festvortrag anlässlich der Verleihung des Zülch-Preises trägt den Titel "Epilepsie - Erkrankung und
Modell zur Untersuchung des menschlichen Gehirns". Mit etwa 600000 Betroffenen ist die Epilepsie die
zweithäufigste neurologische Erkrankung in Deutschland. In der Regel lässt sie sich gut behandeln: Etwa
zwei Drittel aller Patienten profitierten derart von einer medikamentösen Therapie, dass sie ein weit
gehend normales Leben ohne Anfälle zu führen vermögen. Das restliche Drittel der Patienten ist jedoch
mehr oder weniger pharmakoresistent. In dieser Gruppe gibt es laut Christian Elger zahlreiche Fälle, die
von einem epilepsiechirurgischen Eingriff - der operativen Entfernung eines Epilepsieherdes im Gehirn -
so profitieren können, dass sie nach der Operation dauerhaft anfallsfrei sind.
Voraussetzung für eine solche Operation sei aber eine aufwändige prächirurgische Epilepsiediagnostik.
Zum Beispiel müssten bei einem Teil der OP-Kandidaten Elektroden in das Gehirn eingebracht werden,
um einen Epilepsieherd, der sich in erster Linie durch krankhafte elektrische Entladungen der
Nervenzellen bemerkbar macht, so exakt zu lokalisieren, dass ein späterer resektiver Eingriff möglichst
schonend vorgenommen werden kann.
Studien im Umfeld dieser prächirurgischen Epilepsiediagnostik haben laut Elger erstaunliche Befunde
über die Prozesse erbracht, die der deklarativen Gedächtnisbildung, das heißt der Speicherung und dem
Abruf von abstraktem Wissen und persönlichen Erinnerungen, zu Grunde liegen. Und sie hätten es
ermöglicht, das faszinierende Phänomen der Plastizität des Gehirns zu untersuchen, also die Übernahme
von Funktionen einer geschädigten Hirnhemisphäre durch eine andere. Elgers Fazit: "Viele wichtige
Fragen rund um das menschliche Gehirn lassen sich im Umfeld der prächirurgischen Epilepsiediagnostik
optimal bearbeiten."
Professor Samuel Berkovic, 1953 in Melbourne geboren, studierte Medizin an der dortigen Universität
und wurde im Jahr 1985 promoviert. Anschließend war er Research Fellow am Montreal Neurological
Institute in Kanada und an der University of Melbourne. Seit 1987 arbeitet er als Neurologe am Austin
Hospital in Melbourne, außerdem ist er Professor am Department of Medicine und Direktor des Epilepsy
Research Centre der Melbourne University.
Viele wissenschaftliche Gesellschaften und Akademien, darunter die American Academy of Neurology
und die Australien Academy of Science, zählen Samuel Berkovic zu ihren Mitgliedern oder Fellows. Der
Forscher ist Träger hoher Auszeichnungen, so des Epilepsy Research Recognition Award der American
Epilepsy Society (1995), des Novartis Prize for Epilepsy Research (2001) und des GlaxoSmithKline
Australia Award for Research Excellence (2002).
Schon seit Hippokrates, so Samuel Berkovic in seinem Festvortrag "Epilepsy Genetics - Learning from
patients to solve mysteries", ist bekannt, dass Epilepsie eine erbliche Komponente enthält. In jüngster Zeit
sei es seinem Team und anderen Gruppen gelungen, die Natur dieser Erbfaktoren aufzuklären. Dabei
arbeiteten klinische Forscher, Patienten - vorwiegend Zwillinge oder Familien, bei denen Epilepsiefälle
gehäuft auftraten - und Molekulargenetiker eng zusammen. Das Ergebnis dieser Kooperation führte zu
wertvollen Einsichten in die Natur der Epilepsien.
So fanden die Wissenschaftler heraus, dass bestimmte Formen der Epilepsie durch vererbte Störungen
von Ionenkanälen ausgelöst werden. Ionenkanäle sind Proteine, die an der Zelloberfläche sitzen und den
Fluss von Ionen (Salzen) in die Zelle oder aus ihr heraus regeln. Als Ursache von Epilepsien wurden
Störungen derartiger Ionenkanäle identifiziert - und zwar sowohl solcher, die auf die elektrischen
Bedingungen der Hirnzellen reagieren, als auch solcher, deren Reaktion von der Bindung chemischer
Botenstoffe zwischen den Zellen abhängt. Im Jahr 1995 lokalisierte das Team von Berkovic sogar
erstmals ein Gen, dessen Mutation zu Störungen in den Ionenkanälen führt. Inzwischen haben Forscher
weitere derartige Gene aufgespürt, viele von ihnen unter Mitarbeit der Melbourner Gruppe.
Allerdings sind viele Rätsel der Epilepsien noch ungelöst. Warum zum Beispiel wachsen Kinder oft aus
der Epilepsie heraus, das heißt, warum treten solche Anfälle erstmals in einem bestimmten Alter auf und
verschwinden später wieder, obwohl die genetische Abnormität weiterhin besteht? Die Erforschung der
Ionenkanal-Funktion führt hier zu ersten Antworten auf solche Fragen. Die neuen Erkenntnisse
ermöglichen es Samuel Berkovic zufolge, Patienten und Familien mit bisher unerklärlichen
Epilepsieformen genetisch zu beraten. Und sie wecken außerdem die Hoffnung, in naher Zukunft neue
und bessere Behandlungsformen zu entwickeln.
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Die Übergabe des Zülch-Preises 2005 durch den Vizepräsidenten der Max-Planck-Gesellschaft, Prof. Dr.
Herbert Jäckle, findet am 30. September 2005 ab 10.00 Uhr im Isabellensaal des Kölner Gürzenich statt.
Die Laudatio auf Christian Elger hält Prof. Dr. Hans-Jochen Heinze, Klinik für Neurologie, Universität
Magdeburg; als Laudator für Samuel Berkovic konnte Prof. Dr. Thomas Jentsch, Zentrum für Molekulare
Neurobiologie, Universität Hamburg, gewonnen werden.
Die Gertrud Reemtsma Stiftung wurde 1989 von Gertrud Reemtsma in Gedenken an ihren verstorbenen
Bruder, den Neurologen Prof. Dr. Klaus Joachim Zülch, ehemaliger Direktor der Kölner Abteilung des
Max-Planck-Instituts für Hirnforschung in Frankfurt, mit dem Ziel gegründet, die Erinnerung an das
Lebenswerk ihres Bruders wach zu halten und besondere Leistungen in der neurologischen
Grundlagenforschung anzuerkennen und zu fördern. Gertrud Reemtsma war schon Ende der 1930er-Jahre
mit dem Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung in Berlin-Buch in Verbindung getreten: Als Klaus
Joachim Zülch dort als Neuropathologe und Neurologe arbeitete, folgte sie ihrem Bruder als Sekretärin
nach.
Nach dem Krieg war Gertrud Reemtsma ein große Förderin der Max-Planck-Gesellschaft - und zwar
nicht nur seit 1964 als Förderndes Mitglied, sondern auch über finanzielle Zuwendungen für die von
ihrem Bruder geleitete Kölner Forschungsabteilung. Gertrud Reemtsma starb Anfang 1996 im 80.
Lebensjahr in Hamburg.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Biologie, Chemie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Psychologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftspolitik
Deutsch
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