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27.09.2004 17:00

Positives aus den neuen Bundesländern: Deutlich sinkende Suizidraten seit der Wiedervereinigung

Anke Schlee Pressereferat
Kompetenznetz Depression

    Wie hat sich die Wiedervereinigung mit ihren dramatischen gesellschaftlichen Umwälzungen auf die psychische Gesundheit der Menschen in den neuen Bundesländern ausgewirkt? In manchen Medien wurde der Schluss gezogen, dass die Zahl der psychisch Erkrankten wegen der sozialen Veränderungen und Probleme ansteigen. Nicht berichtet wurde in diesem Zusammenhang über ein erfreuliches Faktum: Die Suizidraten in den neuen Bundesländern zeigten seit der Wiedervereinigung einen in Europa einmaligen deutlichen Rückgang.

    Die Menschen in den neuen Bundesländern mussten seit 1989 dramatische gesellschaftliche Veränderungen bewältigen, die alle Lebensbereiche betrafen. Die Zunahme der Arbeitslosigkeit von null auf 20 Prozent in diesen Jahren ist nur ein Aspekt, die Ängste und Empörung in Verbindung mit "Hartz IV" erklären sich zum Teil aus diesen Erfahrungen. Verstärkt werden diese Emotionen noch durch Medienberichte, die einen Zusammenhang zwischen den Veränderungen in unseren Sozialsystemen und dem vermehrten Auftreten psychischer Erkrankungen und insbesondere Depressionen postulieren. Ausgespart wird in diesen Berichten die erfreuliche Tatsache, dass es in den neuen Bundesländern zu einem deutlichen Rückgang der Suizidraten gekommen ist, trotz des dramatischen Anstiegs der Arbeitslosigkeit. Dieser Rückgang war nicht nur schneller als in den alten Bundesländern, sondern auch schneller als in allen anderen europäischen Ländern. - Wie könnte dieser deutliche Rückgang erklärt werden?

    Suizide erfolgen am häufigsten im Rahmen depressiver Erkrankungen

    Soziologische Modelle wie das von Emile Durkheim postulieren, dass Prozesse, die zu Instabilität und Auflösung sozialer Bindungen führen, die Suizidraten ansteigen lassen. Diese Modelle stimmen jedoch mit tatsächlichen Beobachtungen nicht überein und stehen in krassem Widerspruch zu den Erfahrungen in Ostdeutschland. Suizide erfolgen zu 90 Prozent im Rahmen psychiatrischer Erkrankungen, am häufigsten im Rahmen von Depressionen. Durch eine bessere Behandlung von depressiv erkrankten Menschen kann bei vielen ein Suizidversuch oder ein Suizid verhindert werden. Hierfür sprechen unter anderem die Erfahrungen des "Nürnberger Bündnisses gegen Depression". Durch Kooperation mit Ärzten, Medien, Lehrern, Pfarrern, Altenpflegekräften und zahlreichen anderen an der Versorgung depressiver Menschen beteiligter Partner konnte die Zahl suizidaler Handlungen in Nürnberg um circa 25 Prozent gesenkt werden. Viele Betroffene berichteten in Nürnberg, dass sie durch die begleitende PR-Kampagne den Mut fassen konnten, offener mit ihrer Erkrankung umzugehen und sich professionelle Hilfe zu holen. Denkbar wäre, dass sich nach der Wiedervereinigung auch in Ostdeutschland die Situation depressiv Erkrankter und suizidaler Menschen verbessert hat.

    Im Rahmen der sozialistischen Ideologie hoffte man, dass das Phänomen Suizid im Zuge der Verwirklichung der sozialistischen Gesellschaft verschwinden würde. Als es dann nach der Gründung der DDR nicht zu einer Abnahme, sondern zu einer deutlichen Zunahme der Suizidraten kam, wurden diese nicht mehr in offiziellen Statistiken publiziert. Inzwischen haben die Suizidraten in den östlichen Bundesländern annähernd wieder das niedrigere Niveau der westlichen Bundesländer erreicht.

    Krankenkassen berichten über mehr Diagnosen "Depression", in den Statistiken der Krankenkassen spielen Depressionen als Gründe für stationäre Aufnahmen oder Arbeitsunfähigkeitstage eine zunehmend größere Rolle. Auch dies wurde von einigen Medien mit der Zunahme sozialer Härten und "Hartz IV" in Verbindung gebracht. Die Interpretation dieser Zahlen ist jedoch nicht einfach. So könnte diese Zunahme vor allem Ausdruck der Tatsache sein, dass heute depressive Erkrankungen besser erkannt werden und als solche auch benannt werden. Von manchen Ärzten und Patienten wird bisweilen die Diagnose Depression vermieden und auf unscharfe Krankheitsbezeichnungen wie Burnout Syndrom, Chronisches Ermüdungssyndrom oder Fibromyalgie ausgewichen.

    Kompetenznetz Depression, Suizidalität
    Prof. Dr. Ulrich Hegerl

    Nationales Suizid Präventions Programm
    Prof. Dr. Armin Schmidtke


    Weitere Informationen:

    http://www.kompetenznetz-depression.de
    www.suizidpraevention-deutschland.de


    Bilder

    Suizidraten in Ost- und Westdeutschland
    Suizidraten in Ost- und Westdeutschland

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    Arbeitslosigkeit und Suizidalität in den neuen Bundesländern
    Arbeitslosigkeit und Suizidalität in den neuen Bundesländern

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Psychologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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