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11.12.2006 10:46

Krebsfrüherkennung ist kein Weg, Kosten zu sparen

Marga Cox Geschäftsstelle
Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V.

    Stellen Sie sich vor, Sie erkranken an Krebs. Und zur Strafe werden Sie dann noch mit einer höheren Zuzahlung belegt. Auf diese Bestrafung laufen die aktuellen Pläne der Bundesregierung hinaus, Patienten bei Auftreten einer Krebserkrankung die Ermäßigung der Zuzahlung zu verweigern, wenn sie nicht an der entsprechenden Krebsfrüherkennung teilgenommen haben (§ 62 GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz).

    Das DNEbM lehnt diese Regelung aus folgenden Gründen entschieden ab:
    - Die Entscheidung für oder gegen eine Krebsfrüherkennungs-untersuchung erfordert eine individuelle, ergebnisoffene Abwägung von Nutzen und Schaden. Die Entscheidung für oder gegen eine medizinische Maßnahme muss frei bleiben. Eine Bestrafung bei Nicht-Teilnahme ist mit dem Prinzip der Eigenverantwortung und Autonomie der Bürgerinnen und Bürger unvereinbar.

    - Die Wahrscheinlichkeit, als Einzelner von der Früherkennung zu profitieren, ist eher gering. So erspart die Teilnahme am Früherkennungsprogramm für Brustkrebs innerhalb von 10 Jahren etwa einer von 1.000 Teilnehmerinnen den Tod an Brustkrebs. Mit einem Verdachtsbefund müssen innerhalb von 10 Jahren jedoch 200 Frauen rechnen. Dieser Verdachtsbefund erfordert eine weiter-gehende Abklärung bis hin zu operativen Eingriffen[1]. Die Bundesregierung unterschätzt ganz offensichtlich, dass die Teilnahme an der Krebsfrüherkennung für eine erhebliche Anzahl von Personen mit Belästigungen und Risiken verbunden ist.
    - Nicht-Teilnahme an der Krebsfrüherkennung hat für die Versicherten-gemeinschaft keine nachteiligen Folgen. Es gibt keine ausreichenden Nachweise dafür, dass die Teilnahme an einem Krebsfrüherkennungsprogramm Kosten erspart.
    - Krebstherapien können sehr teuer sein. Die Regelung würde ausge-rechnet diejenigen finanziell bestrafen, die wegen Ihrer Krankheit ganz besonders der Solidarität bedürfen.

    Erläuterung:
    Krebsfrüherkennungsprogramme zielen auf die Senkung der Sterblichkeit an der jeweiligen Krebsart. Bislang gibt es nur für drei Methoden einen Nachweis, dass sie die krebsartbezogene Sterblichkeit tatsächlich senken können. Das sind die Mammographie zur Früherkennung von Brustkrebs, der Okkultbluttest für die Früherkennung von Dickdarmkrebs und - mit Einschränkung - der "PAP"-Abstrich für die Früherkennung von Gebär-mutterhalskrebs. Aber auch für diese Methoden gilt, dass aus Sicht der Teilnehmer nur wenige von 1000 durch Früherkennung einen Krebstod vermeiden können. Zum Beispiel lässt sich abschätzen, dass von 1.000 Frauen, die 10 Jahre lang an der Mammographie zur Brustkrebs-früherkennung beteiligen, etwa einer Frau der Tod an Brustkrebs erspart bleibt.

    Jedem Teilnehmer der Krebsfrüherkennungsprogramme, der diesen Nutzen hat, steht jedoch eine zumeist weitaus größere Zahl von Teilnehmern gegenüber, die einen Schaden erleiden.

    Direkte Schäden entstehen durch die Untersuchung selbst, zum Beispiel durch Röntgenstrahlung oder durch Darmspiegelung. Im deutschen Koloskopie-Programm kam es in 2 bis 7 Fällen von 10.000 Spiegelungen zu Verletzung bis hin zu Durchstoßungen der Darmwand, die einen Krankenhausaufenthalt notwendig machten [2]. Die Wahrscheinlichkeit für solche direkten Schäden ist für den Einzelnen zwar zumeist gering, für denjenigen, der davon betroffen ist, handelt es sich jedoch um ein gravierendes Ereignis. Die möglichen direkten Schäden dürfen daher bei der Aufklärung nicht verschwiegen oder verharmlost werden.

    Wesentlich größere Tragweite haben zumeist die indirekten Risiken, die sich aus dem Befund der Untersuchung ergeben. Dazu gehören vor allem falsch-positive Befunde (Verdachtsbefunde), die eine Abklärung mit weiteren Verfahren erfordern, die ihrerseits zu Belastungen und Schäden führen können. Besonders schwerwiegend ist, dass durch Früherkennung auch Tumore entdeckt werden, die zwar bösartig erscheinen, die aber im weiteren Leben nie auffällig geworden wären. Solche Diagnosen ohne Krankheitswert nennt man Überdiagnosen. Weil diese Tumore fälschlicherweise als gefährlich beurteilt werden, führen sie zu risikobehafteter Übertherapie bis hin zu Operation, Bestrahlung und Chemotherapie. Bei der Brustkrebsfrüherkennung durch Mammographie schätzen Fachleute, dass sich unter zehn gefundenen Tumoren eine bis fünf solcher Überdiagnosen befindet [3,4].

    Dieser Sachverhalt darf Teilnehmern und Teilnehmerinnen an einem Früherkennungsprogramm nicht verschwiegen werden. Angesichts der Tragweite einer wertlosen, nur belastenden Krebsdiagnose, muss eine freie Entscheidung gegen die Untersuchung gewährleistet bleiben.

    Das Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin (DNEbM e.V.) wurde im Jahr 2000 gegründet. Mitglieder sind Ärzte und Wissenschaftler zahlreicher Fach- und Forschungsrichtungen, die Konzepte und Methoden der evidenzbasierten Medizin (EbM) in klinischer Praxis, Lehre und Forschung anwenden und weiter entwickeln. Zur evidenzbasierten Medizin gehört, Vor- und Nachteile medizinischer Verfahren unvoreingenommen zu recherchieren und Ärzte und Patienten objektiv zu informierten. Mehr unter: www.ebm-netzwerk.de.

    Ansprechpartner:
    Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e. V.
    - Fachbereich Patienteninformation und Patientenbeteiligung -
    Prof. Dr. med. David Klemperer
    Obere Regenstraße 31
    93059 Regensburg
    Tel.: 0941-4092971 * Fax: 0941-4092969
    klemperer@klemperer.info

    [1] Klemperer D. Lang B. Tücken der Statistik. STERN 16.3.2006
    http://kurse.fh-regensburg.de/kurs_20/kursdateien/alle/stern10.pdf

    [2] Stiftung Warentest. Untersuchungen zur Früherkennung Krebs. 2005, S. 109
    [3] Zackrisson S, Andersson I.BMJ, Janzon L, Manjer J, Garne JP. Rate of over-
    diagnosis of breast cancer 15 years after end of Malmö mammographic
    screening trial: follow-up study BMJ 2006;332: 689-92. (25 March.) doi:
    10.1136/bmj.38764.572569.7C (published 3 March 2006).
    http://www.bmj.com/cgi/content/abstract/332/7543/689
    [4] Zahl PH, Strand BH, Mæhlen J. Breast cancer incidence in Norway and Sweden
    during introduction of nation-wide screening: a prospective cohort study.
    BMJ 2004;328: 921-4 http://www.bmj.com/cgi/content/abstract/328/7445/921


    Weitere Informationen:

    http://www.ebm-netzwerk.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Medizin, Politik, Recht
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

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