idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
04.03.2019 17:00

Auftreten der ersten Tiere wahrscheinlich später als bisher vermutet

Dr. Eberhard Fritz Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Biogeochemie

    Wann genau die ersten Tiere die Erde besiedelten, war lange unsicher. Die bisherigen Erkenntnisse, basierend auf Fossilien, spezifischen Biomarker-Molekülen und genetischen Analysen, waren zu widersprüchlich. Dr. Christian Hallmann und Dr. Benjamin Nettersheim vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie machten nun zusammen mit internationalen Kollegen eine Entdeckung, die ein zusammenhängendes Bild ergibt. Sie fanden starke Hinweise dafür, dass sich Schwämme, die erdgeschichtlich zu den frühesten Vertretern des Tierreichs gehören, erst deutlich später entwickelten als bislang vermutet wurde.

    Tiere sind die am weitesten entwickelten Lebensformen auf unserem Planeten. Sie existieren erst seit einigen hundert Millionen Jahren, also seit weniger als einem Fünftel der gesamten Erdgeschichte. Davor waren die Ozeane ausschließlich mit Mikroorganismen wie Bakterien und Mikroalgen besiedelt. Wann und wie die ersten tierischen Organismen entstanden, sind zentrale Fragen in der naturwissenschaftlichen Forschung.

    Bereits im Jahr 2009 fanden Forscher in 645 Millionen Jahre alten Gesteinen altertümliche Fettmole-küle, die vermutlich aus Meeresschwämmen stammten. Da Schwämme zu den ältesten und einfachsten Vertretern der Tierwelt gehören, bedeutete dieser Fund, dass es sich um die ältesten Nachweise tierischer Organismen handeln könnte. Dr. Benjamin Nettersheim, Erstautor einer neuen Studie, die heute im Fachjournal Nature Ecology & Evolution veröffentlicht wurde, ist anderer Meinung: „Die ersten eindeutigen Versteinerungen ganzer Schwämme sind 100 Millionen Jahre jünger als die vermeintlichen Schwamm-Moleküle. Diese zeitliche Lücke ist einfach zu groß.“ begründet er seine Zweifel, die er vor kurzem bereits in einem News-Artikel in derselben Zeitschrift beschrieben hatte.

    Ein Team um Gruppenleiter Dr. Christian Hallmann und Dr. Nettersheim, beide vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena, konnte nun die besagten Fettmoleküle überraschenderweise auch in räuberischen Algen nachweisen. Rhizaria, so der Gruppenname dieser einzelligen Algen, sind erdgeschichtlich sehr alt. Ihre Vorfahren reichen 770 Millionen Jahre zurück, sie sind also viel älter als die Schwamm-Fossilien. Die Wissenschaftler vermuten daher, dass Rhizaria, und nicht Schwämme, die Quelle für die bereits 2009 entdeckten Fettmoleküle in den uralten Gesteinen sind. Ein weiterer Grund kommt hinzu: „Wenn Schwämme der Ursprung der alten Fettmoleküle wären, so hätten sie gehäuft und so ziemlich überall vorkommen müssen, auch in Sauerstoff-armen Gewässern, in denen die am Meeresboden heimischen Schwämme kaum überleben.“ bezweifelt Dr. Nettersheim.

    Die neuen Ergebnisse klären auch frühere Widersprüche. „Generell gab es drei verschieden Beweislinien für das Auftreten der ersten Tiere", sagt Dr. Nettersheim, "sie alle ergaben unterschiedliche Zeiten und wir wussten nicht, welcher wir vertrauen sollten". Eine Methode um herauszufinden, wann ein Organismus in der Erdgeschichte erstmalig auftrat, vergleicht dessen genetische Unterschiede mit modernen Vertretern derselben Art. Dadurch kann die Evolutionsdauer ermittelt werden. „Bei diesen sogenannten molekularen Uhren ist jedoch die Kalibrierung problematisch, was eine große Unsicherheit bei der zeitlichen Abschätzung mit sich bringt, in unserem Fall eine Zeitspanne von vor 1300 bis 615 Millionen Jahren.“ erklärt Nettersheim weiter. Die zweite Beweislinie stützt sich auf die vermeintlich von Schwämmen stammenden Fettmoleküle in den 645 Millionen Jahre alten Gesteinsproben; die dritte Beweislinie beruft sich auf die konkret gesicherten, aber noch jüngeren Fossilien der Schwämme.

    Mit der neuen Erkenntnis, dass die Fettmoleküle ihren Ursprung wohl eher in Rhizaria haben als in den Schwämmen, entfällt die zweite Beweislinie. Die ältesten Tiervorfahren werden daher auf etwa 560 Millionen Jahre datiert. Unterstützt wird dies durch eine weitere unabhängige Tatsache: Aus derselben Zeit entstammen auch die ältesten Fossilien der Ediacara-Fauna. In einigen dieser großen und komplexen Fossilien konnten Forscher, darunter auch Mitglieder der Hallmann-Gruppe, vor kurzem Reste von Cholesterol-Molekülen nachweisen. Cholesterole sind Moleküle, die charakteristischerweise von Tieren produziert werden.

    „Geologisch gesehen liegt unsere Datierung unmittelbar vor dem Beginn der kambrischen Explosion komplexer Lebensformen vor 540–550 Millionen Jahren. Wir bekommen damit erstmals eine zusammenhängende Abfolge von Ereignissen in der Entwicklung der ersten Tiere und deren weitere Evolution und Ausbreitung.“ sagt Dr. Hallmann. Anhand der korrigierten Zeitachse können die Wissenschaftler nun beginnen, die Umweltbedingungen an diesem so wichtigen evolutionären Übergang zu entschlüsseln, der die Grundlage für das gesamte komplexe moderne Leben bildet.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Benjamin Nettersheim
    E-Mail: bnett@bgc-jena.mpg.de

    Dr. Christian Hallmann
    Max-Planck-Forschungsgruppenleiter
    Tel: +49 (0)421 218 65 820
    Mobil: +49 (0)176 6383 5284
    E-Mail: challmann@bgc-jena.mpg.de


    Originalpublikation:

    Nettersheim, B.J. et al. (2019) Putative sponge biomarkers in Rhizaria question an early rise of animals. Nature Ecology & Evolution, http://dx.doi.org/10.1038/s41559-019-0806-5.

    Zusätzliche Informationen:
    Nettersheim, B.J. and Botting, J.P. (2018) Searching for sponge origins. Nature Ecology & Evolution 2: 1685–1686, https://doi.org/10.1038/s41559-018-0702-4.


    Weitere Informationen:

    http://dx.doi.org/10.1038/s41559-019-0806-5 Original-Veröffentlichung
    https://doi.org/10.1038/s41559-018-0702-4 Zusätzliche Informationen


    Bilder

    Einzellige Rhizaria-Alge
    Einzellige Rhizaria-Alge
    Foto: Fabrice Not
    None


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, jedermann
    Biologie, Geowissenschaften, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Einzellige Rhizaria-Alge


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).