idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
24.02.2012 11:03

Das Ende des „Maiglöckchen-Phänomens“ – Spermien können keine Düfte riechen

Dr. Jürgen Reifarth Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
caesar - center of advanced european studies and research

    Spermien haben einen weiten Weg vor sich, um die Eizelle zu finden; nur wenige der Millionen von Spermien erreichen ihr Ziel. Die Eizelle unterstützt die Spermien bei ihrer Suche, indem sie „chemische Wegweiser“, sogenannte Lockstoffe, aussendet. Dieses raffinierte System hat man erstmalig bei Seeigeln entdeckt und herausgefunden, dass Lockstoffe die Schwimmbewegung der Spermien steuern, indem sie deren Kalziumhaushalt verändern. Das Anlocken der Spermien bezeichnet man als „Chemotaxis“. Anders als bei Seeigeln, die Spermien und Eizellen ins Seewasser abgeben, lassen sich die Bedingungen im engen Eileiter des Menschen nur schwer experimentell nachstellen.

    Es wurden verschiedene Konzepte veröffentlicht, wie menschliche Spermien die Eizelle aufspüren. Eines dieser Modelle ist besonders faszinierend und einleuchtend zugleich: Deutsche und amerikanische Wissenschaftler berichteten 2003 in dem Fachjournal Science, dass ein Bestandteil des Maiglöckchenduftes, genannt Bourgeonal, in den Kalziumhaushalt menschlicher Spermien eingreift und die Spermien anlockt. Das „Maiglöckchen-Phänomen“ – so der Titel eines Buches über das Riechen – war geboren: Spermien als schwimmende Riechzellen, die einer „Duftfährte“ folgen, ausgelegt von der Eizelle. Allerdings blieb das Maiglöckchen-Phänomen nebulös, da weder Bourgeonal noch andere Duftstoffe im weiblichen Geschlechtsorgan identifiziert werden konnten.

    Ein konkurrierendes Modell schlägt vor, dass das weibliche Sexualhormon Progesteron – das von Kumuluszellen in der Nähe der Eizelle gebildet wird – die Spermien anlockt. Für die Progesteronwirkung sind sogenannte CatSper-Ionenkanäle (cation channels of sperm) verantwortlich. Die CatSper-Kanäle, die sich ausschließlich in Spermien befinden, sind unverzichtbar für die Fortpflanzung: Männer, die einen Gendefekt für CatSper tragen, sind unfruchtbar. In einer aufsehenerregenden Arbeit, die 2011 in dem angesehenen Fachjournal Nature erschien, konnten Wissenschaftler vom Forschungszentrum caesar zeigen, dass Progesteron die CatSper-Kanäle direkt öffnet, wodurch Kalzium in die Spermien-Zelle strömt.

    In einer aktuellen Studie, die im EMBO Journal erschienen ist, zeigen die Bonner Forscher nun in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern des Forschungszentrums Jülich, dass der Maiglöckchenduft die Progesteronwirkung auf Spermien imitiert: Bourgeonal öffnet die CatSper-Kanäle ebenfalls direkt – ohne Umweg über Duftstoffrezeptoren und komplizierte biochemische Signalwege, wie man sie in Riechzellen findet. Allerdings wirken die Duftstoffe erst bei mehr als 1000fach höheren Konzentrationen als Progesteron! Fazit: Duftstoffe wirken nur bei einer Überdosis.
    Das „Maiglöckchen-Phänomen“ beruht also auf einem Labor-Artefakt: einen Riech-Signalweg gibt es nicht in Spermien.

    Diese Ergebnisse lieferten den Spermienforschern wichtige neue Erkenntnisse. Warum sind die CatSper-Kanäle so wenig wählerisch und reagieren sogar auf Menthol, wenn die Konzentration nur hoch genug ist? Vermutlich ist die „pro-miskuitive“ Eigenschaft entscheidend für die Fortpflanzung. Die Spermien müssen sich auf ihrer beschwerlichen Reise zur Eizelle immer wieder anhand verschiedener „chemischer Wegweiser“ vergewissern, dass sie noch auf der richtigen Spur sind. Mit Hilfe der CatSper-Kanäle als vielseitige und emp-findliche Sensoren können Spermien das chemische Milieu im Eileiter „auslesen“ und so die Eizelle aufspüren. Die Bonner Forscher konzentrieren sich jetzt darauf, neben Progesteron weitere Lockstoffe im Eileiter zu identifizieren. Eines ist aber deutlich geworden: Duftstoffe sind es wohl nicht.

    Die neuen Erkenntnisse sind auch medizinisch bedeutsam. Wenn es gelänge, die Wirkung weiblicher Faktoren auf die CatSper-Kanäle zu stören, könnte das zu einem neuartigen Verhütungsmittel – der Pille für den Mann – führen. Bis dahin ist es allerdings noch ein langer Weg.

    Originalpublikation
    Brenker, C., Goodwin, N., Weyand, I., Kashikar, N.D., Naruse, M., Krähling, M., Müller, A., Kaupp, U.B. & Strünker, T. (2012) "The CatSper channel: a polymodal chemosensor in human sperm" EMBO J.
    Online publiziert: 21. Februar 2012.
    doi: 10.1038/emboj.2012.30.

    Stiftung caesar
    Die Stiftung caesar ist assoziiert mit der Max-Planck-Gesellschaft und betreibt in Bonn ein Zentrum für neurowissenschaftliche Forschung. Die wissenschaftliche Arbeit erfolgt nach den Exzellenzkriterien der Max-Planck-Gesellschaft.

    Ansprechpartner:
    Herr Dr. Timo Strünker,
    Molekulare Neurosensorik,
    Telefon: +49(0)228/9656-162
    E-mail: timo.struenker@caesar.de


    Weitere Informationen:

    http://www.caesar.de/621.html


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    jedermann
    Biologie, Chemie, Medizin
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).