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03.12.2012 08:58

Schnelltest zur Schlangenbiss-Diagnose bei Innovationswettbewerb mit dem 1. Preis ausgezeichnet

Dr. Julia Krohmer LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F)
Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen

    Frankfurt am Main, 29. November 2012. Ganz oben auf dem Siegertreppchen landete beim diesjährigen Innovationswettbewerb des Landkreises Göttingen ein neuartiger Schlangengift-Test. Der von Wissenschaftlern des Biotechnologie-Unternehmens miprolab GmbH und des Biodiversität und Klima Forschungszentrums (BiK-F) gemeinsam mit Forschern aus Myanmar entwickelte Schnelltest weist innerhalb von 20 Minuten nach, ob ein Patient von einer bestimmten Schlangenart vergiftet wurde. Vor allem in Entwicklungsländern könnte der Einsatz solcher Tests jährlich hunderttausende Leben retten.

    Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden jährlich fünf Millionen Menschen von Schlangen gebissen. Über 100.000 der Betroffenen sterben, mehr als 300.000 tragen bleibende Schäden davon. Neue Studien lassen jedoch vermuten, dass das wahre Ausmaß des Problems erheblich unterschätzt wird. Demnach erliegen allein in Indien jedes Jahr 46.000 Menschen den Folgen von Schlangenbissen. Kinder sind aufgrund ihres geringeren Körpergewichts besonders häufig betroffen. „Schlangenbiss-Vergiftungen sind unter den so genannten ,Vernachlässigten Tropenkrankheiten’ die am wenigsten beachtete, da sie vor allem die arme Landbevölkerung in Entwicklungsländern betreffen“, so Dr. Ulrich Kuch vom Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F). Als Leiter der Nachwuchsgruppe über ‚Aufkommende und vernachlässigte Tropenkrankheiten‘ gab er mit seiner Arbeit zu den Giftschlangen Südostasiens den Anstoß zur Entwicklung des Tests.

    Grundsätzlich können Schlangenbiss-Vergiftungen sehr gut behandelt werden, oft genügt eine einzige Infusion – wenn man das richtige Gegenmittel hat. Erreicht ein Patient die Klinik, in vielen Ländern per Motorrad-Ambulanz oder auf einer Bahre durch unwegsames Gelände getragen, so müssen ihn die Ärzte zunächst 24 Stunden lang beobachten, um festzustellen, ob sich Symptome einer Vergiftung zeigen. Denn häufig werden Menschen auch von ungiftigen Schlangen gebissen. Außerdem kommt es vor, dass Giftschlangen nur zur Abschreckung beißen, ohne Gift zu injizieren. Erst wenn anhand der Vergiftungserscheinungen auf die Schlangenart rückgeschlossen werden kann, wird das Gegengift (Antiserum) verabreicht – denn die Seren sind zu knapp und teuer, um sie zu verschwenden. Oft hat das Gift in dieser Zeit aber seine zerstörerische Wirkung bereits entfaltet und irreversible Schäden angerichtet: Die enthaltenen Toxine lösen z.B. Haut, Muskeln, Blutgefäße oder Nerven auf und hemmen die Blutgerinnung. Normalerweise töten und verdauen Schlangen auf diese Weise ihre Beute, die am Stück verschlungen wird.

    Mit dem von BiK-F-Wissenschaftlern und der Göttinger miprolab GmbH gemeinsam mit Forschern aus Myanmar entwickelten Schnelltest lässt sich injiziertes Gift in nur 20 Minuten nachweisen: Zwei rote Linien im Sichtfenster zeigen an, dass sich das Gift der gesuchten Schlange im Patientenblut befindet. Die Ärzte benötigen für die Diagnose keine aufwändige Laborinfrastruktur und können das lebensrettende Gegengift sofort verabreichen, ohne kostbare Zeit zu verlieren. „Die Überlebensaussichten der Patienten sind um so höher, je früher die Behandlung beginnt“, so Kuch. „Außerdem sinkt bei früher Behandlung das Risiko, dass das Gift z.B. Muskeln oder die Nieren so weit zerstört, dass Arme oder Beine amputiert werden müssen oder der Patient künftig eine Dialyse braucht.“ Solche bleibenden Schäden sind für Menschen in Entwicklungsländern noch gravierender, da viele Familien dadurch in dauernde Armut abrutschen. Nicht zuletzt entlastet eine schnelle Diagnose auch die ohnehin überfüllten Krankenhäuser, da nicht vergiftete Schlangenbiss-Patienten früher entlassen und solche mit Vergiftung schneller geheilt werden können.

