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01.09.2008 17:07

Zur aktuellen Diskussion über eine mögliche gesundheitliche Gefährdung durch Bisphenol A

Beratungskommission der Gesellschaft für Toxikologie e.V. Pressereferat
IfADo - Institut für Arbeitsphysiologie an der Universität Dortmund

    In der aktuellen öffentlichen Debatte wurde die Frage aufgeworfen, ob bei der Verwendung üblicher Babyflaschen aus Kunststoff mit gesundheitlichen Schäden durch Bisphenol A gerechnet werden muss (z.B.: "Bisphenol A, Krach um die Nuckelflaschen", Süddeutsche Zeitung vom 05.08.2008; Pressemitteilung der Universität Würzburg vom 06.08.2008, "Alltagschemikalie Bisphenol A in Babyflaschen"). Die Beratungskommission der GT nimmt hierzu wie folgt Stellung: Entscheidend für die Risikobewertung im Falle des Bisphenol A ist, dass die duldbare tägliche Aufnahmemenge (TDI) für diese Substanz nach anerkannten wissenschaftlichen Maßstäben und unter Berücksichtigung der besonderen Empfindlichkeit von Kleinkindern abgeleitet worden ist. Die TDI ist die Menge einer Substanz, die über das ganze Leben täglich aufgenommen werden kann, ohne dass dies zu gesundheitlichen Schäden führt. Diese Ableitung der TDI erfolgte nach Einschätzung der Beratungskommission der GT wissenschaftlich nachvollziehbar und korrekt. Bei der Verwendung üblicher Babyflaschen aus Kunststoff wird die duldbare tägliche Aufnahmemenge (TDI) von Bisphenol A auch unter Berücksichtigung anderer Aufnahmewege bei weitem nicht erreicht. Daher ist mit gesundheitlichen Schäden nicht zu rechnen. Eine fachliche Begründung ist in der folgenden Stellungnahme aufgeführt.

    In einem offenen Brief vom 31.07.2008 an die Direktorin der EFSA und in Pressemitteilungen (z.B. Pressemitteilung der Universität Würzburg vom 06.08.2008, "Alltagschemikalie Bisphenol A in Babyflaschen") kritisieren Prof. Schönfelder, Prof. Chahoud und Dr. Gies, die Europäische Nahrungsmittelbehörde EFSA habe in der Stellungnahme "Toxicokinetics of Bisphenol A" "auf Grundlage von nicht zutreffenden Argumenten" entschieden. Wichtige Ergebnisse seien nicht in die Bewertung eingeflossen. Menschliche Föten und Neugeborene seien über ihre Mütter gegenüber Bisphenol A in signifikanter Weise exponiert. Prof. Schönfelder und Kollegen seien besorgt, dass die EFSA Entscheidungen treffe, die auf nicht validen Argumenten beruhe.

    Die Beratungskommission der GT nimmt zu dieser Kritik wie folgt Stellung: Entscheidend für die Risikobewertung im Falle des Bisphenol A ist, dass die EFSA in ihrer Bewertung von 2006 aus Sicht der Beratungskommission eine duldbare tägliche Aufnahmemenge (TDI) auf korrektem Wege abgeleitet hat. Für die aktuelle öffentliche Debatte (z.B.: "Bisphenol A, Krach um die Nuckelflaschen", Süddeutsche Zeitung vom 05.08.2008) ist es wichtig, dass diese Menge bei der Verwendung üblicher Babyflaschen aus Kunststoff und unter Berücksichtigung anderer Aufnahmewege von Bisphenol A bei weitem nicht erreicht wird. Daher ist mit gesundheitlichen Schäden nicht zu rechnen.

