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27.09.2012 15:12

Traum-(REM)-Schlafverhaltensstörung: Gewaltträume als Vorboten der Parkinson-Krankheit

Frank A. Miltner Pressestelle der DGN
Deutsche Gesellschaft für Neurologie

    Wer nachts im Schlaf spricht oder schreit, um sich schlägt, Tritte verteilt und bisweilen seinen Bettpartner verletzt, ist nicht von Natur aus aggressiv: Vielmehr liegt eine Traum-Schlaf-Verhaltensstörung vor, die ein Frühzeichen für ernste neurodegenerative Erkrankungen sein könnte. „60 bis 70 Prozent der Patienten, die an dieser „REM-Schlaf-Verhaltensstörung“ leiden, entwickeln nach 10 bis 30 Jahren Morbus Parkinson oder die seltenere neurodegenerative Erkrankung Multisystematrophie (MSA)“, sagte Professor Wolfgang Oertel, Direktor der Klinik für Neurologie an der Philipps Universität Marburg, heute auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) in Hamburg.

    Diese Traum-Schlafverhaltensstörung wird RBD genannt, oder lang: Rapid Eye Movement Sleep Behavior Disorder. Ärzte und Forscher untersuchen dieses Phänomen immer intensiver: erstens, um eine Therapie für die Betroffenen zu finden. Und zweitens, weil die Wissenschaft derzeit nach geeigneten Frühzeichen für neurodegenerative Erkrankungen wie der Parkinson- und der Alzheimer-Krankheit sucht.

    Gesellschaftliche Bedeutung und ethische Komponente

    Die Idee dieser Forschung: Wird die Erkrankungsanlage erkannt bevor sich die Krankheit vollständig ausprägt, steigt die Chance, dass eine Behandlung den Krankheitsverlauf verzögert oder vielleicht sogar stoppt. „Wir entwickeln derzeit neue Methoden für krankheitsmodifi-zierende bzw. Neuroprotektions-Studien“, erläuterte Oertel. „Mit der zunehmenden Zahl an älteren Menschen und damit der Zahl der Patienten ist diese Forschung nicht nur von therapeutischer, sondern auch von herausragender gesundheitspolitischer und gesundheits-ökonomischer Bedeutung“, so der 1. Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.

    In Deutschland existiert bereits eine RBD-Studiengruppe, die in Marburg gegründet und von dort aus koordiniert wird. Die Gründung einer internationalen RBD-Studiengruppe erfolgte ebenfalls in der Universitätsstadt an der Lahn. Die Studiengruppe sucht noch Patienten, die an diesen Untersuchungen teilnehmen – auch wenn im Fall der Fälle heute noch keine heilenden oder zufriedenstellenden Therapien zur Verfügung stehen. So hat diese Forschung auch eine ethische Komponente: Nicht jeder erträgt es zu wissen, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit eines Tages an der Parkinson-Krankheit leiden wird.

    RBD ist eine Männerkrankheit

    Die REM-Schlafverhaltensstörung wurde 1986 erstmals beschrieben und beginnt meist jenseits des 50. Lebensjahres. Männer (87,5 Prozent) sind wesentlich häufiger betroffen als Frauen. Eine von 200.000 Personen erkrankt daran. Sie tritt im REM-Schlaf und darum vor allem in der zweiten Nachthälfte auf. Bei der RBD ist die Muskelerschlaffung im Schlaf aufgehoben, gleichzeitig kommt es zu aggressiven, oft gewalttätigen Trauminhalten. Die Patienten erleben diese Träume regelrecht und führen zielgerichtete, typischerweise schlagende und tretende Bewegungen aus. Häufig kommt es während der Schlafstörung zu Selbst- oder Fremdverletzungen. Die Patienten haben zwar in der Regel kein Bewusstsein für ihre Bewegungen, berichten aber beispielsweise davon, dass sie geträumt haben, dass sie angegriffen wurden und sich zur Wehr setzen mussten. Oft attackieren sie aus dem Schlaf heraus den Bettpartner oder verletzen sich selbst durch einen Sturz aus dem Bett oder schlagen gegen die Bettkante.

