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12.10.2012 16:00

Trickreiche Jagd nach Eindringlingen: Wie das Immunsystem die Gefährlichkeit von Erregern prüft

Dr. Andreas Archut Abteilung Presse und Kommunikation
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

    Wissenschaftler unter Federführung der Universität Bonn haben einen Mechanismus entschlüsselt, der infizierte Zellen befähigt, lebende von toten Erregern zu unterscheiden. Erst dadurch können die von Eindringlingen befallenen Zellen entscheiden, wie stark die Immunantwort gegen die Erreger ausfallen muss. Die Ergebnisse liefern die Grundlage, um neuartige Impfstrategien zu entwickeln. Das renommierte Journal der European Molecular Biology Organisation (EMBO) veröffentlicht nun die überraschenden Resultate.

    Milliarden von Krankheitserreger attackieren tagtäglich unseren Körper - und werden meistens vom Immunsystem in Schach gehalten. „Es handelt sich dabei um einen Wettlauf mit der Zeit“, verdeutlicht Prof. Dr. Percy Knolle, von den Instituten für Molekulare Medizin und Experimentelle Immunologie an der Universität Bonn. Die Zahl der bakteriellen Erreger verdoppelt sich etwa alle 20 Minuten. „Der Organismus wird mit gefährlichen Keimen überschwemmt, wenn er nicht rechtzeitig gegensteuert.“ Die Wachposten des Immunsystems in Form von Fresszellen sind gleichmäßig über den gesamten Körper verteilt, allerdings in geringer Dichte. Erst wenn an einer bestimmten Stelle Alarm geschlagen wird, werden die im Blut zirkulierenden Truppen der Immunabwehr dort konzentriert, um die Eindringlinge schnell unschädlich zu machen.

    Wie erkennen die Wachposten, wie gefährlich die Angreifer sind?

    „Bislang war unklar, wie das Immunsystem unterscheidet, ob eine starke Abwehr vonnöten ist oder ob auch eine schwächere Reaktion ausreicht“, sagt Dr. Zeinab Abdullah, Erstautorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin von Prof. Knolle. So ist es ein Unterschied, ob vom Körper ein totes Bakterium beseitigt werden muss, das nur noch geringen Schaden anrichten kann, oder ob es sich um ein lebendes Bakterium handelt, das sich weiter vermehren und Krankheiten verursachen kann. Während bei dem toten Mikroorganismus eine schwächere Entzündungsreaktion und damit eine geringe Mobilisation von Immunzellen zum Ort der Infektion ausreicht, erfordern aktive und gefährliche Erreger in der Regel einen weitaus umfangreicheren Einsatz. „Die starke Entzündungsreaktion ist eine Abwehrstrategie, weil dabei Botenstoffe ausgesendet werden, die weitere Fresszellen und Effektorzellen anlocken, die die Eindringlinge unschädlich machen“, berichtet Prof. Knolle.

    Bakterien in Rohmilchkäse dienen als Modellorganismen im Labor

    Die Wissenschaftler untersuchten nun beispielhaft an dem Bakterium Listeria monocytogenes, wie sich diese Mikroorganismen in lebenden Zellen verhalten und wie das Immunsystem darauf reagiert. Listerien können bei Menschen und Tieren Infektionskrankheiten verursachen, deshalb sollte etwa Rohmilchkäse während der Schwangerschaft nicht verzehrt werden. „Uns dienen Listerien als Modellorganismen, an denen wir erforschen, wie solche verbreiteten Infektionskrankheiten besser bekämpft werden können“, sagt Dr. Abdullah. Wie unterscheiden Zellen, ob sie mit toten oder lebendigen Listerien infiziert sind? Dieser Frage gingen die Forscher an Zellkulturen von Mäusen nach.

    Lebende Bakterien legen unabsichtlich eine feine „Duftspur“

    „In vielen Situationen erkennt das Immunsystem Eindringlinge an bestimmten Rezeptoren, die wie Antennen an der Oberfläche der Erreger herausragen“, erläutert Prof. Knolle. Allerdings sind sie sowohl bei lebenden als auch toten Erregern vorhanden. „Es muss also einen anderen Weg geben, wie die Zellen lebendige von toten Eindringlingen unterscheiden“, berichtet der Immunologe der Universität Bonn. Die Forscher stellten fest, dass Listerien im Inneren von Fresszellen winzige Mengen Nukleinsäuren freisetzen. „Damit versuchen die Bakterien offenbar, die Immunantwort in den Zellen abzuschwächen“, sagt Prof. Knolle. Dies funktioniert ganz ähnlich, wie wenn die Funkverbindung bei einer feindlichen Armee gestört wird. Allerdings legen die Bakterien damit unabsichtlich auch eine feine „Duftspur“, die von den zellulären Sensoren „RIG-I“, „MDA5“ und „STING“ im Innern der Fresszellen erkannt werden kann. „Es handelt sich dabei um eine sehr frühe und differenzierte Form der Erkennung, dass es sich um ein lebendes und damit potenziell gefährlicheres Bakterium handelt“, berichtet Dr. Abdullah. Denn tote Listerien würden keine Nukleinsäurespur mehr absondern.

    Ergebnisse bieten Chancen für neue Impfstrategien

    Sind die intrazellulären Sensoren der Fresszellen durch die Bakterien-Nukleinsäuren aktiviert, wird eine Signalkaskade in Gang gesetzt, die zur Produktion von Substanzen führen, die antibakteriell wirken und eine starke Entzündungsreaktion auslösen. Dies führt zur Rekrutierung vieler weiterer Immunzellen mit dem Ziel, die Eindringlinge auszuschalten und eine starke, lang anhaltende Immunität zu etablieren. „Wir haben mit unseren Befunden den molekularen Mechanismus entschlüsselt, wie die Stärke einer Entzündungsreaktion und damit auch die Entstehung von protektiver Immunität gesteuert wird“, sagt Prof. Knolle. „Mit unseren Ergebnissen können wir nun verstehen, warum eine Infektion mit einem lebenden Erreger eine deutlich stärkere und längere Immunantwort auslöst als mit einem toten Eindringling.“ Dieses Wissen sei entscheidend, um neue Impfstrategien zu entwickeln.

    Die Forschungsarbeiten fand im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 670 „Zellautonome Immunität“ und des an der Universität Bonn neu etablierten Exzellenclusters „Immunosensation“ statt. Beteiligt an der Entdeckung waren das Institut für Klinische Chemie und Klinische Pharmakologie der Universität Bonn, die Universität Gießen, die Technische Universität München, die Ludwig-Maximilians-Universität München, das Helmholtz Zentrum München, die McGill University Montreal (Kanada), und das Aichi Institute of Technologie in Japan beteiligt.

    Publikation: RIG-I detects infection with live Listeria by sensing secreted bacterial nucleic acids, EMBO Journal, DOI: 10.1038/emboj.2012.279

    Kontakt:

    Prof. Dr. Percy Knolle
    Direktor des Instituts für Molekulare Medizin und Immunologie
    Tel. 0228/28711050
    E-Mail: pknolle@uni-bonn.de

    Dr. Zeinab Abdullah
    Institut für Molekulare Medizin und Immunologie
    Tel. 0228/28711050
    E-Mail: Zeinab.Abdullah@ukb.uni-bonn.de


    Bilder

    Die Erstautorin der Studie, Dr. Zeinab Abdullah.
    Die Erstautorin der Studie, Dr. Zeinab Abdullah.
    Foto: Volker Lannert/Uni Bonn
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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