idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
17.07.2017 16:58

Deutsche Schmerzgesellschaft: Methadon ist kein Krebsheilmittel – keine falschen Hoffnungen wecken

Thomas Isenberg Bundesgeschäftsstelle
Deutsche Schmerzgesellschaft e.V.

    Berlin – Das Opioid Methadon sollte nicht zur Tumortherapie eingesetzt werden. Die derzeit vorliegenden Daten aus Labor- und Tierversuchen sowie einer Studie mit 27 Krebspatienten reichen nicht aus, um eine Behandlung zu rechtfertigen. Einige Medienberichte wecken dennoch bei an Leukämie oder Hirntumor erkrankten Patienten die falsche Hoffnung auf Heilung. Methadon ist zur Behandlung starker Schmerzen zugelassen und ein etabliertes Medikament in der Schmerztherapie bei Krebserkrankten. Darauf macht der Arbeitskreis Tumorschmerz der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. anlässlich erneut medial verbreiteter Berichte zu „Methadon als Krebsmittel“ aufmerksam.

    Seit einigen Monaten kursieren in den Medien Berichte über eine angebliche onkologisch-therapeutische Wirkung des Opioids Methadon, das die meisten Menschen vor allem als „Entzugsmittel“ für Heroinabhängige kennen. „Eine bestimmte Form des Methadons, das Levomethadon, setzen wir seit vielen Jahren bei Patienten mit Tumorschmerzen ein. Es ist ein stark wirkendes Medikament mit erheblichen Nebenwirkungen und überdies nicht einfach zu steuern, da es eine hohe Halbwertszeit besitzt“, erklärt PD Dr. med. Stefan Wirz, Sprecher des Arbeitskreises Tumorschmerz der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. Damit steige die Gefahr, dass sich die Konzentration von Methadon im Blut stark erhöht und es zu lebensgefährlichen Komplikationen kommt, wie beispielsweise einem Atemstillstand. Dies gilt ebenso für das Methadon. Weitere opioidtypische Nebenwirkungen von Levomethadon und Methadon sind zudem Übelkeit und Erbrechen, Verstopfung, Atembeschwerden, Veränderung der Geschlechtshormone und Herzrhythmusstörungen.

    Einige Fernseh- und Hörfunkbeiträge haben erste Erkenntnisse zu „Methadon als Krebsmittel“ aus Labor- und tierexperimentellen Studien sowie einer im März veröffentlichten Studie aufgegriffen, an der 27 Krebspatienten teilnahmen, die Hirntumore (Gliome) haben. Diese Beiträge vermittelten den Eindruck, dass Methadon vor allem für therapieresistente Tumorleiden eine erfolgversprechende Therapieoption sei. „Das ist falsch. Was im Labor und in sehr kleinen Studien funktioniert, hat bei Patienten in der breiten Anwendung nicht zwangsläufig die gleiche Wirkung“, betont Wirz, der als Chefarzt der Abteilung für Anästhesie, Interdisziplinäre Intensivmedizin, Schmerzmedizin/Palliativmedizin am katholischen Krankenhaus im Siebengebirge, Bad Honnef, tätig ist. Infolge von Medienberichten entstand außerdem ein erheblicher Druck auf Ärzte, Methadon zu verschreiben.

    Im Laborversuch hatten Forscher 2014 herausgefunden, dass die Gabe von Methadon bei Glioblastomzellen, die Wirkung von Zytostatika, also Medikamenten, die verhindern oder verzögern, dass sich Tumorzellen teilen und verbreiten, um 90 Prozent verstärken. Grund dafür sind Opioid-Rezeptoren an der Oberfläche der Tumorzellen, an die das Methadon, aber auch die anderen zur Schmerztherapie eingesetzten Opioide, andocken. Dadurch wird die Aufnahme des „Zellgifts“ (das Zytostatikum) in die Zelle erleichtert und der Transport aus der Zelle gehemmt, sodass sich das Medikament in den Krebszellen besser anreichert. Zwei günstige Effekte, die das Absterben der Tumorzelle beschleunigen können. „Ob Methadon oder andere Opioide diese unterstützende und verstärkende Wirkung auch bei Patienten mit Glioblastom haben könnten, weiß man zum jetzigen Zeitpunkt nicht“, so Wirz.

