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11.11.2008 11:18

Lebensrettende Sensoren und Kaugeneratoren fürs Hörgerät

Katharina Thehos Pressestelle
Technische Universität Chemnitz

    Professur für Mess- und Sensortechnik der TU Chemnitz erforscht, wie sich Energie aus der Umgebung gewinnen lässt - Fachveranstaltung am 17. und 18. November 2008 in Essen

    Energie aus der Umgebung zu gewinnen, ist für viele Menschen allgegenwärtig. Dass man aber nicht nur Windkraft- oder Solaranlagen zur Stromerzeugung nutzen kann, sondern auch mit deutlich kleineren Energiewandlern arbeitet und das als Energy Harvesting bezeichnet - davon können nur wenige berichten. Eine von ihnen ist Prof. Dr. Olfa Kanoun, Inhaberin der Professur für Mess- und Sensortechnik der TU Chemnitz: "Unter Energy Harvesting versteht man die Versorgung eines Systems von Energie aus seiner unmittelbaren Umgebung. Im Gegensatz zu den allgemein bekannten Energiequellen der Natur wie Licht und Wind rücken hier vor allem Vibrationen, Temperaturunterschiede, Luftströmungen und mechanische Bewegungen in den Fokus der Betrachtungen." Auch wenn derzeit große Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen unternommen werden, sind energieautarke Systeme, die aus verschiedenen Quellen Energie beziehen, nicht unbekannt. Kanoun sieht in einer Mühle oder einem Fahrraddynamo nichts anderes als einen Energy Harvester. Neu ist jedoch das beträchtliche Anwendungspotential, das sich durch den technischen Fortschritt und begünstigt durch die Miniaturisierung ergibt.

    Keine Kabel dank neuer Technik

    Durch Systeme, die drahtlos kommunizieren und Energie aus ihrer unmittelbaren Umgebung beziehen, kann nicht nur auf Kabel verzichtet werden, sondern auch die Energieversorgung an schwer zugänglichen Stellen flexibel durch mobile unabhängige Anwendungen gewährleistet werden. So wurden beispielsweise Reifendruckmessungen realisiert, die zur Reduzierung von Verkehrsunfällen beitragen: "Um den Druck eines Reifens zuverlässig zu ermitteln, muss die Messung im Reifen selbst vorgenommen werden. Da sich dieser jedoch dreht, sind Kabellösungen undenkbar und eine indirekte Messung durch Auswertung der gefahrenen Kilometer zu ungenau. Eine direkte Überwachung mit Echtzeitrückmeldung haben erst mikromechanische Sensoren ermöglicht, die fest im Rad verbaut sind und bei jeder Bodenberührung einem Schock ausgesetzt werden. Dieser wird zur Energiesammlung genutzt, die dann zur Messung des Drucks und Weitergabe an das Steuergerät ausreichen", erläutert Kanoun. Gerade in Zusammenhang mit der Reduzierung des Kohlenstoffdioxid-Ausstoßes sind Möglichkeiten zur thermoelektrischen Energierückgewinnung am Automobil besonders interessant. Automobilhersteller erhoffen sich dadurch einen wesentlichen Beitrag zur Reduzierung des Kraftverbauchs. Weitere Vorteile von Energy Harvesting-Lösungen liegen zudem in der Reduzierung des Installations- und Wartungsaufwandes, da in bestehende drahtlose Systeme Änderungen schneller umgesetzt und sich Nachrüstungen einfacher gestalten lassen. Energy Harvesting überwindet so die Einschränkungen der kabelgebundenen klassischen stationären Energieversorgungskonzepte, was den derzeitigen Boom und das Interesse seitens der Industrie erklärt.

