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14.12.2011 11:49

HIV: Neue Probleme für Afrika

Gunnar Bartsch Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Julius-Maximilians-Universität Würzburg

    Sprechen die gängigen Medikamente bei HIV-Infizierten in Afrika sehr viel häufiger nicht mehr an als bislang angenommen? Dieses Ergebnis legt zumindest eine aktuelle Studie von Wissenschaftlern aus Würzburg, Tansania und Südafrika nahe. Die Auswirkungen dieses Befunds wären gewaltig.

    Für die Region um den Viktoriasee in Tansania sind die Zahlen eindeutig: Rund 19 Prozent der Erwachsenen über 25, die sich mit HIV infiziert haben, tragen Viren in ihrem Körper, die gegen die in Afrika gängigen Medikamente resistent sind. Das haben Forscher der Universität Würzburg und der Missionsärztlichen Klinik gemeinsam mit Kollegen aus Tansania und Südafrika herausgefunden. Die Wissenschaftler haben dafür Patienten des Bugando Medical Center in Mwanza, der Partnerstadt Würzburgs in Tansania, untersucht.

    Was die Zahl so brisant macht: Die Weltgesundheitsorganisation WHO, die verantwortlich ist für die Richtlinien einer HIV-Behandlung auf dem afrikanischen Kontinent, geht bisher von einem deutlich niedrigeren Wert aus. Sie rechnet aufgrund ihrer Erhebungen mit Resistenzen in weniger als fünf Prozent der Fälle. Der Grund für die unterschiedlichen Zahlen könnte einfach sein: Die derzeitigen Richtlinien der WHO schließen einen Großteil der Bevölkerung von den Stichproben-Untersuchungen aus.

    HIV-Therapie in Tansania

    Seit dem Jahr 2004 gibt es in Tansania ein landesweites Therapieprogramm für HIV-Infizierte. Die Patienten erhalten ihre Medikamente in rund 200 Therapiezentren. Ende 2007 waren mehr als 165.000 Patienten in das Programm aufgenommen. HIV-positive Schwangere bekommen zusätzlich das Angebot einer speziellen Behandlung, um eine Übertragung auf das Neugeborene zu verhindern.

    Anders als in den industrialisierten Ländern, wo für HIV-Infizierte eine ganze Batterie von Medikamenten für eine maßgeschneiderte Therapie in den Apotheken steht, müssen sich die Mediziner in Afrika mit wenigen Medikamenten begnügen, die aus unterschiedlichen Hilfsprogrammen finanziert werden.

    Die Gefahr dabei: Unter der Therapie können sich leicht resistente Viren bilden, die sich dann in der Bevölkerung ausbreiten. Wer sich mit solchen Viren infiziert, hat deutlich schlechtere Chancen, später selbst erfolgreich therapiert werden zu können. Der Anteil an Patienten, die sich mit resistenten Viren infiziert haben, wird damit zum Gradmesser des Therapieerfolgs der kommenden Jahre. Um diese Erfolgschancen zu kontrollieren, hat die WHO dazu aufgerufen, Teile der Bevölkerung Afrikas regelmäßig auf Resistenzen zu untersuchen.

    Bei welchen Patienten wird gemessen?

    Allerdings: „Die WHO empfiehlt in ihren Richtlinien, dass nur Patienten unter 25 in diese Untersuchungen aufgenommen werden“, sagt Carsten Scheller. Scheller ist Privatdozent und Gruppenleiter am Institut für Virologie und Immunbiologie der Universität und maßgeblich beteiligt an der Würzburger Studie. Der Grund für diese Beschränkung in der Auswahl klingt plausibel: Da es erst seit wenigen Jahren überhaupt eine Therapie gegen die HI-Viren in Tansania gibt, sollte man die Übertragung resistenter Viren lediglich bei den Patienten beobachten, die sich erst vor Kurzem mit HIV infiziert haben. Und diese frischen Infektionen – so die Überlegung der WHO – sollte man am ehesten in der jüngeren Bevölkerungsgruppe finden. „Unsere Ergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass mit dieser Auswahl die tatsächliche Verbreitung therapieresistenter Viren in der Bevölkerung dramatisch unterschätzt wird“, sagt Scheller.

