idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
30.01.2020 17:36

Lichtempfindliche Lamina-Neurone helfen dem Auge von Fruchtfliegen bei rasch einsetzender Dunkelheit

Petra Giegerich Kommunikation und Presse
Johannes Gutenberg-Universität Mainz

    Lichtintensitätssensitive Neurone im visuellen System sind notwendig, um bei plötzlich schwächeren Lichtverhältnissen oder Wechsel zu Schatten korrekt zu sehen und angemessen zu reagieren

    Das Sehen beruht ganz wesentlich auf der Wahrnehmung von Kontrasten. Wenn sich die Lichtverhältnisse ändern, braucht das Auge dann eine gewisse Zeit, um sich anzupassen und die Kontraste wieder zu erkennen. Diese Abläufe sind relativ gut erforscht. Nun haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) bei der Fruchtfliege Drosophila melanogaster eine Funktion entdeckt, die das Verständnis von der visuellen Wahrnehmung erweitert. Die Ergebnisse erklären, weshalb das Auge auch bei plötzlich veränderten Lichtverhältnissen Kontraste korrekt einschätzen kann. „Dazu verfügen Fruchtfliegen in ihrem visuellen System über Nervenzellen, die auf Lichtintensität reagieren. Diese Nervenzellen sind notwendig, damit die Fliegen ihr Verhalten anpassen können, wenn sich Lichtreize dynamisch ändern“, erklärt Prof. Dr. Marion Silies, Leiterin der Studie an der JGU.

    Die sensorischen Systeme von Lebewesen haben sich so entwickelt, dass sie eher Veränderungen zur Kenntnis nehmen als absolute Faktoren. „Zum Beispiel wird eine Halskette im Lauf des Tages gar nicht mehr wahrgenommen, aber wir spüren es sofort, wenn sich ein Insekt auf unserer Haut niederlässt“, erläutert Silies. Auch die Sehsysteme sind flexibel und dafür ausgelegt, auf Veränderungen in der Umgebung zu reagieren. Viele Nervenzellen sprechen dabei auf Kontraste an und weniger auf die Lichtintensität selbst. Daher gibt es viele Tiere, deren Sehsysteme in der Abend- oder Morgendämmerung, bei Tageslicht oder bei sich schnell verändernder Umgebung gut funktionieren.

    Eine Schlüsselrolle spielt bei Wirbeltieren wie auch bei Wirbellosen die Leistung der Photorezeptoren in der Netzhaut. Sie stellen sicher, dass der Kontrast unabhängig von der Hintergrundbeleuchtung ermittelt wird. Diese retinale Adaption reicht allerdings nicht aus, um plötzliche Veränderungen zu erklären, wie sie beispielsweise bei einer schnellen Eigenbewegung stattfinden oder wenn der Blick einem Objekt vom hellen Sonnenlicht in den Schatten folgt. Dann ändert sich die Hintergrundhelligkeit in Millisekunden.

    Kontrastsensitive Lamina-Neurone alleine unzureichend – Lichtintensität als korrigierendes Signal

    Die Neurobiologinnen und Neurobiologen um Marion Silies haben sich bei ihren Studien mit Drosophila auf die Abläufe konzentriert, die direkt im Anschluss an die Photorezeptoren im Nervensystem stattfinden. Sie schauten sich insbesondere die Wege über die Lamina-Neurone an, die darauf spezialisiert sind, eine Verstärkung oder eine Verringerung von Kontrasten festzustellen. „Wir haben hier im visuellen System von Drosophila einen Zelltyp charakterisiert, der sensitiv für Lichtintensität ist . Kontrastsensitive neuronale Antworten alleine genügen nicht, um bei sich verändernden visuellen Stimuli eine Verhaltensantwort auszulösen“, schreiben die Autoren in einem Beitrag für das Fachjournal Current Biology. Erstautorin Madhura Ketkar erklärt dazu. „Wir zeigen, dass Lichtintensität ein korrigierendes Signal ist, das eingreift, wenn es plötzlich dunkel wird. Das heißt also, die Information über die Lichtintensität ist notwendig, um dann den Kontrast richtig zu erkennen.“ Bisher ging die Fachwelt davon aus, dass der relative Kontrast, wie er über andere Lamina-Neurone vermittelt wird, ausreicht, um bei schnellen Veränderungen der Lichtverhältnisse noch präzise zu sehen, beispielsweise wenn ein Fußball vom Licht in den Schatten fliegt.