    Intelligente Wohnumgebungen für mehr Sicherheit älterer Menschen

    Wie breit mögliche Anwendungsfelder hierbei in Erscheinung treten können, zeigt ein Blick auf den demografischen Wandel in Deutschland. Denn vor allem die Zahl der Senioren, die alleinstehend leben, steigt stetig. Um diesen die Möglichkeit zu geben, möglichst lang eigenständig in ihren eigenen Wohnungen zu leben, müssen spezielle Wohnumgebungen geschaffen werden. "Sogenannte Ambient Assisted Living-Systeme tragen diesen Ansprüchen Rechnung", erklärt Kanoun und ergänzt: "Darunter lassen sich eine Vielzahl von informationstechnischen Hilfsmittel zusammenfassen, die in das Umfeld älterer Menschen integriert werden, um so ihren Alltag zu erleichtern." So können auch gesundheitliche Überwachungssysteme eingesetzt und betrieben werden. Der Grundgedanke dahinter ist denkbar einfach: Der Zustand von älteren Personen kann mit Sensoren überwacht werden, die verschiedene Vitalparameter wie Atem- und Herzfrequenz, Körpertemperatur und die charakteristische Beschleunigung beim Stürzen aufnehmen. Werden kritische Werte erreicht, leiten die Systeme diese autonom an eine Zentrale weiter, wodurch ein schnelles Eingreifen ermöglicht und schlimmen Folgen vorgebeugt werden kann. Für bessere Mobilität und Tragekomfort ist die Nutzung ambienter Energie von besonderer Bedeutung.

    Wie man aus Kaubewegungen Strom für Hörgeräte gewinnen kann

    Die Lebensqualität einer Vielzahl von Menschen nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit, wird vor allem durch ein Leiden stark beeinflusst: Schwerhörigkeit. Trotz dass ein Mensch von zehn schwerhörig ist, tragen nur 20 Prozent von diesen Personen ein Hörgerät. Der filigrane Batteriewechsel stellt vor allem für ältere Personen eine große Hürde dar. "Dabei verbraucht ein herkömmliches Hörgerät im Jahresdurchschnitt bis zu 60 Batterien. Allein in Deutschland werden rund 1,6 Milliarden Batterien jährlich verwertet. Auch wenn man nur einen Teil dieser einsparen könnte, würde man nicht nur einen wesentlichen Beitrag für die Umwelt leisten, sondern auch die Mobilität, Flexibilität und den Komfort für die Anwender deutlich verbessern können", weiß Kanoun. Mithilfe von Energy Harvesting hat die Chemnitzer Professorin dabei schon einen Weg zur Verlängerung der Betriebsdauer dieser Knopfzellen gefunden. Der Grundidee folgend, wird Energie am Körper gesammelt, die dann zur Unterstützung der Hörgeräte-Batterien eingesetzt wird. Der Fokus lag dabei vor allem auf durch den Menschen erzeugte Vibrationen und Bewegungen. So musste als erstes festgestellt werden, wie viel Energie der menschliche Körper an welchen Stellen absondert. Dazu wurden von den Wissenschaftlern verschiedene Situationen des täglichen Lebens untersucht: Lesen, Essen und Laufen, die mit Sensoren an Händen, Kiefer oder Beinen aufgenommen wurden. "Mit den gemessenen Bewegungen haben wir dann ein theoretisches Modell für einen entsprechenden Energiewandler aufgestellt, um abschätzen zu können, durch welche Bewegung die größte Energie abgefangen werden kann", erklärt Kanoun. Das Ergebnis ließ selbst die Wissenschaftler staunen - entgegen aller Erwartungen kann nicht in der Vibration bei der Laufbewegung die meiste Energie gesammelt werden, sondern bei der Bewegung des Kiefers beim Ohr, die durch Kauen oder Sprechen während des Tages erzeugt werden. "Das ist besonders erfreulich. Damit kann die Energie dort gewandelt werden, wo sie auch gebraucht wird", so Kanoun. Die derzeitigen Bemühungen der Professorin und deren wissenschaftlichen Mitarbeiter an der Professur richten sich nun direkt auf die Konzeption eines Systems, der aus den Vibrationen am Kiefer eine Spannung oder einen Stromfluss erzeugt, diesen speichert oder direkt additiv der Batterie im Hörgerät zur Verfügung stellt. Die Herausforderungen liegen dabei unter anderem in der Konzeption eines miniaturisierten elektromechanischem Wandlers. Etwa die Größe eines Stecknadelkopfes muss er haben, damit er sich problemlos als Element direkt in das Hörgerät integrieren lässt. Die derzeit laufenden Forschungen konzentrieren sich aber auch auf das kritische Energiemanagement, bei dem der Generator die schwankenden Werte in eine konstante Spannung umwandeln muss, um sie dem Hörgerät zuführen zu können. Das Potential dieser Entwicklung ist dabei sehr hoch - lassen sich durch die schonende Behandlung der Batterien übers Jahr verteilt damit etwa sechs einsparen. Noch existiert der Energiewandler nur theoretisch, da das Finden des richtigen Rahmens für dieses Projekt einige Zeit in Anspruch nimmt. "Für eine praktische Umsetzung suchen wir vor allem nach Partnern und Herstellern aus dem medizinischen Fachbereich, die an einer Zusammenarbeit hinsichtlich batterieschonender Systeme für Hörgeräte, wie auch an einer gemeinsamen Entwicklung von Vitalparametermessungen interessiert sind", erklärt Kanoun.