    Den ersten Verdacht, dass die WHO-Zahlen zu optimistisch sein könnten, haben Kliniker aus Afrika geäußert. „Sie mussten feststellen, dass in manchen Gegenden beinahe jeder dritte Patient nicht mehr auf die Medikamente anspricht“, sagt der Virologe. Deshalb beschlossen die Würzburger Wissenschaftler, eine Studie durchzuführen, in die sie auch Patienten älter als 25 Jahre aufnahmen.

    Würzburg: enge Kontakt zu Afrika

    Würzburg bietet sich als Standort für solche eine Untersuchung an: Hier hat im Oktober 2008 das erste deutsch-afrikanische Graduiertenkolleg unter Federführung von Professor Axel Rethwilm, dem Leiter des Instituts für Virologie in Würzburg, die Arbeit aufgenommen. Im Mittelpunkt der Forschung dort stehen HIV, Aids und damit verbundene Infektionskrankheiten. Innerhalb des Kollegs arbeiten mehrere Würzburger Arbeitsgruppen mit verschiedenen Forscherteams an der Universität Stellenbosch in Südafrika zusammen. Darüber hinaus kooperiert schon seit etlichen Jahren das Tropeninstitut der Missionsärztlichen Klinik in Würzburg unter Leitung des Privatdozenten Dr. Augsut Stich mit der Medizinischen Hochschule Bugando University College of Health Sciences und dem dazugehörigen Krankenhaus Bugando Medical Center in Mwanza.

    Die Studie

    88 bisher unbehandelte Patienten haben die Wissenschaftler untersucht; 68 von ihnen waren älter als 25 Jahre. Während bei den unter 25-Jährigen nicht eine einzige Resistenz gegen die in Tansania verwendeten Medikamente gefunden wurde, waren bei den älteren Patienten erschreckende 19 Prozent mit resistenten Viren infiziert. Insgesamt entspricht dies einer Häufigkeit von rund 15 Prozent in der gesamten Stichprobe. „Besonders schlimm ist, dass fast 90 Prozent der Patienten, die mit resistenten Viren infiziert sind, auch bereits Resistenzen gegen die Reservetherapie tragen. Wenn diese erst einmal nicht mehr wirkt, gibt es nichts, was die Ärzte den Patienten noch anbieten können“, sagt Scheller.

    Die Ursache für diese hohe Resistenzrate ist bisher noch ein großes Rätsel. Neben der Übertragung bereits resistenter Viren bei der Ansteckung könnten eventuell auch andere Mechanismen eine Rolle spielen. So fanden die Forscher in zwei Proben Rückstände von HIV-Medikamenten, obwohl die Studienteilnehmer erklärt hatten, zuvor noch nie gegen HIV behandelt worden zu sein. „Das deutet darauf hin, dass sich zumindest einige Patienten selbst mit Medikamenten versorgen“, so Scheller. Die Dunkelziffer könnte allerdings deutlich höher liegen, so die Vermutung der Forscher. Schließlich sei bei diesen Untersuchungen ein Verfahren zum Einsatz gekommen, das die Medikamenteneinnahme nur dann nachweist, wenn sie innerhalb der vorherigen zwei Wochen stattgefunden hat. „Manche Menschen könnten den Gang zum Therapiezentrum aus Angst vor einer Stigmatisierung scheuen und lieber Medikamente unter der Hand kaufen“, vermutet Scheller.

    „Auch die Altersverteilung der Resistenzen hat uns überrascht“, sagte Scheller. Vielleicht spiegele sich hierin die Tatsache wider, dass ältere Menschen im Durchschnitt auch ältere Partner haben, die möglicherweise bereits therapiert werden. „Und wenn der Partner behandelt wird und die Therapie misslingt, ist das Risiko der Ansteckung mit resistenten Viren besonders hoch“, sagt Scheller. Tatsächlich konnten die Forscher in zwei Fällen die Übertragung von resistenten Viren nachweisen, in denen die Resistenz von einem Partner mit Therapie auf den anderen übertragen wurde.