    Zur Erläuterung: Die duldbare tägliche Aufnahmemenge (TDI) ist die Menge einer Substanz, die über das ganze Leben täglich aufgenommen werden kann, ohne dass dies zu gesundheitlichen Schäden führt. Die TDI wird in der Regel von Tierversuchen abgeleitet, in denen die Dosis ermittelt wird, welche im Tier noch keine gesundheitsschädliche Wirkung zeigt. Diese Dosis (im Falle des Bisphenol A betrug sie 5 mg pro kg Körpergewicht pro Tag) wurde in Ratten bestimmt und durch einen Sicherheitsfaktor von 100 geteilt, so dass sich eine TDI von 0,05 mg pro kg Körpergewicht pro Tag ergab. Diese Ableitung der TDI erfolgte nach Einschätzung der Beratungskommission der GT korrekt. Die Datenlage zur Toxikologie des Bisphenol A ist sehr gut und es existieren keine relevanten Studien, welche die Gültigkeit der TDI von 0,05 mg pro kg Körpergewicht pro Tag in Frage stellen.

    Bei der Wahl des Sicherheitsfaktors zur Ableitung einer TDI werden mögliche Empfindlichkeitsunterschiede zwischen Mensch und Tier ebenso in Rechnung gestellt wie mögliche Empfindlichkeitsunterschiede innerhalb der menschlichen Bevölkerung. Die von Prof. Schönfelder und Kollegen kritisierte Stellungnahme der EFSA führt aus, dass Ratten empfindlicher gegenüber den toxischen Effekten von Bisphenol A sind als Menschen. Dies ist auf Unterschiede im Stoffwechsel bei Ratte und Mensch, insbesondere bedingt durch die verzögerte Ausscheidung des Bisphenol A in der Ratte zurückzuführen. Daher ist die in Ratten abgeleitete duldbare tägliche Aufnahmemenge (TDI) als konservativ (das heißt auf der sicheren Seite angesiedelt) anzusehen.

    Bisphenol A unterliegt bei Mensch und Ratte überwiegend einem enzymatischen Stoffwechsel, welcher Bisphenol A in inaktive wasserlösliche Verbindungen (Glucuronide und Sulfatester) überführt, die letztlich in den Urin ausgeschieden werden. Bekanntlich liegt bei Föten und Neugeborenen zum Teil eine geringere Kapazität dieser Stoffwechselwege im Vergleich zu einem späteren, reiferen Stadium vor. Ein bekanntes Beispiel ist die erst mit oder nach der Geburt einsetzende Glucuronid-Bildung und Ausscheidung von Bilirubin, einem körpereigenen Abbauprodukt des Blutfarbstoffs Hämoglobin, ein Sachverhalt, der vorübergehend zu einer Anreicherung von Bilirubin und in der Folge zur so genannten "Neugeborenen-Gelbsucht" führen kann. Daher könnte befürchtet werden, dass Bisphenol A für Föten und Neugeborene wegen dieser geringeren Stoffwechselkapazität grundsätzlich gesundheitsschädlich ist. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass eine Kapazität zur Sulfatester- und Glucuronidbildung im Föten und im Neugeborenen bereits vorhanden ist und es deshalb eine Frage der Dosis ist, ob Bisphenol A für den Föten oder das Neugeborene gesundheitsschädlich ist. Sulfotransferasen, die Bisphenol A verstoffwechseln, sind nachweislich im menschlichen Föten ausgebildet. Daher ist selbst bei einer pränatalen Exposition eine Verstoffwechselung über Sulfotransferasen möglich. Die UDP-Glucuronyltransferasen sind hingegen im Föten nur zum Teil ausgebildet. Grundsätzlich sieht die Beratungskommission auf dem Gebiet der Ausscheidung des Bisphenol A noch einen Forschungsbedarf. Wünschenswert wäre zum Beispiel eine vollständige Aufklärung, welche Isoenzyme der Sulfotransferasen und UDP-Glucuronosyltransferasen beim menschlichen Föten für die Sulfatierung bzw. Glucuronidierung verantwortlich sind und ob bzw. in welchem Maße diese Enzyme im Vergleich zum Erwachsenen reduziert sind. Die Tatsache, dass die Datenlage auf diesem Gebiet noch verbessert werden sollte, stellt jedoch nicht die grundsätzliche Einschätzung der Toxizität und die Ableitung des TDI in Frage. Es sollte berücksichtigt werden, dass auch Ratten, die Spezies, in der die TDI in einem Versuch über mehrere Generationen abgeleitet wurde, im Föten und perinatal eine reduzierte Expression bestimmter UDP-Glucuronyltransferasen aufweisen.

