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01/07/2008 15:16

Gendefekt verursacht Kleinwuchs

Ute Missel Öffentlichkeitsarbeit (Pressestelle)
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

    Eine internationale Forschungsgruppe unter der Leitung von Dr. Anita Rauch vom Institut für Humangenetik des Universitätsklinikums Erlangen (Direktor: Prof. Dr. André Reis) hat jetzt die Ursache einer ausgeprägten Wachstumsstörung des gesamten Körpers aufgeklärt. Wie die Forscherin in der Fachzeitschrift "Science" (Online Vorabveröffentlichung am 3. Januar 2008) berichtet, liegt bei Betroffenen ein Defekt im Perizentrin-Gen vor. Möglicherweise kann der Gendefekt auch den Fund einer scheinbar neuen Menschenart in Indonesien erklären. Dieser umgangssprachlich "Hobbit" getaufte Homo floresiensis lebte vor 18.000 Jahren auf der Insel Flores. Seine Einstufung als neue Art ist allerdings umstritten.

    Das für den Defekt verantwortliche Perizentrin-Gen ist ein Schlüsselmolekül zur Verankerung der Fäden, an denen die Chromosomen bei der Zellteilung in entgegengesetzter Richtung in die neuen Tochterzellen gezogen werden. Menschen mit diesem genetischen Defekt werden nicht größer als etwa einen Meter und weisen einen relativ kleinen Kopf auf, der dem eines drei Monate alten Kindes vergleichbar ist, sind dabei jedoch intellektuell weitgehend normal. Ausgangspunkt der Forschungsarbeit waren zwei in Franken lebende betroffene Mädchen, die die humangenetische Sprechstunde des Uni-Klinikums Erlangen aufsuchten, um herauszufinden, warum sie nicht wie ihre Altersgenossen wachsen. Mit der finanziellen Unterstützung des Bundesministe­riums für Bildung und Forschung für die Erforschung seltener Erkrankungen konnten die Erlanger Humangenetiker Defekte im Perizentrin-Gen bei insgesamt 25 Betroffenen aus verschiedenen Ländern als ursächlich nachweisen.

    Der erforschte Gen-Defekt könnte auch die Ursache für die als "Hobbits" berühmt gewordenen Miniaturmenschen sein, die vor 18.000 Jahren auf der Indonesischen Insel Flores gelebt haben, vermutet Dr. Rauch. Seit deren Entdeckung vor vier Jahren tobt ein heftiger Streit darüber, ob es sich bei den Hobbits um eine eigene primitive Menschenart oder um moderne Menschen mit einer unbekannten Erkrankung handelt. Die Erlanger Forscher meinen die Lösung des Rätsels gefunden zu haben. Sie vermuten aufgrund der großen Ähnlichkeit mit den jetzt untersuchten Patienten, dass der Körperbau der Floresbewohner durch Perizentrin-Defekte verursacht worden war. "Im Hinblick auf den andauernden Streit um die Natur der menschenartigen Miniaturbewohner der Insel Flores zeigen unsere Erkenntnisse, dass es nicht einer Jahrtausende währenden Evolution Bedarf, um solche Menschen zu erklären", sagt Rauch. "Ein einziger Gendefekt kann ausreichend sein, um einen heutigen Menschen auf das Maß der ,Hobbits" zu schrumpfen und gleichzeitig zahlreiche Anomalien der Knochen hervorzurufen." Der Begriff "Hobbits" geht auf die Zwergmenschen in der Tolkien Trilogie "Herr der Ringe" zurück.

    Neue Erkenntnis ermöglicht sichere Diagnosestellung und bessere Therapie
    Das in der Fachsprache als "MOPD II" bezeichnete Krankheitsbild ist nach dem Düsseldorfer Professor Frank Majewski für mikrozephaler osteodysplastischer primordialer Zwergwuchs Typ II benannt. Menschen mit MOPD II sind auch als Erwachsene selten größer als einen Meter. Dabei ist der Kopfumfang trotz weitgehend normaler Intelligenz mit ca. 40 cm auch für die geringe Körperhöhe relativ klein. Neben zahlreichen Anomalien verschiedener Knochen - unter anderem auch der Hände - leiden Menschen mit MOPD II häufiger an starker Weitsichtigkeit, Übergewicht und Diabetes. Ferner ist ihre Lebenserwartung herabgesetzt, da häufig Anomalien der Blutgefäße im Gehirn vorliegen, die häufig unerkannt zu Schlaganfällen führen. Die Entdeckung des zugrunde liegenden Gendefektes erlaubt nun eine breitere und durch genetische Tests sichere Diagnosestellung, die wiederum hilft, Komplikationen der Erkrankung zu vermeiden. Neben der Vorbeugung der Schlaganfälle ist hier vor allem auch die Gabe von Wachstumshormonen zu vermeiden, die bei Patienten mit MOPD II wahrscheinlich schaden können.

    Auf zellulärere Ebene scheint die durch den Perizentrin-Defekt ausgelöste Störung der Zellteilung zum Untergang vieler Zellen zu führen, die wahrscheinlich einen massiven Zellverlust schon im Embryo und während der gesamten Wachstumsphase zur Folge hat. Obwohl weltweit bisher weniger als 100 Menschen mit MOPD II in der Fachliteratur dokumentiert sind, könnte Perizentrin auch von Bedeutung für die Allgemeinbevölkerung sein. Da die bei MOPD II Patienten nachgewiesenen Defekte das Fehlen des Perizentrin-Proteins zur Folge haben, darüber hinaus aber zahlreiche kleine Varianten innerhalb des Proteins in der Bevölkerung vorkommen, könnten solche kleine Abweichungen in der Funktion für kleinere Unterschiede im Wachstumspotential der Menschen verantwortlich sein.

    Defekte des Zellzyklus führen nicht zwangsläufig zu Gewebeentartung
    Die Verdoppelung und exakte Aufteilung der genetischen Information einer Zelle auf zwei identische Tochterzellen stellt die Grundvoraussetzung für vielzellige höhere Organismen dar. Dieser Prozess ist allerdings sehr anfällig für Fehler und wird deshalb hoch komplex reguliert und überwacht. Defekte dieses Zellzyklus wurden bisher überwiegend mit der Entartung von Gewebe, d. h. mit Krebserkrankungen oder auch mit schwerer Störung der Gehirnentwicklung, also mit geistiger Behinderung in Verbindung gebracht. Die neuen Erkenntnisse der Gruppe um Dr. Anita Rauch zeigen erstmalig, dass der Defekt eines Schlüsselmoleküls der Zellteilung beim Menschen zu einer ausgeprägten generellen Wachstumsstörung führt, ohne dass damit eine Anfälligkeit für Krebs oder eine geistige Behinderung verbunden wäre.

    Betroffene erhalten Informationen in der Humangenetischen Sprechstunde des Uni-Klinikums Erlangen unter Tel.: 09131-85/22319.

    Weitere Informationen für die Medien:

    Johannes Eissing (Pressestelle)
    Tel.: 09131/85-36102
    presse@uk-erlangen.de


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    Criteria of this press release:
    Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
    transregional, national
    Research results
    German


     

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