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23.01.2012 12:16

Sprecher der drei deutschen Pflegeforschungsverbünde sehen EU-Mindeststandards als Qualitätschance

Jens Müller M.A. Medizinische Fakultät / UKH
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

    Die Sprecher der drei deutschen Pflegeforschungsverbünde sehen in den geplanten EU-Mindeststandards bei den Pflegeberufen als eine Qualitäts-Chance und fordern einen Pflegebildungs-Gipfel in Deutschland. Deshalb setzen sich die Sprecher der drei Pflegeforschungsverbünde Johann Behrens, Stefan Görres und Doris Schaeffer dafür ein, dass die Bundespolitik nicht gegen die EU-Standards kämpft, um sie zu unterbieten.

    In 24 von 27 Mitgliedsstaaten der EU sind 12 Jahre Allgemeinbildung als Zugangsvoraussetzung zur vollen Pflegeausbildung Standard, nur für Assistenz-Berufe in der Pflege genügen in den meisten europäischen Ländern weniger als 12 Jahre Allgemeinbildung. Zu den drei Ländern, in denen dieser Standard nicht gilt, gehört Deutschland. Die EU-Kommission hat eine Neufassung der EU-Richtlinie 2005/35/EG vorgelegt, die die Qualität und Sicherheit der Pflege, die Transparenz der Ausbildungen, die Schlüssigkeit des Berufsrechts und die grenzüberschreitende Mobilität der Mitglieder der Pflegeprofession sichern sollen. Bundespolitiker der Regierungskoalition, aber auch vereinzelt der Opposition haben sich gegen diese Neufassung der EU-Kommission und gegen den europäischen Bildungsstandard gewandt.

    Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) äußerte sein Unverständnis, "weshalb nur noch Abiturienten Pfleger werden dürfen, es kommt viel mehr auf die soziale Kompetenz als auf ein oder zwei Jahre mehr in der Schulzeit an." Die Sprecher der drei deutschen Pflegeforschungsverbünde halten das für eine falsche Alternative: Auch bei psychologischen Psychotherapeuten und vielen anderen Berufen ist soziale Kompetenz entscheidend, ohne dass deshalb für sie eine nur zehnjährige Schulzeit als ausreichend gefordert wird. Gesundheits- und Krankenpfleger/-innen und Altenpfleger/-innen haben in Deutschland eine enorme individuelle Verantwortung bei der Durchführung pflegerischer und therapeutischer Leistungen und Beratungen, die für jeden Einzelfall eines Patienten oder Pflegebedürftigen individuell justiert und beachtet werden müssen. „Pflegefehler sind anders als Fehler in der Teileproduktion oft nicht wieder gut zu machen.“

    Gesundheits- und Krankenpfleger/-innen bedürfen gerade im demographischen Wandel der dreifachen Kompetenz, eigenverantwortlich beraten, die Angemessenheit ihrer Durchführungen eigenverantwortlich beurteilen und Evidence im individuellen Fall aufbauen zu können“. Weiter führen die drei Sprecher, die Professoren Johann Behrens (Universität Halle-Wittenberg), Stefan Görres (Universität Bremen) und Doris Schaeffer (Universität Bielefeld) aus: "Alle diese Tätigkeiten verlangen Sprach- einschließlich weitreichender Fremdsprachenkenntnisse und vertiefte methodische und soziale Kompetenzen, die in Deutschland das Ziel des Abiturs sind." Dass der Gesundheitsminister den Erwerb sozialer Kompetenz und den Besuch der Oberstufe deutscher Schulen gegen einander setze, offenbare eine schlechte Meinung über deutsche allgemeinbildende Schulen.

    Behrens, Görres und Schaeffer sehen viele Länderministerien erheblich weiter als die Bundespolitik: "Wie Ärzte, Juristen, Ingenieure, Psychologen, Pfarrer und Lehrer studieren bereits heute viele Pflege- und Therapieberufe in Deutschland ausbildungsintegrierend an Universitäten. Es handelt sich bei den universitären Studiengängen in keinem einzigen Fall um befristete Modellstudiengänge, sondern um völlig reguläre und akkreditierte Studiengänge."
    Falsch sei auch die Behauptung, mit der Annahme der von der EU-Kommission vorgeschlagenen EU-Richtlinie, die schon heute 24 von 27 EU-Staaten einhielten, gäbe es keinen Weg mehr für deutsche Hauptschüler in die Pflege. In keinem europäischen Land sei dieser Weg völlig versperrt. Nach Meinung der Sprecher der Pflegeforschungsverbünde sollte jeder Hauptschüler, selbst jeder geeignete Hauptschüler ohne Schulabschluss, zwar nicht gleich eine Ausbildung für die Gesundheits- und Krankenpflege, aber eine Ausbildung für die wichtigen Assistenzberufe in der Pflege machen können - wie es überall in der EU möglich ist. "Selbstverständlich können diese Assistentinnen und Assistenten ohne Abitur dann ihr Abitur nachmachen, ihre beruflichen Fähigkeiten dabei anerkennen lassen und sich zu Gesundheits- und Krankenpflegern heranbilden". Bildungswege müssten in Deutschland durchlässiger werden, so wenig durchlässig wie in Deutschland sind sie in fast keinem europäischen Land.

    Deshalb setzen sich die Sprecher der drei Pflegeforschungsverbünde Johann Behrens, Stefan Görres und Doris Schaeffer dafür ein, dass die Bundespolitik nicht gegen die EU-Standards kämpft, um sie zu unterbieten. Vielmehr solle die EU-Richtlinie von der Bundespolitik als eine Chance unterstützt werden, die großen Herausforderungen der Pflege anzugehen, die in der "Agenda Pflegeforschung 2020" aufgeführt sind. In den Krankenhäusern nimmt die Zahl der Gesundheits- und Krankenpfleger seit Jahren ab, während immer mehr Patienten in immer kürzerer Zeit gemäß den wissenschaftlichen Fortschritten zu pflegen sind. In der ambulanten Pflege und generell in der Altenpflege stiegen demographisch bedingt die Anteile der schwer und der schwerst Pflegebedürftigen mit demenziellen Erkrankungen, die alle einen Anspruch auf gute rehabilitative und präventive Pflege haben. Mehr Fachpflegende aus Deutschland suchen sich eine Stelle im Ausland, wo ihre Leistungen in fast jeder Beziehung besser anerkannt seien, als verantwortlich Pflegende aus dem Ausland nach Deutschland kämen. Die schrittweise Anhebung der Allgemeinbildung für verantwortlich Pflegende auf europäisches Niveau sei nur ein Schritt zur Bewältigung der Zukunftsaufgaben der Pflege, aber ein unverzichtbarer.

    Behrens, Görres und Schaeffer fordern einen Pflegebildungs-Gipfel, in dem die gestiegenen Anforderungen an die Pflege, die entsprechenden Qualifikationswege, die Arbeitsbedingungen und die Anerkennung der Pflege von Vertretern der Gesellschaft, der Einrichtungen und vor allem der Sachverständigen und der Pflegebedürftigen erörtert würden. Der Kampf gegen europäische Mindeststandards löse die Probleme der Pflege ebenso wenig wie die Entgegensetzung von sozialer Kompetenz und Allgemeinbildung.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Schule und Wissenschaft, Studium und Lehre
    Deutsch


     

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