    Ein vergleichbarer Test existiert auf dem Markt bislang nicht. Bisherige Laborverfahren sind aufwändig, teuer und liefern erst nach mehreren Arbeitsschritten ein Ergebnis. Aus diesen Gründen sind sie gerade in Entwicklungsländern nicht in größerem Maßstab anwendbar. Der miprolab-Schnelltest wurde zunächst für eine der in Südostasien häufigsten und gefährlichsten Giftschlangen entwickelt, die Kettenviper. Tests für weitere in der Region relevante Arten sind nun in Arbeit. Der Schnelltest konnte nur in enger Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft entwickelt werden: Während Ulrich Kuch die Kenntnis der Arten, Toxine und der medizinischen Situation in der Zielregion beisteuerte, brachte das miprolab-Team seine bei der Entwicklung von Schnelltests zum Nachweis von Infektionserregern gewonnene Erfahrung und das wirtschaftliche Know-How ein. „Aus einer solchen Idee wird nur dann eine marktfähige Innovation, wenn beide Einrichtungen Hand in Hand arbeiten“, so Privatdozent Dr. Frank Gessler, Geschäftsführer der miprolab GmbH.

    Ulrich Kuch ist Biologe. Er beschränkt sich aber nicht darauf, die Schlangenarten und ihre Verbreitung und Lebensweise zu erforschen, sondern verbringt viel Zeit in den Krankenhäusern und Gesundheitsbehörden Myanmars und weiterer Länder. Er will durch seine Arbeit etwas verändern, und seine Kenntnis der Arten, Gifte und des von ihnen ausgehende Gefährdungspotenzials ist dafür die wissenschaftliche Grundlage. Kuch ist seit seiner Kindheit von Schlangen fasziniert und hat eigene Erfahrungen mit ihren Bissen gesammelt. Um deren Folgen künftig möglichst vielen Menschen zu ersparen, widmet er der Entwicklung neuer lebensrettender Methoden viel Zeit und Kraft. Denn die Zeit drängt: „Der Klimawandel verschiebt Lebensräume und Aktivitätsmuster der Schlangen und treibt sie z.B. bei den immer häufigeren Überschwemmungen aus ihren Verstecken direkt in die Siedlungen der Menschen“, so Kuch. Außerdem dringt der Mensch mit seinen Feldern und Plantagen zunehmend weiter in ehemals unberührte Gegenden vor, wo er dann den Giftschlangen begegnet – mit tödlichen Folgen: „Leider sind es meist die gefährlichsten Arten wie Kobras, Kraits und Kettenvipern, die sich am besten an die vom Menschen veränderte Umwelt anpassen können und denen die Landwirtschaft über steigende Mäuse- und Rattenpopulationen ein Überangebot an Nahrung beschert.“ Die Auszeichnung mit dem Göttinger Innovationspreis ist nun ein weiterer Ansporn für das Team, den lebensrettenden Test schnell auch für weitere Arten verfügbar zu machen.

    Für weitere Informationen kontaktieren Sie bitte:

    Dr. Julia Krohmer
    LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F),
    Transferstelle
    Tel. +49 (0)69 7542 1837
    julia.krohmer@senckenberg.de

    oder
    PD Dr. med. vet. Frank Gessler
    Geschäftsführer miprolab GmbH
    Tel: +49 (0)551 495668-12
    gessler@miprolab.com

    Weitere Pressebilder sind unter http://www.bik-f.de/root/index.php?page_id=32&ID=648&year=0 verfügbar.


    Bilder

    LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F)
    LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F)

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    Die Kettenviper (Daboia siamensis) verursacht in Myanmar jährlich über 1000 Todesfälle. Die Vergiftung durch ihren Biss ist eine der häufigsten Todesursachen der Reisbauern in Myanmar.
    Die Kettenviper (Daboia siamensis) verursacht in Myanmar jährlich über 1000 Todesfälle. Die Vergiftu ...
    Copyright: David A. Warrell
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Kooperationen
    Deutsch


     

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