Göttinger Wissenschaftler zeigen, dass die Nager nicht geeignet sind, um das Erlernen von Sprache zu erforschen
Die menschliche Sprache ist einzigartig, wir können Dinge und Ideen bezeichnen und sind in der Lage, durch Kombination von Silben und Wörtern unendlich viele Äußerungen zu produzieren. Eine wichtige Voraussetzung für Sprache ist die Fähigkeit, Laute nachzuahmen, also akustische Information abzuspeichern und die eigene Lautgebung daran auszurichten. Kortikale Strukturen im Gehirn spielen dabei eine wichtige Rolle. Während Singvögel und auch einige meereslebende Säugetiere zur Nachahmung von Lauten fähig sind, gibt es bei landlebenden Säugetieren kaum Hinweise auf vokales Lernen – noch nicht einmal bei den uns so nah verwandten Schimpansen, die nur auf ein angeborenes Repertoire an Lauten zurückgreifen können. Um die Grundlagen des vokalen Lernens aufzuklären, gerieten in den letzten Jahren zunehmend Mäuse in den Fokus der Aufmerksamkeit. Sie sind näher mit dem Menschen verwandt als Vögel oder Delfine, vokalisieren viel, und es gibt zahlreiche sogenannte „Mausmodelle“, bei denen gezielt bestimmte Gene manipuliert werden können. Zudem gab es Hinweise darauf, dass Mäuse in gewissem Umfang zum vokalen Lernen befähigt sein könnten. Julia Fischer und Kurt Hammerschmidt vom Deutschen Primatenzentrum in Göttingen haben gemeinsam mit Kollegen vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie jedoch in ihrer jetzt veröffentlichten Studie gezeigt, dass Mäuse kein gutes Modell zur Erforschung von Sprache sind: Tiere, die aufgrund eines Gendefekts keine Großhirnrinde besitzen, unterscheiden sich in ihren Lautäußerungen nicht von gesunden Mäusen. Ihre Lautäußerungen werden also in evolutionär alten Hirnbereichen kontrolliert und sind nicht auf kortikale Verarbeitung angewiesen (Scientific Reports).
Eine der größten Fragen der menschlichen Evolution ist die Entstehung der Sprache. Wir können Wörter nachahmen und lernen, sie auf bestimmte Weise situationsgerecht zu gebrauchen. Dazu sind höhere Hirnfunktionen notwendig, die in der Großhirnrinde angesiedelt sind. Es gibt zahlreiche Studien an Singvögeln, Fledermäusen und zunehmend auch an Mäusen, die sich mit den Grundlagen des vokalen Lernens beschäftigen. Allerdings sind gerade die Studien an Mäusen widersprüchlich: Es war bislang umstritten, ob Mäuse überhaupt in der Lage sind, ihre Lautäußerungen aufgrund von Nachahmung oder Lernen zu verändern. Julia Fischer und Kurt Hammerschmidt vom Deutschen Primatenzentrum haben daher zusammen mit Gregor Eichele und Gabriela Whelan vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie die Ultraschall-Laute von Mäusen untersucht, die aufgrund eines Gendefekts kein Großhirn besitzen und diese mit den Lauten der Wurfgeschwister mit normalem Gehirn verglichen.
Die Forscher konzentrierten sich auf zwei charakteristische Lautäußerungen der Mäuse. Zum einen waren dies die sogenannten Isolationsrufe, die junge Mäuse ausstoßen, wenn sie von der Mutter getrennt werden. Da schon neun Tage alte Mäuse diese Rufe produzieren, obwohl sie zu der Zeit noch gar nicht hören können, waren Fischer und ihre Kollegen nicht überrascht, dass sich die Rufe der Mäuse ohne Großhirn nicht von denen der normalen Mäuse unterschieden. Anders sah die Situation bei den älteren männlichen Mäusen aus, die bei der Werbung um Weibchen bestimmte Ultraschall-Laute produzieren. Dass sich auch hier weder die Häufigkeit der Rufe noch die akustische Qualität von Mäusen mit und ohne Großhirnrinde unterschieden, hatten die Wissenschaftler so nicht erwartet.
„Die Lautäußerungen der Mäuse werden offensichtlich von evolutiv älteren Hirnbereichen kontrolliert“, sagt Julia Fischer, Leiterin der Abteilung Kognitive Ethologie am Deutschen Primatenzentrum. Das Großhirn ist anders als beim Menschen nicht notwendig für die stimmliche Kommunikation der Mäuse. „Mäuse sind daher weniger gut geeignet, um die Mechanismen des Erlernens von Sprache zu erforschen“, so das Fazit der Wissenschaftlerin. Allerdings seien sie dennoch wertvolle Modelle, um die genetischen Grundlagen von Sozialverhalten besser zu verstehen.
Originalveröffentlichung
Hammerschmidt, K., Whelan, G., Eichele, G. & Fischer, J. Mice lacking the cerebral cortex develop normal song: Insights into the foundations of vocal learning. Sci. Rep. 5, 8808, DOI:10.1038/srep08808 (2015).
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Mausgesänge.
Abbildung: Kurt Hammerschmidt
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Prof. Dr. Julia Fischer
Foto: Oliver Möst
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
Biologie, Sprache / Literatur
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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