    In ihrer Stellungnahme kommt die EFSA zu dem für die Beratungskommission nachvollziehbaren Schluss, dass bei Dosen an Bisphenol A unter der TDI von 0.05 mg pro kg Körpergewicht pro Tag auch Neugeborene eine ausreichende Stoffwechselkapazität aufweisen, um diese geringen Mengen an Bisphenol A auszuscheiden. Hinzu kommt bei der Rattenmutter die verzögerte Ausscheidung von Bisphenol A und seinen Metaboliten, die zu einer höheren Belastung der Ratte gegenüber dem Menschen bei sonst gleicher Dosis oder Aufnahmemenge von Bisphenol A führt (s. o.).

    Prof. Schönfelder und Kollegen führen in ihrem Brief an die EFSA aus, dass "signifikante Levels biologisch aktiven Bisphenol A" im Blut menschlicher Föten und schwangerer Frauen gefunden wurden. Ein besonders kritischer Punkt bei der Analytik von Bisphenol A im Spurenbereich ist die Kontamination der untersuchten Proben bei der Aufarbeitung durch den Übergang von geringen Mengen von Bisphenol A aus Plastikmaterial im Labor, was zu scheinbar höheren Konzentrationen von originärem Bisphenol A im Probengut führen kann. Die von Prof. Schönfelder und Kollegen zur Unterstützung ihrer Position zitierten Publikationen wurden von der EFSA im Zuge der Bisphenol A-Bewertung im Detail analysiert und wegen schwerwiegender methodischer Mängel und widersprüchlicher Befunde nicht berücksichtigt. Entscheidend für die Risikobewertung ist jedoch nicht, ob - wie von Prof. Schönfelder und Kollegen ausgeführt - Bisphenol A im Blut nachgewiesen werden kann, sondern ob die Aufnahme von Bisphenol A zu Belastungen des Organismus führt, die so hoch sind, dass sie zu schädlichen Wirkungen führen. Diese Fragestellung wurde bereits, wie auch in den EFSA-Stellungnahmen dargestellt, ausführlich erforscht und hat zu der eingangs geschilderten Ableitung der TDI geführt.

    Die zentrale Schlussfolgerung der EFSA in ihrer grundlegenden Stellungnahme von 2006 besteht darin, dass ausgehend von einer Dosis ohne schädliche Wirkung von 5 mg pro kg Körpergewicht in Ratten und einem Sicherheitsfaktor von 100 eine TDI von 0,05 mg pro kg Körpergewicht pro Tag abgeleitet werden kann, bei der beim gegenwärtigen Stand des Wissens schädliche Wirkungen des Bisphenol A ausgeschlossen werden können. Dieser Bewertung der EFSA schließt sich die Beratungskommission der GT an. Die Bewertung der EFSA wurde fachlich korrekt und nach den Richtlinien der EU und der Weltgesundheitsorganisation WHO durchgeführt. Die Schlussfolgerungen der EFSA sind in den zugehörigen Dokumenten schlüssig begründet. Die Beratungskommission der GT teilt aus diesen Gründen die in dem offenen Brief der Autoren Schönfelder, Chahoud und Gies an die Direktorin der EFSA vorgetragene Kritik nicht. Die Schlussfolgerungen der EFSA stimmen im Übrigen mit den Bewertungen der amerikanischen Umweltschutzbehörde EPA, der amerikanischen, für Lebensmittel zuständigen Behörde FDA, des japanischen METIs, des deutschen Bundesinstituts für Risikobewertung und der Europäischen Chemikalienbehörde ECB zu Bisphenol A überein.

    Die GT ist die größte europäische wissenschaftliche Fachgesellschaft der Toxikologen aus Hochschulen, Behörden und Industrie mit über 1000 Mitgliedern.

    Ansprechpartner: Prof. Dr. Jan G. Hengstler, Vorsitzender der Beratungskommission der GT, Institut für Arbeitsphysiologie an der TU Dortmund (IfADo), 0231-1084-349, hengstler@ifado.de

    Erreichbar auch über Cornelia von Soosten, Pressereferentin des IfADo, 0231-1084-444, vonsoosten@ifado.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Chemie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Informationstechnik, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

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