    Die Konsequenzen

    Noch ist nicht klar, ob die Zahlen aus Mwanza auf ganz Afrika hochgerechnet werden können. Dafür wollen die Forscher in einer weiteren Studie zusätzliche Regionen in das Untersuchungsprogramm aufnehmen. Klar ist allerdings: „Wenn unsere Zahlen flächendeckend gelten, stehen wir in Zukunft vor einem gewaltigen Problem“, sagt Scheller. Dann müsse das bisherige Therapiekonzept für Afrika neu überdacht und um wichtige Elemente aufgestockt werden. Nach Meinung der Forscher sei aber bereits jetzt eine Ausweitung der WHO-Richtlinien hin zu einer altersübergreifenden Kontrolle der Verbreitung von resistenten Viren sinnvoll.

    In Europa stehen HIV-Patienten unter ständiger medizinischer Kontrolle. Die behandelnden Ärzte sehen sehr schnell, ob ein Medikament wirkt oder nicht und können dementsprechend die Therapie anpassen. Das ist in Afrika anders: „Dort erhält ein Patient die Standardmedikamente über einen langen Zeitraum hinweg. Eine Kontrolle der Virenlast im Blut kann in den meisten Therapiezentren allein schon aus Kostengründen nicht stattfinden“, sagt Scheller. Monatelang könne der Betroffene so eine wirkungslose Therapie erhalten, die jedoch die fatale Folge hat, dass sich resistente Viren hervorragend vermehren können.

    „Im Prinzip bräuchten wir mehr Geld für eine bessere Therapie in Afrika“, sagt Scheller. Dann könnten die Patienten dort vor Beginn der Behandlung auf potenzielle Resistenzen untersucht und anschließend mit den geeigneten Medikamenten behandelt werden. Das allerdings sei ein „frommer Wunsch“. Derzeit zeichne sich eher ab, dass die Hilfsprogramme gekürzt anstatt ausgebaut werden.

    Die Forscher hoffen allerdings, dass ihre Ergebnisse bei politischen Entscheidungsträgern dazu beitragen, die Anstrengungen für eine bessere HIV-Therapie in Afrika zu intensivieren. Immerhin: Die WHO ist auf die Würzburger Studie aufmerksam geworden und überlegt momentan gemeinsam mit den Forschern, ob sie die Ergebnisse zur Grundlage neuer Empfehlungen für Resistenzuntersuchungen machen soll.

    Unterstützt vom DAHW
    Finanziert wurde die Studie mit Mitteln der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe DAHW sowie mit Unterstützung des Graduiertenkollegs 1522 „HIV/AIDS and associated infectious diseases in Southern Africa“. Publiziert haben die Wissenschaftler ihre Ergebnisse in der Fachzeitschrift Plos One:

    HIV Drug Resistance (HIVDR) in Antiretroviral Therapy-Naïve Patients in Tanzania Not Eligible for WHO Threshold HIVDR Survey Is Dramatically High. Christa Kasang, Samuel Kalluvya, Charles Majinge, August Stich, Jochen Bodem, Gilbert Kongola, Graeme B. Jacobs, Mathias Mlewa, Miriam Mildner, Irina Hensel, Anne Horn, Wolfgang Preiser, Gert van Zyl, Hartwig Klinker, Eleni Koutsilieri, Axel Rethwilm, Carsten Scheller, Benedikt Weissbrich. Plos One doi/10.1371/journal.pone.0023091

    Kontakt
    PD Dr. Carsten Scheller, T: (0931) 201-49928
    E-Mail: scheller@vim.uni-wuerzburg.de


    Bilder

    Das Bugando Medical Center in Mwanza
    Das Bugando Medical Center in Mwanza
    Foto: Institut für Virologie
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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