    Lamina-Neurone L3 sind helligkeitssensitiv und besonders aktiv bei schwachem Licht

    Der Nachweis gelang den Neurobiologen durch Messung der Kalzium-Signale in den Nervenzellen mithilfe der Zwei-Photonen-Mikroskopie. Damit lässt sich die Aktivität von einzelnen Nervenzellen in lebenden Fruchtfliegen ermitteln. „Bei unseren Messungen konnten wir feststellen, dass es Zellen gibt, die auf Lichtintensität und nicht auf Kontrast reagieren, “ so Silies. Diese Ergebnisse wurden dann durch Verhaltensexperimente untermauert, bei denen Fliegen auf einem kleinen luftgepolsterten Ball vor einem sich dynamisch verändernden Hintergrund laufen. „Wir konnten auch eindeutig zeigen, dass diese luminanzsensitiven Zellen notwendig sind, damit die Fliege reagieren kann, wenn der Hintergrund schnell dunkel wird“, führt Marion Silies aus. Fehlen diese Lamina-Neurone L3, bleibt die angemessene Verhaltensantwort aus.

    Die Arbeit zeigt damit einen neuen Mechanismus auf, der eine korrekte Bildverarbeitung bei sich dynamisch verändernden Lichtverhältnissen beschreibt. Kontrastsensitivität alleine genügt nicht, um die Verhaltensreaktionen auf visuelle Stimuli zu erklären. Lichtintensität, das primäre Eingangssignal für das visuelle System, ist unbedingt zusätzlich notwendig, um Bewegungen korrekt zu steuern, so das Fazit der Forscherinnen und Forscher. Sie nehmen an, dass es sich hierbei um eine generelle Strategie der visuellen Verarbeitung handelt, die das menschliche Auge wahrscheinlich ebenfalls verwendet.

    Marion Silies ist seit 2019 Professorin für Neuroentwicklungsbiologie am Fachbereich Biologie und Fellow des Gutenberg Forschungskollegs der JGU.

    Bildmaterial:
    https://download.uni-mainz.de/presse/10_idn_visuelle_wahrnehmung_l3_neuron_01.jp...
    Eine Fruchtfliege läuft im Verhaltensexperiment auf einem luftgepolsterten Ball.
    Foto/©: Madhura Ketkar, AG Silies

    https://download.uni-mainz.de/presse/10_idn_visuelle_wahrnehmung_l3_neuron_02.jp...
    Lichtintensitätssensitive L3-Zellen (grün) im Gehirn der Fliege
    Foto/©: Marion Silies

    https://download.uni-mainz.de/presse/10_idn_visuelle_wahrnehmung_l3_neuron_03.jp...
    Visuelle Systeme müssen bei sich dynamisch verändernden Bedingungen funktionieren, wie zum Beispiel hier das Sehsystem der Fliege zur Erkennung eines Fressfeindes im Schatten.
    Abb./©: Katja Sporar, AG Silies

    Weiterführende Links:
    https://www.gfk.uni-mainz.de/prof-dr-marion-silies/ - GFK-Fellow Prof. Dr. Marion Silies

    Lesen Sie mehr:
    https://www.magazin.uni-mainz.de/10771_DEU_HTML.php - Beitrag über Marion Silies im JGU-Magazin


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Marion Silies
    Institut für Entwicklungsbiologie und Neurobiologie (IDN)
    Johannes Gutenberg-Universität Mainz
    55099 Mainz
    Tel. +49 6131 39-28966
    Fax +49 6131 39-28604
    E-Mail: msilies@uni-mainz.de
    https://idn.biologie.uni-mainz.de/prof-dr-marion-silies/


    Originalpublikation:

    Madhura D. Ketkar et al.
    Luminance Information Is Required for the Accurate Estimation of Contrast in Rapidly Changing Visual Contexts
    Current Biology, 30. Januar 2020
    DOI: 10.1016/j.cub.2019.12.038
    https://www.cell.com/current-biology/fulltext/S0960-9822(19)31671-9


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
    Biologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).