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28.01.2011 12:06

Neues Wissen, altes Recht: Was ist ein Embryo?

Steffen Becker Abteilung Kommunikation
Universität Passau

    Passauer Juristen suchen im Verbund mit Biologen, Medizinern und Ethikern nach einer zeitgemäßen Embryo-Definition. Rechtliche Unsicherheiten beim Schutz des menschlichen Lebens, die durch den Fortschritt der medizinischen Forschung entstehen, sollen aufgefunden und aufgelöst werden. Das Bundesministerium für Forschung und Bildung fördert die Universität Passau mit 245.000 Euro.

    Wo beginnt der Schutz des menschlichen Lebens? Diese Frage wird mit dem medizinisch-biologischen Fortschritt immer komplexer und – nicht nur mit Blick auf die Präimplantationsdiagnostik (PID) – zum Dauerthema von Recht, Ethik und Politik. „Die aktuellen Grundsätze des Embryonenschutzes geraten ins Wanken. Wir befinden uns heute in einer Situation, in der das geltende Recht an Grenzen stößt und die Forschung in einer Grauzone agieren muss“, erklärt Prof. Dr. Hans-Georg Dederer, Inhaber des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht, Völkerrecht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität Passau. Im Verbund mit Ethikern der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar und Medizinern der Medizinischen Hochschule Hannover sowie des Max-Planck-Instituts für molekulare Biomedizin in Münster suchen Dederer und seine Mitarbeiter nach einem schlüssigen Konzept für den Embryonenschutz. Bisher ist ein Embryo im Sinne des Gesetzes jede menschliche „totipotente“ Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen teilen und zu einem Individuum entwickeln kann. Angesichts neuer Erkenntnisse der Entwicklungsbiologie ist der Begriff der Totipotenz aber nicht nur in der Naturwissenschaft, sondern auch in Recht und Ethik nicht mehr eindeutig definiert. „Als das jetzige Embryonenschutzgesetz 1990 verabschiedet wurde, wollte man u. a. bestimmte Techniken wie das Klonen durch Embryosplitting verhindern. Die heutigen Möglichkeiten der Forschung, Zellen in ein sehr frühes Entwicklungsstadium zu reprogrammieren, waren damals noch nicht absehbar“, so Dederer. Heute experimentiere die Medizin mit dieser Methode, um Therapien etwa für Parkinson-Patienten zu entwickeln. Als Ergebnis dieser Forschung könnte am Ende eine gewöhnliche Hautzelle des Patienten zu einer gesunden Nervenzelle umfunktioniert werden. Die Naturwissenschaftler können allerdings nicht ausschließen, dass die Zellen in diesem Prozess der Reprogrammierung ein Stadium der Totipotenz und damit ein Embryonalstadium durchlaufen. In diesem Falle wäre ihre Verwendung für die Forschung illegal. „Vor diesem neuen Hintergrund stellt sich die grundsätzliche Frage, wie das Recht mit Unsicherheiten bei naturwissenschaftlichen Aussagen umgehen kann. Es wird aber auch die Frage aufgeworfen, ob die Totipotenz von Zellen ein geeignetes Kriterium für die rechtliche Definition eines Embryos ist“, erklärt Dederer. So ist zu prüfen, ob in noch näher zu bestimmender Weise zwischen Natürlich- und Künstlichkeit bei der Entstehung eines Embryos unterschieden werden kann. Eine solche Unterscheidung könnte allerdings den rechtlichen Schutz auf Embryonen verengen, die Folge einer Vereinigung von Ei- und Samenzelle sind. Hingegen blieben Zellen mit künstlich herbeigeführter Totipotenz außen vor. Ein anderes Ergebnis könnte in einer Abstufung des Lebensschutzes bestehen, die von der Zellkultur bis zum geborenen Menschen differenzierende Schutzrechte vorsieht. Politisch begründete Kompromisse in dieser Frage, wie etwa die Erzeugung und Verwertung künstlich-totipotenter Zellen nach dem Vorbild von Schwangerschaftsabbrüchen, zwar als rechtswidrig einzustufen, aber straffrei zu belassen, beurteilt Dederer skeptisch. „Alle diese Wertungs- und Abwägungsprozesse werden in den drei Projektjahren jedenfalls sehr spannend, zumal es in diesen grundlegenden ethisch-rechtlichen Fragen keine eindeutig vorherrschende Rechtsmeinung mehr gibt. Als Verbund von Juristen, Ethikern und Medizinern haben wir uns jedoch zum Ziel gesetzt, Handlungskonzepte für eine gesetzliche Regelung zu entwickeln, die normativ begründet, rechtlich trennscharf und empirisch auf dem neuesten Stand sind“, erklärt Dederer.

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    Hinweis an die Redaktionen: Rückfragen zu dieser Pressemitteilung richten Sie bitte an die Pressestelle der Universität Passau, Tel. 0851 509-1430, oder an Prof. Hans-Georg Dederer, Tel. 0851 509-2340, Hans-Georg.Dederer@uni-passau.de.



    Hinweis des Projektträgers: Das diesem Bericht zugrunde liegende Vorhaben wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 01GP1007B gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt beim Autor.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Biologie, Medizin, Philosophie / Ethik, Recht
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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