    Diagnose und Therapie

    Typische Anzeichen sind die Bewegungen in der zweiten Nachthälfte und das potenziell selbst- oder fremdgefährdende Verhalten. Auch Medikamente wie trizyklische Antidepressiva können Auslöser sein. Bei Verdacht auf RBD liefert den Beweis die Video-Polysomnografie, eine kaum belastende Ableitung von Gehirnaktivität und Muskelaktivität im Schlaf, die mittlerweile zur Standardausstattung jedes Schlaflabors gehört. Zur Behandlung werden das Benzodiazepin Clonazepam oder Melatonin eingesetzt, wobei für beide Substanzen noch große Therapiestudien fehlen.

    „Wird die Diagnose RBD gestellt, sollten eventuelle Anzeichen von neurodegenerativen Erkrankungen unbedingt abgeklärt werden“, empfiehlt Professor Oertel. Patienten sollten darüber hinaus über die typischen Warnzeichen und Symptome von Parkinson, MSA, Demenz und verwandte Krankheiten hinreichend informiert werden.

    Morbus Parkinson ist nach Morbus Alzheimer die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung. In Deutschland sind schätzungsweise rund 250.000 Menschen betroffen. Mit einer steigenden Zahl an Patienten ist zu rechnen: Die Bevölkerung wird insgesamt älter und auch die Patienten leben dank besserer Therapie länger. Die Zahl der Neuerkrankungen wird durch geburtenstarke Jahrgänge in naher Zukunft zunehmen.

    Der Begriff Multisystematrophie (MSA) bezeichnet eine rasch fortschreitende neurodegenerative Erkrankung, bei der mehrere Systeme im Gehirn betroffen sind. Es ist eine Kombination von Symptomen und Krankheitszeichen wie sie bei Morbus Parkinson und bei Störungen des vegetativen Nervensystems und des Kleinhirns auftreten. Die Prävalenz beträgt etwa 4,4 pro 100.000 Einwohner. MSA tritt in der Regel zwischen dem vierzigsten und sechzigsten Lebensjahr auf, der Erkrankungsgipfel liegt bei 57 Jahren. Die Erkrankung ist rasch fortschreitend und führt innerhalb von 3 bis 5 Jahren zum Verlust der Gehfähigkeit und im Mittel nach 8 bis 10 Jahren zum Tod. Insbesondere für diese sehr seltene, aber schwerwiegende neurologische Erkrankung ruht die Hoffnung auf einer mildernden Therapie in der sehr frühen Diagnose. Damit erhält die Früher-kennung der RBD eine besondere Bedeutung, um neue Therapieverfahren gegen die MSA entwickeln zu können.

    Fachlicher Kontakt bei Rückfragen:

    Prof. Dr. med. Wolfgang H. Oertel
    Direktor der Klinik für Neurologie
    Philipps Universität Marburg und Universitätsklinikum Marburg
    Baldingerstraße, 35043 Marburg
    Tel.: +49 (0)6421-586-6279, Fax: +49 (0)6421- 586-8955
    E-Mail: oertelw@med.uni-marburg.de

    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
    c/o albertZWEI media GmbH, Englmannstraße 2, 81673 München
    Tel.: +49 (0)89-461486-22, Fax: +49 (0)89-461486-25, E-Mail: presse@dgn.org
    Pressesprecher: Prof. Dr. Hans-Christoph Diener

    Der Neurologenkongress
    Grenzen erkunden – neue Wege gehen: Unter diesem Motto treffen sich vom 26. bis 29. September 2012 rund 5000 Spezialisten für Erkrankungen des Gehirns und der Nerven im CCH – Congress Center Hamburg zum 85. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie – die größte Neurologenkonferenz in Europa. Weitere Informationen zum Kongress und zum aktuellen Programm: www.dgnkongress.org

    Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
    sieht sich als neurologische Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren mehr als 7000 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu verbessern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist die Bundeshauptstadt Berlin. http://www.dgn.org

    1. Vorsitzender: Prof. Dr. med. Wolfgang Oertel
    2. Vorsitzender: Prof. Dr. med. Heinz Reichmann
    3. Vorsitzender: Prof. Dr. med. Martin Grond
    Geschäftsführer: Dr. rer. nat. Thomas Thiekötter

    Geschäftsstelle
    Reinhardtstr. 27 C, 10117 Berlin, Tel: +49 (0)30-531437930, E-Mail: info@dgn.org

    Ansprechpartner für die Medien
    Frank A. Miltner, Tel: +49 (0)89-461486-22, E-Mail: presse@dgn.org


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft
    Deutsch


     

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