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03.09.2008 14:46

Für Muskelspiele unentbehrlich - molekularer Kraftsensor steuert Muskelaufbau

Dr. Carmen Rotte Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie

    Den Olympioniken in Peking dürfte während der Wettkämpfe eine andere Frage durch den Kopf gegangen sein als die nach der molekularen Funktion und Regulation ihrer Muskeln. Weit mehr dürfte die Sportler beschäftigt haben, ob Training und Muskelaufbau optimal waren. Doch wie misst der Muskel die mechanische Belastung während des Trainings und "merkt", dass er mehr leisten muss? Diesen Mechanismus hat nun ein interdisziplinäres Forscherteam von der Ludwig-Maximilians-Universität München und dem Göttinger Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Zusammenarbeit mit dem King's College London (England) entschlüsselt. Wie die Wissenschaftler herausfanden, wirkt ein Protein im Muskel als Kraftsensor. Wird dieser bei Muskelspannung aktiviert, löst er die Herstellung neuer Muskelbausteine im Zellkern aus.
    (PNAS, 2. September 2008)

    Die wenigsten Menschen machen auf Anhieb eine Reihe von Klimmzügen. Doch mit entsprechendem Training kann sich praktisch jeder von uns nach oben ziehen. Mit der Anstrengung wachsen unsere Muskeln und verleihen uns die nötige Kraft - bei Nichtstun dagegen verlieren wir sehr schnell an Muskelmasse. Aber woher weiß der Muskel, dass er wachsen oder schrumpfen muss? Dieser Frage ist nun ein internationales Wissenschaftlerteam nachgegangen. Die Forscher vermuteten schon seit langem, dass es im Muskel eine Art Kraftsensor geben muss, der die Belastung misst und weitermeldet. Ein Muskelprotein schien den Wissenschaftlern für diese Aufgabe besonders geeignet zu sein: das Titin - ein wahrer Gigant im Reich der Proteine. Zusammen mit zwei weiteren Muskelproteinen, Aktin und Myosin, ist es Hauptbestandteil der Sarkomere, den kleinsten krafterzeugenden Einheiten unserer Herz- und Skelettmuskel. Während Aktin und Myosin den Muskel bewegen, durchspannt das Titin das Sarkomer, hält es wie eine Expanderfeder zusammen und sorgt für die nötige Elastizität der Muskulatur. Durch Kombination so verschiedener Methoden wie Rasterkraftmikroskopie, computergestützten Großsimulationen und Enzymbiochemie konnten die Forscher erstmals direkt zeigen, dass in der Tat eine besondere Stelle im riesigen Titinprotein als mechanischer Sensor wirken kann.

    Protein auf der Streckbank

    Die Wissenschaftler konzentrierten sich auf ein besonderes Kettenglied innerhalb des Titins, die sogenannte Titinkinase, welche ein katalytisches Zentrum in sich birgt. Wenn es aktiv ist, spaltet es von einem kleinen ATP-Molekül einen Phosphatrest ab, heftet diesen als Marker an ein weiteres Protein und löst so eine biochemische Signalkette aus: ein idealer Sensor. Doch wie wird der Sensor aktiviert, was hält ihn blockiert? Um dies herauszufinden, untersuchte Elias Puchner am Lehrstuhl von Prof. Hermann Gaub an der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität die Titinkinase mit einem selbstkonstruierten Rasterkraftmikroskop genauer. Um Veränderungen der Titinkinase bei Dehnung zu messen, spannte Puchner das Protein mit der extrem dünnen Spitze des Rasterkraftmikroskops gewissermaßen in eine Streckbank ein. Dabei dehnte der Forscher das Protein auf die gleiche Art und Weise, wie es auch im Muskel gespannt wird. Selbst kleinste Veränderungen in der Titinkinase sind während der Streckung mit dieser Methode nachweisbar. "Am echten Protein konnten wir so die für die Molekülstreckung nötige Kraft messen. Dabei konnten wir direkt nachweisen: Nur in diesem gestreckten Zustand bindet das ATP-Molekül an die Titinkinase", erklärt Puchner.