    Qualitative Absicherung industrieller Energiewandler

    Der derzeitige Boom von Energy Harvesting-Systemen geht auch an der Industrie nicht spurenlos vorbei. Viele Hersteller drängen mit Energiewandler und Generatoren auf den Markt - die Herausforderung liegt jedoch hier in der zuverlässigen Ausgestaltung dieser Systeme. Sie müssen nicht nur schwankende Energien ausgleichen können, sondern zuverlässig funktionieren, auch wenn sich Umgebungsbedingungen vorübergehend ändern. Dazu entwickelt die Chemnitzer Professur für Mess- und Sensortechnik derzeit eine Testplattform, die als kleines Zertifizierungslabor agieren kann, um verschiedene Systemkomponenten eines Energiemanagementsystems unter verschiedenen Umweltbedingungen zu testen. "Wir untersuchen und charakterisieren hier bereits bestehende, von der Industrie angekaufte, unterschiedliche Wandler. So testen wir unter anderem, wie viel Energie bei welcher Aktion erzeugt und gleichzeitig verbraucht wird", erklärt Kanoun und fügt hinzu: "Wir haben uns ja im Bereich des Energy Harvesting selbst den Auftrag gegeben, die Verfügbarkeit von verschiedenen Energieformen in diversen Anwendungen nachzuweisen und zu bemessen, und stehen vor allem für die Industrie und die Systemhersteller gern als kompetenter Ansprechpartner bereit."

    Weitere Informationen rund um das Thema Energy Harvesting gibt Prof. Dr. Olfa Kanoun bei der 2. Fachveranstaltung "Energy Harvesting - Grundlagen und Praxis energieautarker Systeme" am 17. und 18. November 2008 im Haus der Technik in Essen. Eingeladen sind interessierte Zuhörer aus Industrie und Forschung. Nähere Informationen zu der Veranstaltung: http://www.energieautarke-sensorik.de

    Weitere Informationen erteilt Prof. Dr. Olfa Kanoun, Professur für Mess- und Sensortechnik der TU Chemnitz, Telefon 0371 531-36931, E-Mail olfa.kanoun@etit.tu-chemnitz.de.


    Bilder

    Die Energy-Harvesting-Forschergruppe rund um Prof. Dr. Olfa Kanoun: Thomas Keutel, Xinming Zhao und Sidney Kazi (v.l.)
    Die Energy-Harvesting-Forschergruppe rund um Prof. Dr. Olfa Kanoun: Thomas Keutel, Xinming Zhao und ...
    Foto: Heiko Kießling
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    Sidney Kazi zeigt das thermoelektrische Bauteil, mit dem die Wissenschaftler Temperaturunterschiede in Strom umwandeln. Im Versuchsaufbau dient der Ventilator zur Verstärkung der Temperaturdifferenz und macht präzisere Messungen möglich.
    Sidney Kazi zeigt das thermoelektrische Bauteil, mit dem die Wissenschaftler Temperaturunterschiede ...
    Foto: Heiko Kießling
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Elektrotechnik, Energie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Informationstechnik, Verkehr / Transport
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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