idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
14.09.2012 08:35

Das Rätsel des dritten Signals

Dr. Birgit Manno Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung

    Bei COPD versagen mehrere Mechanismen, die die Lunge vor körpereigenen Immunzellen schützen

    Irrtümliche Angriffe des eigenen Immunsystems auf die Lunge werden durch mindestens drei Schutzmechanismen verhindert: Das hat die Arbeitsgruppe „Immunregulation“ unter der Leitung von Prof. Dunja Bruder am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) entdeckt. Bei den chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen (COPD), einer Gruppe von Volkskrankheiten, die durch Rauchen oder schädliche Staubbelastung ausgelöst werden, versagen diese Mechanismen offenbar. Die Ergebnisse veröffentlichten die Forscher in der aktuellen Ausgabe des American Journal of Respiratory Cell and Molecular Biology.

    Die Oberfläche der Lunge trennt den Körper von der Umwelt – hier ist es besonders wichtig, dass das Immunsystem schädliche Substanzen erkennt und bekämpft, während es körpereigene Strukturen verschont. Bei der Produktion eines bestimmten Typs von Immunzellen, den T-Zellen, entstehen jedoch immer auch solche, die den eigenen Körper angreifen könnten. Bevor sie im Körper aktiv werden, gibt es eine Kontrolle, die diese Zellen aussortiert. Regelmäßig „entwischen“ dabei jedoch einige dieser sogenannten autoreaktiven T-Zellen und stellen eine mögliche Gefahr für den Körper dar. Im Fall der COPD spielen sie eine bislang unterschätzte Rolle.

    COPD ist mittlerweile die vierthäufigste Todesursache in Industrienationen, eine wirksame Therapie gibt es noch nicht. Ein erhöhtes Risiko, an COPD zu erkranken, haben Raucher und Menschen, die stark schadstoffbelasteter Luft ausgesetzt sind. Hier sind unter anderem die schwelenden Herdfeuer in geschlossenen Räumen zu nennen, die in Ländern der Dritten Welt zum Kochen und Heizen verwendet werden. „Es stimmt, dass für die Entwicklung der COPD, die allgemein auch als Raucherhusten beschrieben wird, Rauchen und Staubbelastung ein wichtiger Risikofaktor sind. Durch die dadurch hervorgerufene Entzündung kann es als Folge jedoch dazu kommen, dass T-Zellen das Lungengewebe angreifen und eine Autoimmunerkrankung entsteht“, erläutert Marcus Gereke, Wissenschaftler am HZI.

    Gereke gehört zu einem Team von Wissenschaftlern des HZI, der Freien Universität Berlin, des Universitätsklinikums Essen und der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, das untersucht hat, wie sich die Lunge vor Angriffen durch das eigene Immunsystem schützt. Dabei haben sie herausgefunden, dass autoreaktive T-Zellen, die eigenes Lungengewebe erkennen, nicht automatisch eine COPD verursachen, es müssen weitere Faktoren hinzukommen. Die Forscher interessieren sich insbesondere für eine Gruppe von T-Zellen, die normalerweise infizierte Zellen erkennt und zerstört, so dass sich Krankheitserreger nicht weiter ausbreiten können. Sie sind Teil des erworbenen Immunsystems, das sich im Laufe des Lebens an die neuen Krankheitserreger anpasst und sie gezielt abwehrt. Bereits vor einem Jahr konnten die Wissenschaftler zeigen, dass diese Zellen bei chronischen Lungenentzündungen auch die Lungenbläschen angreifen.

    Um die Rolle der T-Zellen bei der Entstehung der COPD zu verstehen, untersuchten die Forscher Mäuse, bei denen sie durch autoreaktive T-Zellen in der Lunge gezielt die Autoimmunität hervorrufen können. Dabei stellten sie jedoch wider Erwarten fest, dass allein das Vorhandensein von für körperfremd gehaltenen Zellen keinen Angriff der autoreaktiven T-Zellen auslöste. Demnach benötigen die T-Zellen neben der Erkennung des „körperfremden“ Gewebes ein weiteres Signal, damit sie sich zu Zellen entwickeln, die in der Lage sind, die körpereigenen Zellen zu attackieren. Überraschenderweise wurden die T-Zellen jedoch selbst nur dann vorübergehend tätig, als die Wissenschaftler ein weiteres, zweites Signal lieferten, indem sie zusätzlich das so genannte angeborene Immunsystem aktivierten – eine Art „Alarmanlage“ des Körpers, die die gesamte Immunabwehr scharf schaltet. „Offenbar ist noch ein drittes Signal notwendig, um diese Zellen komplett anzuschalten. Wenn wir herausfinden, woraus dieses dritte Signal genau besteht, wären wir einen entscheidenden Schritt weiter zu verstehen, wie COPD entsteht und könnten dort therapeutisch eingreifen, um das Voranschreiten der Erkrankung zu verhindern“, unterstreicht Dunja Bruder die Relevanz dieser Ergebnisse. Untersuchungen deuten darauf hin, dass länger anhaltende Infektionen das dritte Signal hervorrufen könnten. Infektionen führen zu Entzündungen der Lunge, was die autoreaktiven T-Zellen offenbar vollständig anschaltet.

    Ähnliches könne auch in Raucherlungen geschehen, vermuten die Forscher. Substanzen im Zigarettenrauch schädigen die Lungenschleimhaut. Dadurch werden Strukturen freigelegt, die von Immunzellen erkannt werden. Auch das angeborene Immunsystem wird ständig aktiviert und gibt den autoreaktiven T-Zellen gewissermaßen einen Freifahrtschein, das Lungengewebe zu zerstören. Bei dem dauerhaft entzündeten Lungengewebe starker Raucher versagen somit die Schutzmechanismen: Das Ergebnis ist oftmals die Entwicklung einer COPD.

    Originalpublikation:
    Milena J. Tosiek, Sophie R. Bader, Achim D. Gruber, Jan Buer, Marcus Gereke, Dunja Bruder
    CD8+ T cells responding to alveolar self-antigen lack CD25 expression and fail to precipitate autoimmunity
    American Journal of Respiratory Cell and Molecular Biology 2012
    doi: 10.1165/rcmb.2011-0387OC

    Das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung:
    Am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) untersuchen Wissenschaftler die Mechanismen von Infektionen und ihrer Abwehr. Was Bakterien oder Viren zu Krankheitserregern macht: Das zu verstehen soll den Schlüssel zur Entwicklung neuer Medikamente und Impfstoffe liefern.
    http://www.helmholtz-hzi.de

    Die Arbeitsgruppe "Immunregulation" am HZI erforscht das Gleichgewicht des Immunsystems in extremen Situationen. Dazu zählen beispielsweise die gleichzeitige Infektion mit verschiedenen Erregern und der irrtümliche Angriff von Bestandteilen des eigenen Körpers.


    Weitere Informationen:

    http://www.helmholtz-hzi.de/de/aktuelles/news/ansicht/article/complete/das_raets... - Die Meldung auf helmholtz-hzi.de


    Bilder

    Gesunde und durch Autoimmun-Attacken geschädigte Lungen: Das linke Bild zeigt, wie gesundes Lungengewebe unter dem Mikroskop aussieht. Greift das Immunsystem irrtümlich Lungengewebe an, sammeln sich Immunzellen an (hier in blau dargestellt), die die Bronchien verengen, wie auf dem rechten Bild zu sehen.
    Gesunde und durch Autoimmun-Attacken geschädigte Lungen: Das linke Bild zeigt, wie gesundes Lungenge ...
    Foto: HZI
    None


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
    Biologie, Chemie, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).