    Methadon ist nur zur Schmerztherapie oder zur Substitution bei Opiatabhängigkeit zugelassen. „Eine Prognosebesserung durch Methadon bei Tumorpatienten ist nicht wissenschaftlich belegt. Der Arbeitskreis Tumorschmerz lehnt daher – wie einige andere medizinische Fachgesellschaften auch – eine Anwendung Methadons zur Tumortherapie ab“, betont Wirz. Der Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft Professor Dr. med. Martin Schmelz ergänzt: „Ein zentrales ärztliches Behandlungsziel lautet: ‚Erstens: Richte keinen Schaden an.‘ Wenn also die Aktivierung von Opioid-Rezeptoren an Tumorzellen für die Wirkung von Methadon verantwortlich sein soll, muss doch an Tumorzellen zunächst getestet werden, ob die klinisch ohnehin breit eingesetzten Opioide wie Morphin, Fentanyl oder Oxycodon die gleiche Wirkung haben.“ Bevor eine problematische Substanz wie Methadon am Menschen getestet wird, muss demnach klar sein, dass man den gleichen Effekt nicht auch mit einer nebenwirkungsärmeren Substanz erzielen kann. Es existieren derzeit aber weder diese Grundlagenergebnisse noch die erforderlichen kontrollierten Studien an Patienten. Ohne diese Evidenz darf eine verantwortungsvolle Medizin den Einsatz von Methadon zur Tumortherapie nicht befürworten.

    „Mit der Hoffnung und den Erwartungen der Patienten darf man nicht leichtfertig umgehen“, so Schmelz, der an der Klinik für Anästhesiologie an der Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg mit experimenteller Schmerzforschung befasst ist. In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Heimatfakultät, aus der die Primärergebnisse zu Methadon stammen, sieht der Schmerz-Präsident zudem die Gefahr, dass Patienten durch solche Fehlinformationen eine etablierte und wissenschaftlich belegte Therapie ablehnen könnten, um stattdessen eine Methadon-Therapie zu fordern, deren Wirksamkeit nicht erwiesen ist.

    Literatur:
    Onken J, Friesen C, Vajkoczy P, Misch M: Safety and Tolerance of D, L-Methadone in Combination
    with Chemotherapy in Patients with Glioma. Anticancer Res. 37:1227-1235, 2017.
    http://ar.iiarjournals.org/content/37/3/1227.long
    Hofbauer H, Schenk, M, Kieselbach, K, Wirz, S: Einsatz von Methadon zur Unterstützung der onkologischen Therapie? Eine Stellungnahme des Arbeitskreises Tumorschmerz der Deutschen Schmerzgesellschaft. Der Schmerz, Februar 2017, Volume 31, S. 2-4. DOI 10.1007/s00482-016-0183-9. https://link.springer.com/article/10.1007/s00482-016-0183-9
    Methadon bei Krebspatienten: Zweifel an Wirksamkeit und Sicherheit. Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie (DGHO), 26.04.2017. https://www.dgho.de/informationen/stellungnahmen/gute-aerztliche-praxis/DGHO_Ste...
    Gliomtherapie mit Methadon: bisher nur experimentell getestet – Wirkung beim Menschen völlig unklar.
    Gemeinsame Stellungnahme der Neuroonkologischen Arbeitsgemeinschaft in der Deutschen Krebsgesellschaft (NOA) und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), 26.03.2015
    https://www.dgn.org/images/red_pressemitteilungen/2015/150326_Stellungnahme_NOA_...
    http://www.uniklinik-ulm.de/news/article/1119/stellungnahme-zur-tumortherapie-mi...

    Zur Deutschen Schmerzgesellschaft
    Die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. ist mit fast 3.500 persönlichen Mitgliedern die größte wissenschaftlich-medizinische Fachgesellschaft im Bereich Schmerz in Europa. Die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. ist Mitglied der IASP (International Association for the Study of Pain) sowie der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften). Sie ist zudem die interdisziplinäre Schmerzdachgesellschaft von derzeit 18 mitgliederstarken weiteren medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften im Bereich Schmerz. Diese Fachgesellschaften repräsentieren rund 100.000 Mitglieder. Diese Perspektive wird zudem erweitert durch die institutionelle korrespondierende Mitgliedschaft der Vereinigung aktiver Schmerzpatienten SchmerzLOS e.V. in der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V.
    Die Mitgliedschaft der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. ist interdisziplinär und interprofessionell und besteht aus Schmerzexperten aus Praxis, Klinik, Psychologen, Pflege, Physiotherapie u. a. sowie wissenschaftlich ausgewiesenen Schmerzforschern aus Forschung, Hochschule und Lehre.

    Bei Veröffentlichung Beleg erbeten.

    Pressekontakt:
    Dagmar Arnold
    Postfach 30 1 20
    70451 Stuttgart
    Tel.: 0711 8931-380
    Fax: 0711 8931-167
    E-Mail: arnold@medizinkommunikation.org

    Thomas Isenberg
    Geschäftsführer der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V.
    Alt-Moabit 101 b
    10559 Berlin
    Tel.: 030 39409689-1
    Mobil: 0171 7831155
    Fax: 030 39409689-9
    E-Mail: presse@dgss.org


    Weitere Informationen:

    http://www.dgss.org


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Medizin
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).