    Titinkinase als Kraftmesser in Aktion

    Um zu sehen, was mit dem Protein unter mechanischem Stress - also bei kräftiger Muskeldehnung - genau geschieht, stellten die Wissenschaftler um Prof. Helmut Grubmüller am MPI für biophysikalische Chemie in Göttingen das Experiment am Computer nach. Helmut Grubmüller zeigt am Bildschirm, wie bei der Computersimulation die Bewegungen der Titinkinase Atom für Atom sichtbar werden. Zieht der Göttinger Biophysiker nun mit der virtuellen Spitze eines Rasterkraftmikroskops am Protein, lässt sich die Proteinbewegung mitverfolgen. Dabei klappt ein Teil des Proteins auf, der zuvor das aktive Zentrum wie ein Stöpsel verschlossen hielt. Das nun freiliegende aktive Zentrum kann ATP zerlegen und die Signalkette auslösen. Im Ruhezustand blockiert die Titinkinase sich mit dieser Klappe selbst; die ATP-Bindung wird so verhindert.

    Herstellung neuer Muskelbausteine ankurbeln

    Wie die ab einer gewissen Muskelspannung von der Titinkinase ausgelöste Signalkette genau funktioniert, untersucht die Gruppe um Prof. Mathias Gautel vom King's College London. Die Mediziner konnten erfolgreich Proteine identifizieren, die letztlich im Zellkern die Herstellung weiterer Muskelproteine - und damit neuer Muskelbausteine für die Reparatur und das Wachstum des Muskels - anregen und den Abbau von Muskelproteinen kontrollieren. Damit passen die Ergebnisse der drei Gruppen schlüssig zusammen; sie ermöglichen erstmals Einblicke in die Wirkungsweise eines molekularen mechanischen Sensors. Finanziert wurde das Projekt unter anderem vom Exzellenzcluster "Center for Integrated Protein Science Munich" und den "Medical Research Council" (Großbritannien).

    Fehlfunktionen der Titinkinase spielen bei einigen genetischen Muskelkrankheiten wie der Edstrøm-Krankheit eine entscheidende Rolle. Vermutlich können hierdurch die Muskeln nicht mehr ausreichend regeneriert werden - mit fatalen Folgen für die Betroffenen, denn die besonders stark beanspruchte Atemmuskulatur versagt zuerst. Ein besseres Verständnis für die molekularen Zusammenhänge bei Muskelwachstum und Regeneration könnte daher für die Entwicklung neuer Medikamente zur Behandlung bestimmter Muskelkrankheiten von entscheidender Bedeutung sein. Und auch Fitnessbewusste bis hin zu Hochleistungssportler könnten in ihrem Training von den neuen Erkenntnissen der Forscher profitieren.

    Kontakt:
    Prof. Dr. Hermann Gaub
    Ludwig-Maximilians-Universität München und Center for Integrated Protein Science Munich
    Tel.: +49 89 2180 -3172
    Fax: +49 89 2180 -2050
    E-Mail: gaub@physik.uni-muenchen.de

    Prof. Dr. Mathias Gautel
    King's College London
    Tel.: + 44 207 848 -6709
    Fax: + 44 207 848 -6435
    E-Mail: mathias.gautel@kcl.ac.uk

    Prof. Dr. Helmut Grubmüller
    Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie Göttingen
    Tel.: +49 551 201-2301/-2300
    Fax: +49 551 201-2302
    E-Mail: hgrubmu@gwdg.de

    Dr. Carmen Rotte, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
    Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie
    Tel.: +49 551 201-1304
    Fax: +49 551 201-1151
    E-Mail: pr@mpibpc.mpg.de

    Sie finden diese Pressemeldung mit Bild zum Download in elektronischer Form unter http://www.mpibpc.mpg.de/groups/pr/PR/2008/08_15


    Weitere Informationen:

    http://www.biophysik.physik.uni-muenchen.de/ - Lehrstuhl für Angewandte Physik, Ludwig-Maximilians-Universität München
    http://www.mpibpc.mpg.de/groups/grubmueller - Die Abteilung Theoretische und Computergestützte Biophysik, MPI für biophysikalische Chemie, Göttingen
    http://www.kcl.ac.uk/schools/biohealth/research/randall/musclesiggp.html - Die Signaling Research Group, King's College, London, UK


    Bilder

    Muskelprotein auf der Streckbank: Wird die Titinkinase gedehnt, öffnet sich die Bindungstasche, ermöglicht das Andocken eines kleinen ATP-Moleküls und löst ein chemisches Signal aus, das Aufbau und Reparatur des Muskels steuert.
    Muskelprotein auf der Streckbank: Wird die Titinkinase gedehnt, öffnet sich die Bindungstasche, ermö ...
    Puchner und Gaub / LMU München
    None


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Chemie, Medizin, Physik / Astronomie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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