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14.08.2007 16:17

Bausteine des Gedächtnis

Dr. Stefanie Merker Presse und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Neurobiologie

    Nervenzellen brauchen bis zu 24 Stunden, bevor sie über eine neue Kontaktstelle auch tatsächlich Informationen austauschen.

    Neue Dinge zu lernen, Erfahrungen zu speichern und sich an neue Umstände anzupassen - diese Eigenschaften des Gehirns ermöglichen nicht nur uns das tägliche Überleben. Erreicht wird diese besondere Flexibilität unter anderem dadurch, dass Nervenzellen ständig neue Verbindungen auf- oder wieder abbauen. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie konnten jetzt erstmals zeigen, dass Nervenzellen zwar nach einer Anregung innerhalb von wenigen Minuten gezielt Verbindungen zu ihren Nachbarzellen aufbauen. Die Übertragung von Informationen über diese Verbindungen ist jedoch erst nach mehreren Stunden möglich. Journal of Neuroscience Juli 2007

    "Streng deine grauen Zellen etwas an!" - Wer hat das nicht schon einmal gehört, zum Beispiel beim Versuch, einen schwierigen Zusammenhang zu begreifen? Erst vor kurzem fanden Forscher heraus, dass dies gar nicht so abwegig ist. Denn wann immer wir etwas lernen, egal wie kompliziert es ist, bilden unsere "grauen Zellen", die Neuronen, neue Kontakte zu ihren Nachbarzellen aus. Wird das Gelernte behalten, so werden aus diesen Kontaktstellen langfristige Verbindungen. Doch in welchem Zeitrahmen entstehen diese Verbindungen? Ist die Übertragung von Informationen sofort nach dem Kontakt zwischen zwei Nervenzellen möglich? Und was passiert im Gehirn, wenn neu Gelerntes alte Informationen verdrängt, wie beispielsweise beim Erlernen einer zweiten Fremdsprache die Kenntnisse der ersten verblassen können? Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Neurobiologie sind den Antworten auf diese Fragen jetzt dicht auf der Spur.

    In Zusammenarbeit mit Kollegen aus Zürich untersuchen die Wissenschaftler den Zusammenhang zwischen dem Auswachsen der Zellverbindungen, den sogenannten "Dornen", und dem Entstehen der funktionsfähigen Informationsübertragungsstellen, den Synapsen. Hierfür haben sich die Neurobiologen auf Nervenzellen des Hippocampus konzentriert, denn dieser Hirnbereich ist für Lernprozesse und Gedächtnisfunktionen besonders wichtig. Um eine Reaktion der Nervenzellen gezielt herbeizuführen, stimulierten sie einen Verbund von Neuronen durch einen kurzen, hochfrequenten Stromimpuls. Es ist bekannt, dass Nervenzellen auf solch eine Stimulation mit einer Verstärkung ihrer Verbindungen durch Ausbildung neuer Dornen reagieren - ähnlich wie es auch bei Lernprozessen geschieht. Die entscheidende Frage, ob und wann diese neuen Strukturen tatsächlich funktionelle Synapsen darstellen und zum Gedächtnis beitragen können, war bisher jedoch unbeantwortet.

    Um das Auswachsen von Dornen verfolgen zu können, wurden die Zellen im nahen Umkreis der stimulierten Stelle mit einem hochauflösenden Zwei-Photonen-Mikroskop im Zeitrafferverfahren betrachtet. Im Anschluss benutzten die Wissenschaftler ein Elektronenmikroskop, um zu überprüfen, ob die Veränderungen in der Verästelung der Nervenzellen tatsächlich zur Entstehung neuer Synapsen geführt haben. Die so beobachteten Veränderungen und deren Dynamik überraschten die Wissenschaftler. Innerhalb von wenigen Minuten nach dem Stromimpuls beginnen die angeregten Nervenzellen neue Fortsätze zu bilden. Diese zunächst noch dünnen Dornen wachsen nicht zufällig, sondern ganz gezielt auf mögliche Kontaktpartner zu. Doch anscheinend gilt für diese kleinsten Strukturen das Motto "gut Ding will Weile haben". Denn innerhalb der ersten acht Stunden können noch über keinen dieser neu entstandenen Zellkontakte Informationen ausgetauscht werden. Erst in den darauf folgenden Stunden entscheidet sich, ob eine Verbindung bestehen bleibt oder sich zurückbildet. Die Kontakte, die auch nach 24 Stunden noch vorhanden sind, besitzen voll funktionsfähige Synapsen zur Informationsübertragung und haben eine gute Chance, auch nach mehreren Tagen noch zu existieren.

    Neben der Aufklärung dieser zeitlichen Zusammenhänge konnten die Wissenschaftler auch andere spannende Beobachtungen machen. Wenn ein neu auswachsender Dorn an eine Kontaktstelle andockte, die bereits eine andere Verbindung eingegangen war, so war die Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass die neue Verbindung die alte verdrängte. "Wir wissen noch nicht genau, was dies bedeutet" sagt Valentin Nägerl vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie, "doch diese Beobachtung könnte zum Beispiel damit zusammenhängen, dass man alte Dinge vergisst, wenn Neues gelernt wird." Da einmal Gelerntes jedoch leichter wieder erlernt werden kann als ganz neue Dinge, könnte es auch sein, dass die verdrängten Verbindungen nicht ganz gelöscht werden, sondern bei erneutem Bedarf leichter wieder auswachsen. An der Klärung dieser Frage und wie sich zum Beispiel wiederholte Lernimpulse auf die Ausbildung und Lebenserwartung von Synapsen auswirken, daran arbeiten die Wissenschaftler bereits. So fügt sich unser Bild über die Mechanismen des Lernen und Gedächtnisses Schritt für Schritt zusammen - und die Wahrscheinlichkeit ist recht hoch, dass auch bei Ihnen jetzt ein paar Nervenzellen neue Kontakte geknüpft haben.


    Weitere Informationen:

    http://www.neuro.mpg.de - pdf Version und ähnliche Arbeiten am Institut


    Bilder

    Innerhalb weniger Minuten nach einem Lernimpuls entsteht gezielt ein neuer Kontakt zwischen zwei Nervenzellen. Informationen können jedoch erst nach ca. einem Tag ausgetauscht werden. Breits bestehende Kontakte werden mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die neue Verbindung verdrängt.
    Innerhalb weniger Minuten nach einem Lernimpuls entsteht gezielt ein neuer Kontakt zwischen zwei Ner ...
    MPI für Neurobiologie, nur im Zusammenhang mit dieser Pressemitteilung zu verwenden.
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Chemie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Informationstechnik, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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