Menschen können Mengen mit bis zu vier Objekten fehlerfrei schätzen. Wenn es darüber hinaus geht, müssen sie anfangen zu zählen. Diese angeborene Grenze spiegelt sich auch in den Zählsystemen antiker Zivilisationen wider.
„Eins – zwei – drei – vier – viele!“ Wer kleine Kinder hat, weiß, dass Menschen Objekte nur in begrenzter Zahl bestimmen können, wenn ihnen das Zählen nicht möglich ist. Seit 1871 ist auch wissenschaftlich erwiesen, dass der Mensch eine Menge bis maximal vier Objekten stets fehlerfrei schätzen kann. Es war der englische Ökonom William Stanley Jevons, der die entsprechenden Experimente durchführte und die Ergebnisse im Wissenschaftsjournal Nature publizierte.
Jevons benutzte für einen Selbstversuch den folgenden Versuchsaufbau: Er warf schwarze Bohnen in eine weiße Schachtel und schloss sofort die Augen, um reguläres Zählen zu verhindern. Nach über 1000 solchen Versuchen stellte er fest, dass er nur im Fall von ein bis vier Bohnen deren Anzahl richtig schätzen konnte. Ab fünf und mehr Bohnen wurden die Schätzungen immer fehlerhafter, das heißt, die genaue Anzahl von Bohnen konnte ab der Zahl fünf nur durch reguläres Zählen ermittelt werden.
„Diese begrenzte Fähigkeit des Menschen hat schon in früher Zeit Zählsysteme antiker Hochkulturen beeinflusst. Sie ist entscheidend daran beteiligt, dass neue Symbole für Zahlen jenseits der 4 entwickelt wurden“, sagt jetzt Professor Hans Gross, emeritierter Inhaber des Lehrstuhls für Biochemie an der Universität Würzburg. Unter der Überschrift „Give me 5 …“ stellt Gross seine Erkenntnisse in der jüngsten Ausgabe der Fachzeitschrift Communicative & Integrative Biology vor.
Antike Hochkulturen: Bruch zwischen vier und fünf
Tatsache ist: In vielen antiken Hochkulturen gibt es einen auffallenden Bruch in der Schreibweise beim Übergang von der Zahl 4 zur Zahl 5. In der frühesten römischen Antike beispielsweise wurden die Ziffern 1 bis 5 so geschrieben: I, II, III, IIII, V. Später, in der klassischen Periode, änderte sich dann die IIII in eine IV (5 minus 1). Im antiken Südarabien schrieben die Menschen I, II, III, IIII, U. Bei den Maya in Mittelamerika sahen die Zahlen von 1 bis 5 so aus:*, **, ***, ****, I. Frühe Chinesen schrieben I, II, IIII, IIII und X.
„In diesen Hochkulturen mit einem entwickelten Kalender- und Rechnungswesen hat man bewusst oder unbewusst gefühlt oder verstanden, dass Objektzahlen bis 4 ohne zu zählen richtig und fehlerfrei erkannt werden und dass bereits bei fünf Punkten oder Strichen gezählt werden muss. So hat man für die Zahl 5 eigene, neue Zeichen erfunden“, sagt Hans Gross.
Allerdings haben nicht nur Hochkulturen diese Technik verwendet: „Sogar die Wikinger, die sich nur wenig mit Astronomie oder Buchhaltung beschäftigten, schrieben Zahlen in ihren Runenkalendern in vergleichbarer Weise“, sagt Gross. Ein bis vier Punkte entsprachen dort den jeweiligen Zahlen, wohingegen die 5 durch ein > symbolisiert wurde.
Regelmäßige Muster erleichtern das Erkennen
Wie aber sieht das Ganze beispielsweise bei Würfelspielern aus? Die sind doch auch in der Lage, mit nur einem Blick zu erkennen, ob sie eine 5 oder eine 6 gewürfelt haben. „Hier kommt ein anderer Effekt zum tragen: die Mustererkennung“, sagt Gross. Anders als in der Schachtel mit den Bohnen, wo die Objekte jeweils in einem zufälligen Muster angeordnet sind, liegen die Punkte auf dem Würfel immer an der gleichen Stelle. Sie bilden ein regelmäßiges Muster, das jedem Spieler die dahinter stehende Punktezahl verrät, ohne dass er deshalb erst mühselig zählen müsste.
Einen ähnlichen Weg haben die antiken Ägypter für ihr schriftliches Zählsystem gewählt. „Sie haben nicht ab der 5 ein neues Symbol eingeführt. Stattdessen haben sie die Striche jenseits der 4 in bestimmten Mustern angeordnet“, sagt Gross. Drei Stiche oben, zwei darunter standen beispielsweise für die 5. Drei Blöcke mit jeweils drei Strichen ergaben die 9. Erst für die 10 wurde ein neues Symbol eingeführt: ein auf dem Kopf stehende U. „Offensichtlich haben auch die Ägypter erkannt, dass sie einen Weg finden müssen, Zahlen so zu präsentieren, dass diese sich ohne zu zählen auf einen Blick erkennen lassen“, so der Wissenschaftler.
Arabische Zahlen ermöglichen den Fortschritt
Die Probleme mit der 5 und höheren Zahlen verschwanden erst viele Jahrhunderte später – mit der Erfindung der Null im 8. Jahrhundert in Indien und der Einführung der arabischen Ziffern wie wir sie noch heute benutzen zwischen dem 13. und dem 15. Jahrhundert. Beides Entwicklungen, die einen „enormen Zuwachs im Handel und in der Wissenschaft ermöglichten“, wie Hans Gross sagt.
Und trotzdem: Wer will, kann auch heute noch Überbleibsel der antiken Zählweise entdecken. Wenn Menschen Objekte mit Strichlisten zählen, machen sie bis zur Zahl 4 jeweils einen Strich (I, II, III, IIII). Aber statt IIIII für die 5 zu schreiben, streichen sie einfach die IIII mit einem Querstrich durch – und haben damit ein neues Zeichen geschaffen, das ihnen das Abzählen von fünf Strichen erspart.
„Give me 5 … The invention of number five in ancient civilizations”, Hans J. Gross, Communicative & Integrative Biology 4:1, 62-63, doi: 10.4161/cib.4.1.13762
Kontakt: Prof. Dr. Hans J. Gross, T: (0931) 31-84027, E-Mail: hj.gross@biozentrum.uni-wuerzburg.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
fachunabhängig
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.
Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).
Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.
Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).
Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).