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20.03.2006 11:07

Erste historische Untersuchung: 30 Jahre Mitbestimmungsgesetz von 1976 - Breite Zustimmung für mehr Demokratie in der Wirtschaft

Rainer Jung Abt. Öffentlichkeitsarbeit
Hans-Böckler-Stiftung

    746 Unternehmen mit mehr als 2000 Beschäftigten haben Aufsichtsräte, in denen Arbeitnehmervertreter zahlenmäßig paritätisch vertreten sind. Das zeigen Statistiken der Hans-Böckler-Stiftung zur Unternehmensmitbestimmung. Grundlage für die Mitsprache der Beschäftigten in Großunternehmen der verschiedensten Branchen ist das Mitbestimmungsgesetz von 1976. Vor 30 Jahren wurde es mit überwältigender Mehrheit im Deutschen Bundestag verabschiedet: 389 Abgeordnete stimmten am 18. März 1976 für das Gesetz, nur 22 dagegen.

    Zum Jahrestag der Parlamentsentscheidung legt die Hans-Böckler-Stiftung die erste umfassende Untersuchung zur Entstehungsgeschichte des Mitbestimmungsgesetzes vor. PD Dr. Karl Lauschke, Historiker und Politikwissenschaftler, zeichnet darin anhand von zahlreichen Dokumenten das langwierige Tauziehen um die Arbeitnehmermitbestimmung nach. Insgesamt reichten die Auseinandersetzungen über fast zwei Jahrzehnte - von 1962, als der Deutsche Gewerkschaftsbund einen ersten Gesetzentwurf vorlegte, bis zum März 1979. Drei Jahre nach der Verabschiedung stellte das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit des Mitbestimmungsgesetzes fest.

    Lauschkes Analyse macht deutlich, dass der dabei gefundene Kompromiss schließlich zwar von einer breiten politischen Mehrheit aus SPD, FDP und großen Teilen der oppositionellen Union getragen wurde. Sowohl Gewerkschaften als auch Arbeitgeberverbände waren dagegen unzufrieden mit dem Gesetz. Auf der Seite der Arbeitnehmervertreter herrschte Enttäuschung, weil beispielsweise durch das Doppelstimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden keine volle Parität wie im Modell der Montanmitbestimmung erreicht wurde. Der DGB-Vorsitzende Heinz-Oskar Vetter nannte das Gesetz "die größte Enttäuschung" seiner Amtszeit.

    Erst nach und nach setzte sich eine pragmatische Sichtweise durch: "In der Praxis erwies sich die Regelung als durchaus geeignet, den sozialen Interessenausgleich zwischen Anteilseignern und Beschäftigten zu fördern, ohne die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen einzuschränken", resümiert Lauschke.

    Prominente Zeitzeugen im Interview
    Einen lebendigen Einblick in die Diskussion der 60er und 70er Jahre vermitteln auch hochkarätige politische Akteure, die in der aktuellen Ausgabe des Magazins Mitbestimmung berichten, wie die Verhandlungen vor und hinter den Kulissen verliefen.

    Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt würdigt die gesetzliche Regelung der Betriebs- und der Unternehmensverfassung als "eines der tragenden Elemente unseres Arbeitsfriedens." Der frühere IG-Chemie-Vorsitzende Hermann Rappe, der ab 1972 die Mitbestimmungs-Kommission der SPD leitete, sagt: "Ich bin vom 76er Gesetz so überzeugt, wie ich selten im Leben von einer Sache überzeugt war. Nach wie vor." Der FDP-Ehrenvorsitzende Otto Graf Lambsdorff verteidigt den Kompromiss, den er damals mit aushandelte. Lambsdorff plädiert für kleinere Aufsichtsräte, widerspricht im Interview mit dem Magazin Mitbestimmung aber Polemiken, die Mitbestimmung sei ein historischer Irrtum: "Der Auffassung bin ich nicht. Das halte ich für falsch."

    Friedhelm Farthmann stritt als Leiter der Abteilung Mitbestimmung beim DGB und als SPD-Bundestagsabgeordneter für eine echte Parität in den Aufsichtsräten und kritisierte das Gesetz als "faulen Kompromiss". Auch Norbert Blüm, damals Hauptgeschäftsführer der CDU-Sozialausschüsse, trat für ein weitergehendes Mitbestimmungsmodell ein. Heute weist Blüm Überlegungen zurück, die Mitbestimmung einzuschränken: "Viele, die vom hohen Ross herab die Mitbestimmung beurteilen, haben noch nie an einer Betriebsrats- oder Aufsichtsratssitzung teilgenommen, in der die Arbeitnehmer schwierige Entscheidungen mit zu verantworten hatten."

    Weitere Informationen:

    Karl Lauschke: Mehr Demokratie in der Wirtschaft. Die Entstehungsgeschichte des Mitbestimmungsgesetzes von 1976. Hrsg. von der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf 2006.


    Weitere Informationen:

    http://www.boeckler.de/cps/rde/xchg/hbs/hs.xsl/320_73769.html - PM mit Ansprechpartnern
    http://www.boeckler.de/cps/rde/xchg/hbs/hs.xsl/254_29923.html - Hintergrundseite mit weiteren wissenschaftlichen Daten zur Unternehmensmitbestimmung


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Politik, Recht, Wirtschaft
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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