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29.11.2012 20:00

Röntgenlaser liefert Bauplan für Mittel gegen Schlafkrankheit

Michael Seifert Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen

    Erste neue biologische Struktur mit einem Freie-Elektronen-Laser entschlüsselt – Arbeitsgruppe der Universität Tübingen beteiligt.

    Mit dem weltstärksten Röntgenlaser haben Forscher eine potenzielle Achillesferse des Schlafkrankheit-Erregers enthüllt. Die detaillierte Analyse liefert den Bauplan für ein potenzielles Mittel gegen den Parasiten „Trypanosoma brucei“, der mehr als 60 Millionen Menschen vor allem im südlichen Afrika bedroht. Mit einem maßgeschneiderten molekularen „Stöpsel“ ließe sich demnach ein lebenswichtiges Enzym des Parasiten blockieren, wie das Team um DESY-Forscher Professor Henry Chapman vom Center for Free-Electron Laser Science (CFEL), Professor Michael Duszenko (Universität Tübingen), Professor Christian Betzel (Universität Hamburg) und Dr. Lars Redecke (Leiter der Nachwuchsgruppe „Strukturelle Infektionsbiologie unter Anwendung neuer Strahlungsquellen“ der Universitäten Hamburg und Lübeck), im Fachjournal „Science“ berichtet. „Dies ist die erste biologische Struktur, die an einem Freie-Elektronen-Laser entschlüsselt wurde“, betont Chapman.

    Die Wissenschaftler hatten in vivo erzeugte Kristalle des Enzyms Cathepsin B der Tryanosomen in kristallisierter Form mit intensiven Röntgenblitzen der Linac Coherent Light Source LCLS am US-Forschungszentrum SLAC in Kalifornien analysiert. „Das Enzym hatte sich in früheren Untersuchungen als vielversprechender Ansatzpunkt für ein Medikament erwiesen, da ein konditioneller knock out des Parasiten-Enzyms die Infektion bei Mäusen heilen konnte“, erläutert Michael Duszenko.

    Allerdings kommt dasselbe Enzym auch beim Menschen vor. Legt man es unspezifisch lahm, kann das für den Patienten gravierende Konsequenzen haben. Mit ihrer Röntgenuntersuchung haben die Forscher nun charakteristische Unterschiede in der molekularen Struktur des Enzyms zwischen Mensch und Parasit gefunden. „Damit eröffnet sich grundsätzlich die Chance, mit einem maßgeschneiderten Molekül gezielt das Enzym des Parasiten zu blockieren, ohne sein menschliches Pendant zu beeinflussen“, sagt Duszenko. Die Entwicklung eines möglichen neuen Medikaments benötige allerdings noch erhebliche Forschungsanstrengungen, betonen die Wissenschaftler.

    Die Schlafkrankheit (wissenschaftlich: „HAT - Humane Afrikanische Trypanosomiasis“) wird durch die Tsetse-Fliege übertragen. Die Trypanosomen sind immunologisch maskiert und verschanzen sich im zentralen Nervensystem, so dass die Infektion ohne Behandlung normalerweise tödlich verläuft. Die Krankheit kommt in den meisten afrikanischen Ländern südlich der Sahara vor und gefährdet vor allem die arme Landbevölkerung. Sie gilt als eine der bedeutendsten vernachlässigten Krankheiten (neglected diseases). In den vergangenen Jahren wurde der Kampf gegen sie unter Federführung der Weltgesundheitsorganisation WHO verstärkt, so dass die Fallzahlen gesunken sind. Dennoch sind nach wie vor Millionen Menschen gefährdet, da die Schlafkrankheit meist zyklisch auftritt und die nächste Epidemie nicht vorhergesagt werden kann.

    Zur Behandlung werden verschiedene Arzneien verwendet, die allerdings ohne genaue Kenntnis der biochemischen Zusammenhänge entwickelt wurden. „Die vorhandenen Medikamente sind völlig unzureichend und erzeugen in der Regel sehr starke, oft tödliche Nebenwirkungen“, sagt Duszenko. Außerdem würden immer mehr Parasiten resistent gegen diese Mittel. Wirkstoffe, die gezielt die Parasiten töten ohne den menschlichen Wirt zu beeinträchtigen, wären daher von großem Nutzen.

    Zur Entschlüsselung der Cathepsin-B-Struktur durchleuchtete das Forscherteam Kristalle aus dem Biomolekül mit intensiver Röntgenstrahlung. Kristalle streuen Röntgenlicht auf charakteristische Weise, aus den resultierenden Beugungsbildern lässt sich die Struktur des Kristalls und damit in diesem Fall des Enzyms berechnen. Dank der hellen Röntgenblitze konnten die Wissenschaftler die molekulare Struktur des Enzyms mit atomarer Auflösung bestimmen. Auch wenn diese Art der Röntgenkristallographie von Biomolekülen heute zu den Standardmethoden gehört, gibt es viele Proteine, die im Labor schwer zu kristallisieren sind, wie etwa Cathepsin B. Die Forscher verfolgten daher einen neuartigen Ansatz: Sie ließen Insektenzellen die Enzymkristalle in vivo herstellen. Im Gegensatz zur üblichen Kristallisation, bei der Bakterien das gewünschte Biomolekül herstellen und es nachträglich mit viel Ausschuss im Labor zu möglichst großen Einheiten kristallisiert wird, lieferte nur die In-vivo-Technik, die im Labor von Michael Duszenko an der Universität Tübingen entwickelt wurde (Koopmann et al. Nature Methods 9, 259-262 (2012)), brauchbare in vivo Kristalle.

    Dem Forscherteam gehören Wissenschaftler folgender Einrichtungen an: Universität Tübingen, Deutsches Elektronen Synchroton (DESY), Universitäten Hamburg, Lübeck, Uppsala, Göteborg und Arizona State University, US-Beschleunigerzentrum SLAC, Lawrence Livermore National Laboratory (USA), Max-Planck-Instituts für medizinische Forschung in Heidelberg und Max Planck Advanced Study Group am Hamburger Center for Free-Electron Laser Science (CFEL). Das CFEL ist eine Kooperation von DESY, der Max-Planck-Gesellschaft und der Universität Hamburg. DESY ist das führende deutsche Beschleunigerzentrum und eines der führenden in der Welt.


    Originalveröffentlichung: "Natively inhibited Trypanosoma brucei cathepsin B structure determined using an x-ray laser"; Lars Redecke, Karol Nass et al.; "Science", 2012 (advance online publication)

    Wissenschaftliche Ansprechpartner:
    - Prof. Michael Duszenko, +49 7071 29-73343, michael.duszenko@uni-tuebingen.de
    - Prof. Henry Chapman, +49 40 8998-94155 (mobil), henry.chapman@cfel.de
    - Dr. Lars Redecke, +49 40 8998-5389, redecke@biochem.uni-luebeck.de
    - Prof. Christian Betzel, +49 40 8998-4744, christian.betzel@uni-hamburg.de

    Pressekontakt:
    DESY-Pressesprecher Dr. Thomas Zoufal, +49 40 8998-1666, presse@desy.de


    Weitere Informationen:

    http://www.who.int/mediacentre/factsheets/fs259/en/


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Biologie, Medizin, Physik / Astronomie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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